Gutes Licht für helle Köpfe |
14.12.2010 11:54 Uhr |
Von Sven Siebenand, Greifswald / Überdurchschnittlich viele Sonnenstunden an der Ostseeküste sind sicher ein positiver Nebeneffekt. Für ein Pharmaziestudium in Greifswald sprechen aber vor allem andere Dinge, zum Beispiel der ausgeprägte Corpsgeist der Studierenden und eine abgerundete und abgeschlossene Etablierung aller Fächer der Wissenschaft vom Arzneimittel.
»Es ist hier morgens früher und abends länger hell«, beschreibt Professor Dr. Andreas Link seine ersten Eindrücke, nachdem er vor einigen Jahren von Marburg an die Universität in der Hansestadt Greifswald wechselte. »Gutes Licht für helle Köpfe«, fügt er mit einem Schmunzeln hinzu. Mehr als 60 Studierende pro Semester lassen sich im Nordosten der Republik zu Pharmazeuten ausbilden. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald, der einzige Hochschulstandort, an dem ein Pharmaziestudium möglich ist. Natürlich gibt die Approbationsordnung auch hier vor, was angehende Apotheker kennen und lernen müssen. Aber, so Link, wer in Greifswald Pharmazie studiert, erhält auch einen Überblick über viele weitere, ausgewählte Aspekte der Naturwissenschaften beziehungsweise Pharmazie.
Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald
Als Beispiele nennt der Professor für Pharmazeutische und Medizinische Chemie funktionelle Genomforschung, marine Biotechnologie, molekulare Biologie, patientenindividualisierte Medizin und Plasmaforschung. »Viele Studierende nutzen hier nach dem Studium auch die Möglichkeit, eine Diplomarbeit anzufertigen«, sagt Link. Dabei ließe sich auch testen, ob eine Doktorarbeit etwas für einen ist.
Beteiligung an Genomforschung
»Durch eine an der zeitgemäßen Weiterentwicklung und Profilierung des Faches Pharmazie ausgerichtete Berufungspolitik können wir nun auch die Lehrinhalte durch eigene, dauerhaft etablierte Professuren abdecken, für die es vor wenigen Jahren noch keine Professuren gab«, informiert Link. Beispielsweise wurde bereits im Jahr 2004 eine Professur für Pharmazeutische Biotechnologie ausgeschrieben und besetzt, um so attraktive Forschung auf diesem Gebiet zu ermöglichen. Auf diesem Wege sei die Produktion biopharmazeutisch erzeugter Wirkstoffe, die in ihrer Marktbedeutung kontinuierlich zunehmen, in Greifswald durch die Berufung von Professor Dr. Thomas Schweder auch für die Nachbardisziplinen deutlich sichtbar abgedeckt. Zum einen, so Link, ist die Pharmazeutische Biotechnologie aus standespolitischen Gründen wichtig, weil es zum Beispiel gilt, die Kompetenz des Apothekers nach § 15 Arzneimittelgesetz auch als sachkundige Person für die Herstellung von Biopharmazeutika zu sichern. Zum anderen sei dieses Thema natürlich wissenschaftlich hochaktuell. »Obwohl die Beteiligung der Pharmazie an funktioneller Genomforschung für die Ohren potenzieller Studienbewerber erheblich mehr Sexappeal haben wird als die Begriffe Arzneipflanzenkunde oder Pharmakognosie, wird das Fach Pharmazeutische Biologie als wesentliche Säule der Wissenschaften vom Arzneimittel unverändert in voller Breite abgedeckt«, sagt Link. Professor Dr. Ulrike Lindequist trägt durch eigene Forschung zu den pharmakologisch aktiven Inhaltsstoffen, zum Beispiel mariner Organismen, dazu bei, dass selbstverständlich auch small molecules aus den drei Königreichen des Lebens als Wirkstoffe oder Leitstrukturen in der Lehre kompetent und aktuell abgedeckt werden können. Die Trennung von Pharmazeutischer Biologie und Biotechnologie ist, so Link, aber nicht dogmatisch. Die Arbeitskreise von Lindequist und Schweder bearbeiten auch gemeinsame Fragen, unter anderem aus der marinen Biotechnologie.
Die Universität Greifswald existiert seit dem Jahr 1456. Den Namen Ernst-Moritz-Arndt-Universität trägt sie seit 1933. Mehr als 12 000 Studenten sind heute an der Universität Greifswald eingeschrieben, mehr als 400 von ihnen im Fach Pharmazie. Das Institut für Pharmazie gehört zur Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und befindet sich auf dem naturwissenschaftlichen Campus der Universität an der Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße. Hier soll bis 2011 auch das Center of Drug Absorption and Transport (C_DAT), ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum der Universität (siehe unten), entstehen.
Link ist stolz darauf, dass auf Grundlage einer 2007 abgeschlossenen, positiv ausgefallenen Evaluation der Lehrleistung des Faches Pharmazie durch den Verbund norddeutscher Universitäten eine Zielvereinbarung erstellt und vom Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und vom Rektor der Universität unterzeichnet wurde. Diese Zielvereinbarung enthält unter anderem die Verbesserung der räumlichen Situation durch den Neubau eines Forschungsgebäudes und die Etablierung des Unterrichts- und Prüfungsfachs Klinische Pharmazie durch die Schaffung einer Universitätsprofessur.
Studierende als Testkäufer
Die Besetzung dieser Stelle mit Professor Dr. Christoph Ritter ließ sich im vergangenen Jahr realisieren. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in einem tieferen Verständnis der Wechselwirkungen, die auf zellulärer Ebene die Therapie von Tumorerkrankungen wesentlich beeinflussen. Damit, so Link, wird ein naturwissenschaftlich valider Beitrag zur besseren, patientenindividualisierten Medizin geleistet. Ritter hat selbst Pharmazie studiert, sieht sich aber in Greifswald als Bindeglied zwischen den Fächern Medizin und Pharmazie. In der Lehre ist ihm der starke Praxisbezug wichtig. So lernen die Studierenden bei ihm, wie sie Informationsquellen finden und vor allem richtig auswerten. Zudem gibt es regelmäßige Veranstaltungen, in denen die Apotheker in spe Aspekte der Pharmazeutischen Betreuung vertiefen beziehungsweise sogar in Rollenspielen üben können. »Einige Teilnehmer des Wahlpflichtfaches Klinische Pharmazie sind auch als Testkäufer in Apotheken unterwegs«, informiert Ritter.
Bei den Studierenden kommen die neuen Angebote offenbar gut an. »Die ordentliche Professur in Klinischer Pharmazie hat die Ausbildung in diesem Fach natürlich sehr stark verbessert«, sagt Pharmaziestudent Karl-Peter Jahns. Positiv hervorzuheben sei zum Beispiel, dass geplant sei, im Rahmen der Klinischen Pharmazie einen Teil der Ausbildung in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum Greifswald auf Station durchzuführen. Zudem könne auch der Betrieb in einer Apotheke mit Kassensystemen geübt werden. »Das Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden ist in Greifswald sehr gut. Aufgrund unserer geringen Größe mit circa 410 Studierenden ist jeder Student recht gut bekannt, was eine persönliche Betreuung vor allem in den Praktika ermöglicht. Der Fachschaftsrat hat ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zur Professorenschaft, was die Arbeit stark vereinfacht und viele Probleme dadurch gar nicht erst entstehen«, so Jahns gegenüber der PZ. Leider biete das Pharmaziestudium nicht allzu viele Gelegenheit, Zeit am Ostseestrand zu verbringen. »Eine Situation gibt es allerdings, bei der ich in jedem Jahr am Strand bin«, sagt Jahns. Das alljährliche Volleyballturnier mit den Biochemikern habe schon fast Klassikerstatus.
Geförderte Projekte
Tradition hat auch die Zusammenarbeit der Greifswalder Pharmazie mit regionalen Unternehmen. Diese Zusammenarbeit wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des InnoProfile-Projekts »Wirkstofftransport-basierte Konzepte und Drug-Delivery-Technologien zur Optimierung der klinischen Anwendung von Arzneimitteln« gefördert. Seit diesem Jahr ist mit Professor Dr. Sandra Klein aus Frankfurt am Main übrigens auch die zweite Professur im Fachbereich Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie wieder besetzt.
Die Disziplinen »Biopharmazie/Pharmazeutische Technologie«, »Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie« und »Klinische Pharmazie« sind Bestandteile des Universitäts-Forschungsschwerpunktes »Molekulare Biologie, Molekulare Medizin und Biotechnologie«. Fortgeführt werden zudem Arbeiten im Rahmen des InnoProfile Projekts und die Beteiligung am SFB Transregio 34 (»Staphylococcus aureus«). Weiterhin sind die Pharmazeuten an drei interdisziplinären »Zentren für Innovationskompetenz« beteiligt: HIKE – humorale Immunreaktion bei kardiovaskulären Erkrankungen (mit Biopharmazie/Pharmazeutischer Technologie), PLASMATIS – Wechselwirkung zwischen physikalischem Plasma und lebender Materie (mit Pharmazeutischer Biologie) und ZIK »Fungene« (mit Pharmazeutischer Biotechnologie). Weiterhin ist die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Werner Weitschies am vom BMBF geförderten Forschungsverbund REMEDIS beteiligt.
Früher war es üblich, dass Studierende für kleinere Vergehen im Karzer der Universität landeten. Der Studentenkarzer der Uni Greifswald war von 1885 bis 1914 zum Absitzen von Strafen in Benutzung.
Fotos: Jan Meßerschmidt /Universität Greifswald
»Auch im Fach Pharmazeutische und Medizinische Chemie mussten erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um weiterhin sowohl aktuelle Inhalte der Pharmazeutischen Analytik als auch der Medizinischen Chemie mit nur zwei Professuren abdecken zu können«, sagt Link. Im Jahr 2007 wurde in seinem Arbeitskreis ein Hybrid-Massenspektrometer als neues Forschungsgroßgerät, kofinanziert mit Bundesmitteln, zur Identifizierung und Charakterisierung von Zielstrukturen bei hoher Massengenauigkeit und -auflösung beschafft. Im Jahr 2010 konnte durch dasselbe Förderinstrument zusammen mit und unter Federführung von Professor Dr. Patrick J. Bednarski (Pharmazeutische Analytik) ein multikernfähiges, neues 400- MHz-NMR-Gerät in Betrieb genommen werden.
Durch die Verleihung der Bezeichnung außerplanmäßiger Professor an den Chromatografie-Experten Dr. Thomas Jira konnte in diesem Jahr innerhalb des Arbeitskreises Bednarskis die Sichtbarkeit dieses Kompetenzfeldes weiter erhöht werden. »Insbesondere mit Hinblick auf neue Herausforderungen für die Pharmazeutische Analytik, etwa bei Chargen biotechnologischer Produkte, müssen Fächergrenzen überschritten und eng zusammengearbeitet werden, um auch in Praktika diese Lehrinhalte zu entwickeln«, sagt Link. Andere neue Inhalte, die in der Lehre praktisch bearbeitet werden, seien Methoden der polymerunterstützten Hochdurchsatzsynthese, Hochdruckhydrierungen im Mikrowellenreaktor und die Wirkung von Arzneistoffen und experimentellen Verbindungen auf Tumorzellen.
Neues Kompetenzzentrum
»Trotz räumlicher Trennung und Ansiedlung in der Medizinischen Fakultät ist die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus der Pharmakologie hervorragend«, sagt Link. Bald werde man dann auch räumlich näher zusammenrücken. Denn im Jahr 2008 hat der Wissenschaftsrat den Bau eines interdisziplinären Kompetenzzentrums befürwortet. Bis 2011 soll ein durch Bundesmittel geförderter Neubau für das konzeptionell bisher einmalige »Greifswald Center of Drug Absorption and Drug Transport – C_DAT« auf dem Nachbargrundstück des Instituts am Rande des neuen naturwissenschaftlichen Campus der Universität bezugsfertig sein. Das C_DAT soll dann die strukturelle Grundlage dafür bieten, bisher unverstandene Phänomene in der Pharmakotherapie aufzuklären und konzeptionell neue Darreichungsformen für Arzneimittel zu entwickeln. Ziel ist es, damit zur Optimierung der Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gerinnungsstörungen und bakteriellen Infektionen maßgeblich beizutragen. Eine von Sonnenlicht durchflutete Brücke aus Stahl und Glas wird dann das alte Institut aus den 1950er-Jahren mit diesem neuen Zentrum und dem geplanten Neubau eines Laborgebäudes für die anderen Fächer der Pharmazie nicht nur symbolisch verbinden – gutes Licht für helle Köpfe wird es natürlich auch in Fülle geben. /