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ABDA-Datenbank

Wenn Arzneistoffe Transportproteine beeinflussen

11.12.2006  11:26 Uhr

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Wenn Arzneistoffe Transportproteine beeinflussen

Von Petra Zagermann-Muncke

 

Bei pharmakokinetischen Interaktionen denkt man zunächst an Hemmung oder Induktion von Cytochrom-P-450-abhängigen Enzymen. Weniger bekannt ist, dass auch verschiedene Transportproteine, die den aktiven transmembranären Transport von Arzneistoffmolekülen bewerkstelligen, eine bedeutende Rolle spielen.

 

Arzneistoffe müssen auf ihrem Weg durch den Organismus mehrere zelluläre Barrieren überwinden. Dies geschieht in vielen Fällen durch passive Diffusion, wird aber häufig auch aktiv durch Transportproteine bewerkstelligt. Mehr als 100 verschiedene Transportproteine aus der Gruppe der ABC-Transporter (von ATP-binding cassette) aus Bakterien, Pilzen sowie pflanzlichen und tierischen Zellen wurden bislang identifiziert. Sie vermitteln unter ATP-Verbrauch den Transport von relativ lipophilen, meist basischen bis neutralen Molekülen in den Extrazellularraum.

 

Arzneistofftransport nach »außen«

 

Der am besten untersuchte ABC-Transporter ist P-Glykoprotein (P-GP), das beim Menschen vor allem in exkretorischen Geweben wie der Dünndarmschleimhaut, der Leber und der Niere, aber auch in Pankreas, Herz und Gehirn sowie in Krebszellen exprimiert ist (Tabelle 1). Die Überexpression von P-GP in Tumorzellen ist eine wichtige Ursache für das verminderte Ansprechen auf Zytostatika, die sogenannte Multidrug Resistance (MDR). Nach ihr ist auch das MDR-1-Gen, das für P-GP kodiert, benannt. Das Spektrum der Substrate von P-GP ist sehr breit: Arzneistoffe, Nahrungsbestandteile, Umweltgifte, Hormone, Aminosäuren, Zucker und Peptide, das heißt Moleküle von 400 bis circa 2000 Da werden transportiert.

Tabelle 1: Lokalisation und Funktionen von P-Glycoprotein

Lokalisation Funktion
Intestinales Schleimhaut-Epithel Transport in das Darmlumen
Biliäre (kanalikuläre) Hepatozyten Transport in die Galle
Tubulusepithel Transport in das Tubuluslumen
Endothel zerebraler Blutgefäße (Blut-Hirn-Schranke) Transport aus dem ZNS in das Blut
Tumorzellen Transport aus dem Tumorgewebe in das Blut

P-GP ist vermutlich mit zwei hydrophoben Molekülanteilen in der Zellmembran verankert und zwei hydrophile, zytoplasmatisch gelegene Bereiche binden ATP. Koppelt ein Substrat an die Substratbindungsstelle, die man sich als lipophile Tasche vorstellt, wird die Hydrolyse von ATP ausgelöst. Dadurch ändert sich die Konformation von P-GP und es entsteht ein Kanal, durch den das Substrat in den Extrazellularraum gelangt (»Effluxpumpe«). Die Aktivität von P-GP vermindert folglich die enterale Arzneistoffsabsorption, die renale und biliäre Ausscheidung wird gesteigert. P-GP schützt somit den Organismus vor potenziell toxischen Xenobiotika und verhindert beispielsweise auch die Anreicherung von Fremdstoffen im Gehirn (Blut-Hirn-Schranke). Genetisch bedingte MDR-1-Polymorphismen können sowohl die Transportfunktion als auch die Expression von P-GP verändern. Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneistoffen, die Substrate von P-GP sind, können aus diesem Grund von Mensch zu Mensch variieren.

 

Wechselwirkungen mit P-Glykoprotein

 

P-GP kann sowohl gehemmt als auch induziert werden, wobei Substrate von P-GP häufig auch Substrate von CYP3A4 sind (Tabelle 2). Offenbar werden Expression und Aktivität beider Proteine zum Teil über die gleichen Mechanismen reguliert. Die Differenzierung der Effekte ist dadurch erschwert: Einige der Interaktionen, für die anfangs ein Angriff an CYP3A4 verantwortlich gemacht wurde, können auch durch Interferenzen mit P-GP oder durch beide Mechanismen verursacht sein.

Tabelle 2: Substrate, Induktoren und Inhinbitoren von P-Glycoprotein

Substrate Induktoren Inhibitoren
Beta-Blocker:
Carvedilol, Celiprolol, Talinolol,
Calciumantagonisten:
Diltiazem, Nicardipin, Verapamil
H1-Blocker:
Fexofenadin, Terfenadin
HIV-Protease-Hemmer:
Indinavir, Nelfinavir, Ritonavir, Saquinavir
Steroide:
endogene Steroidhormone, Dexamethason
Immunsuppressiva:
Ciclosporin, Sirolimus, Tacrolimus,
Zytostatika:
Doxorubicin, Etoposid, Mitomycin, Mitoxantron, Paclitaxel, Teniposid, Vinca-Alkaloide
Sonstige:
Chlorpromazin, Colchicin, Digoxin, Furosemid, Loperamid, Methadon, Midazolam, Phenytoin, Quetiapin, Rifampicin, Simvastatin
Dexamethason
Doxorubicin
Flavonoide (Kämpferol, Quercetin)
Johanniskraut
Phenobarbital
Phenytoin
Rifampicin
Vinblastin
Antiarrhythmika:
Amiodaron, Chinidin, Lidocain,
Antimykotika:
Itraconazol, Ketoconazol
Calciumantagonisten:
Diltiazem, Felodipin, Nicardipin, Nifedipin, Nitrendipin, Verapamil
HIV-Protease-Hemmer:
Indinavir, Nelfinavir, Ritonavir, Saquinavir
Steroide:
Ethinylestradiol, Norgestrel, Progesteron, Testosteron
Immunsuppressiva:
Ciclosporin, Tacrolimus
Makrolid-Antibiotika:
Clarithromycin, Erythromycin
Sonstige:
Mifepriston, Paroxetin, Talinolol, Tamoxifen, Terfenadin, Trifluoperazin, Vincristin

Wird gleichzeitig ein P-GP-Substrat und ein P-GP-Inhibitor gegeben, so ist mit einer erhöhten Bioverfügbarkeit des P-GP-Substrats zu rechnen. P-GP-Substrate können sich auch im Sinne eines kompetitiven Antagonismus gegenseitig beeinflussen. Klinische Auswirkungen hat dies vor allem bei Arzneistoffen mit geringer therapeutischer Breite, bei denen bereits mäßige Erhöhungen der Plasmakonzentration toxische Effekte hervorrufen.

 

Digoxin-Chinidin

 

Die seit Langem bekannte Wechselwirkung zwischen Digoxin und Chinidin beruht auf einer Hemmung von P-GP: Bei fast allen Digoxin-behandelten Patienten wird im Verlauf von ein bis sieben Tagen nach Einleitung einer Chinidin-Behandlung die Digoxin-Clearance erheblich vermindert. Eine Digoxin-Intoxikation mit Herzrhythmusstörungen (ventrikuläre Extrasystolen, Kammerflattern und -flimmern, Asystolie) sowie gastrointestinalen und neurotoxischen Symptomen (Schwindel, Müdigkeit, Farbensehen, Gesichtsfeldausfälle) kann auftreten. Chinidin ist nämlich ein Inhibitor von P-GP und vermindert so die renale und die biliäre Clearance von Digoxin. Die Digoxin-Plasmakonzentration kann somit um mehr als das Doppelte steigen. Das Ausmaß der Konzentrationserhöhung ist individuell unterschiedlich und hängt zudem von der Chinidin-Dosis beziehungsweise -Plasmakonzentration ab. Patienten, die gleichzeitig mit Digoxin und Chinidin behandelt werden, müssen daher während der ersten Woche der Kombinationstherapie auf Zeichen einer Digoxin-Intoxikation hin überwacht werden. Der behandelnde Arzt muss die Digoxinkonzentration sorgfältig kontrollieren. Bei Einleitung der Chinidin-Therapie wurde sogar empfohlen, die Digoxin-Dosis zu halbieren. Aber auch in diesem Fall sind eine intensive Überwachung und eventuelle Dosisanpassungen erforderlich.

 

Loperamid gelangt ins ZNS

 

Der Opioid-Rezeptor-Agonist Loperamid bindet an zentrale und periphere Opioid-Rezeptoren. Als P-GP-Substrat gelangt Loperamid aber nicht in nennenswertem Ausmaß in das ZNS, weil es durch P-GP effektiv daraus abtransportiert wird. Daher wirkt Loperamid nur an peripheren (enteralen) Opioid-Rezeptoren und hat in der Regel keine unerwünschten zentralen Effekte. Bei gleichzeitiger Anwendung mit P-GP-Inhibitoren (Chinidin, Ketoconazol, Ritonavir, Verapamil) sind aber verstärkte zentrale Effekte von Loperamid nicht auszuschließen. So wurden unter experimentellen Bedingungen Zeichen einer beeinträchtigten Atmung gemessen.

 

Bei gleichzeitiger Behandlung mit den betroffenen P-GP-Inhibitoren sollte daher vorsichtshalber auf opioidartige unerwünschte Wirkungen von Loperamid, besonders auf atemdepressive Effekte, geachtet werden. Risikofaktoren sind hohe Loperamid-Dosen und gestörte Atemfunktion.

 

Interaktionskandidat Johanniskraut

 

Seit etwa acht Jahren werden mehr und mehr klinisch relevante Interaktionen mit Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) bekannt (Tabelle 3). Mittlerweile ist erwiesen, dass Johanniskraut sowohl Cytochrom-P-450-Isoenzyme, vor allem CYP3A4, als auch P-GP induziert. Welche Bestandteile des Johanniskrauts im Einzelnen hierfür verantwortlich sind, ist noch nicht geklärt: Einige Untersuchungen weisen darauf hin, dass Hyperforin, Hypericin und bestimmte Flavonoide eine Rolle spielen.

Tabelle 3: Interaktionen in der ABDA-Datenbank, die vermutlich auf einer Hemmung von P-Glycoprotein beruhen

P-GP-Substrat P-GP-Inhibitor Effekte (Verstärkung)
Chinidin Azol-Antimykotika verstärkte Wirkung von Digoxin - Gefahr einer Digoxin-Intoxikation
Digoxin und -Derivate Azol-Antimykotika verstärkte Wirkungen von Chinidin; erhöhtes Risiko von Torsade de pointes
Herzglykoside Beta-Blocker verstärkte Bradykardie, erschwerte Überleitung am AV-Knoten
Digoxin und -Derivate Chinidin Gefahr einer Digoxin-Intoxikation
Digoxin und -Derivate Cholesterol-Synthese-Hemmer erhöhte Digoxin-Plasmakonzentration
Anthrazykline Ciclosporin verstärkte Wirkungen der Anthrazykline möglich
Sirolimus Ciclosporin erhöhte Bioverfügbarkeit von Sirolimus
Colchicin Ciclosporin; Tacrolimus verstärkte Toxizität: Myopathie, Nephro- und Hepatotoxizität
Immunsuppressiva (Ciclosporin, Everolimus, Sirolimus, Ta-crolimus) HIV-Protease-Inhibitoren erhöhte Toxizität der Immunsuppressiva
Darifenacin Inhibitoren von P-GP verstärkte Wirkungen von Darifenacin möglich
Loperamid Inhibitoren von P-GP verstärkte Wirkungen von Loperamid, Atemdepression möglich
Colchicin Makrolid-Antibiotika Gefahr der Colchicin-Intoxikation
Digoxin und -Derivate Makrolid-Antibiotika verstärkte Wirkung von Digoxin - Gefahr einer Digoxin-Intoxikation
Digoxin und -Derivate Propafenon verstärkte Wirkung von Digoxin - Gefahr einer Digoxin-Intoxikation
Digoxin und -Derivate Ritonavir verstärkte Wirkung von Digoxin - Gefahr einer Digoxin-Intoxikation

Multidrug Resistance Related Protein

 

Auch die verschiedenen Typen des Multidrug Resistance Related Protein (MRP) gehören zu den ABC-Transportern und benötigen ATP. Sie sind sowohl an der biliären Exkretion von mit Glutathion, Glucuronsäure oder Schwefelsäure konjugierten Xenobiotika als auch von nichtkonjugierten Arzneistoffen wie Pravastatin, Furosemid und Methotrexat beteiligt. Schwere Funktionsstörungen des MRP2 resultieren im Dubin-Johnson-Syndrom, einer seltenen autosomal-rezessiv vererbten Krankheit, bei der die biliäre Exkretion glucuronidierter organischer Anionen gestört ist. Betroffen von dieser Ausscheidungsstörung sind außer Bilirubin auch Gestagene und Estrogene, weshalb die betroffenen Patientinnen keine hormonalen Kontrazeptiva einnehmen dürfen.

 

MRP1 wurde außer in der Leber in vielen gesunden Geweben nachgewiesen. Wie MRP2 transportiert MRP1 konjugierte Fremdstoffe. Auch die beiden MRP-Typen sind von Polymorphismen betroffen, die sich auf die Verfügbarkeit von Arzneimitteln auswirken und für Interaktionen prädisponieren können. Die Expression beziehungsweise Überexpression dieser Transporter kann für eine primäre oder sekundäre Zytostatika-Resistenz verantwortlich sein. Über weitere Formen von MRP ist bislang wenig bekannt. Probenecid, Indometacin und Sildenafil scheinen jeweils mehrere dieser Transporter zu hemmen.

 

Anionen- und Kationen-Transporter

 

An der Absorption, Verteilung und Elimination von Stoffen im Organismus sind viele weitere Transportproteine beteiligt. Die sogenannten OATP (organic anion transport polypeptides) kommen in vielen Geweben vor. Im Unterschied zu P-GP verbrauchen sie kein ATP. Sie bewerkstelligen beispielsweise den Transport von Gallensäuren und anionischen Arzneistoffen (Atorvastatin, Pravastatin, Benzylpenicillin, Digoxin, Fexofenadin, Levothyroxin). OATP treten in vielen Formen auf und auch hier kommen Polymorphismen vor.

 

Ihre Bedeutung für Arzneimittelinteraktionen ist erst in Ansätzen bekannt. Es wird angenommen, dass einige Penicilline und Probenecid mit Methotrexat um die tubuläre Sekretion durch OATP3 konkurrieren und so dessen Plasmakonzentration erhöhen. Möglicherweise spielt eine Hemmung von OATP durch Gemfibrozil bei der Wechselwirkung mit Statinen (Cholesterol-Synthese-Hemmer) eine Rolle.

 

Darüber hinaus gibt es eine Gruppe von Kationen-Transportern, OCTP (organic cation transport proteins) genannt. Sie bewerkstelligen die Exkretion beziehungsweise Reabsorption von organischen Kationen wie Chinidin, Cimetidin, Procainamid, Vecuronium, Cholin, Kreatin, Dopamin und Epinephrin.

 

Individualisierte Arzneimitteltherapie

 

Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneistoffen variieren innerhalb der Bevölkerung stark. Bei gleicher Dosierung kann ein Arzneistoff bei einem Patienten wirkungslos bleiben, bei anderen aber toxische Reaktionen oder Wechselwirkungen hervorrufen. Diese Unterschiede beruhen zum Teil auf den genetisch bedingten Polymorphismen. Nicht nur Varianten in der Aktivität von Cytochrom-P-450-Enzymen, sondern auch von Transportproteinen führen zu individuellen Unterschieden in der Pharmakokinetik eines Arzneimittels.

 

Diese Erkenntnisse können derzeit aber noch nicht in der Arzneimitteltherapie genutzt werden. Zur breiten Anwendung von genetischen Tests, die auf die individuellen Arzneimittelreaktionen schließen lassen, ist es noch ein weiter Weg. Ziel der Forschung auf diesem Gebiet ist es auch, diejenigen Patienten, die eine mögliche Interaktion gefährdet, im Voraus ausfindig zu machen. Mit dieser Kenntnis könnten die Arzneimittel so ausgewählt und dosiert werden, dass eine maximale Wirksamkeit und Verträglichkeit erreicht wird. Bei ABDATA Pharma-Daten-Service wird diese Entwicklung sorgfältig verfolgt, damit frühzeitig Daten für diese individualisierte Arzneimitteltherapie zur Verfügung gestellt werden können.

Tabelle 4: Interaktionen in der ABDA-Datenbank, die vermutlich auf einer Induktion von P-Glycoprotein beruhen

P-GP-Substrat P-GP-Induktor Effekte (Verminderung)
Antikoagulantien, orale Johanniskraut verminderte Wirkung der oralen Antikoagulantien - Throm-bosegefahr
Digoxin und -Derivate Johanniskraut verminderte Wirksamkeit von Digoxin bzw. seinen Derivaten möglich
Kontrazeptiva, hormonale Johanniskraut verminderte kontrazeptive Wirksamkeit
Stoffe, die oxidativ abgebaut werden (u. a. trizyklische Antidepressiva, Efavirenz, Nevirapin, Omeprazol, Theophyllin) Johanniskraut verminderte Wirksamkeit der betroffenen Stoffe
Beta-Blocker (Celiprolol, Talinolol) Rifampicin verminderte Wirkung der Beta-Blocker
Digitalis-Glykoside Rifamycine verminderte Wirkung der Digitalis-Glykoside

Literatur

Beringer, P. M., et al., Transporters and their impact on drug disposition. Ann Pharmacother 39 (2005) 1097-1108.

Brosi, A., et al., Interaktionen mit P-Glykoprotein. PZ Prisma 11 (2004) 133-139.

Gerloff, T., et al., Pharmakogenetik von Transmembrantransportern. Dtsch Med Wochenschr 128 (2003) 2431-2436.

Gutmann, H., et al., P-Glykoprotein ­ Bedeutung für die Arzneimitteltherapie. Schweiz Apoth Ztg (2002) 576-678.

 

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