Zahlenspiele |
12.12.2005 13:15 Uhr |
Zahlen sind unbestechlich. Sie sagen die Wahrheit. An ihnen gibt es nichts zu deuten, denn sie belegen schwarz auf weiß, was wie zusammenhängt und welche Handlung welche Auswirkung hat. Glauben Sie das? Besser nicht!
In der Politik und leider auch in den Medien werden Zahlen heute anders eingesetzt. Einige Beispiele gefällig? Es gibt 6000 Apotheken zu viel. Im Arzneimittelbereich lassen sich 3 Milliarden Euro einsparen. Die Naturalrabatte der Industrie entziehen dem Sozialsystem eine knappe Milliarde Euro (sagt die Bundesregierung) oder 3 Milliarden Euro (sagt Professor Dr. Karl Lauterbach). Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Den Urhebern solcher Aussagen ist eines gemein: Sie missbrauchen die positive Assoziation, die die meisten Menschen mit Zahlen verbinden. Sie missbrauchen sie, indem sie Zahlen verwenden, die nicht das Resultat einer Analyse, sondern Ausfluss einer interessensgesteuerten Vermutung sind. Wenn überhaupt, liegt ihnen eine schlichte Rechnung zu Grunde. Nebenbedingungen werden grundsätzlich ignoriert und auf Erklärungen wartet man vergeblich.
Die so verwendeten Zahlen sind nicht geeignet, einen Sachverhalt zu erhellen. Im Gegenteil, sie verschleiern. Und genau das ist beabsichtigt. Denn eine ernsthafte Diskusssion über die Rabatte der Apotheken beinhaltet auch die Frage, ob sie nicht integraler Bestandteil eines ansonsten doch gewünschten Wettbewerbs sind. Die Frage nach der richtigen Zahl von Apotheken kann nur beantwortet werden, wenn man den Nutzen einer hohen Apothekendichte und den volkswirtschaftlichen Schaden, den zu viele Apotheken verursachen, gegeneinander abwägt. Doch das will niemand ernsthaft tun.
Auch der Entwurf des Arzneimittelversorgungswirtschaftlichkeitsgesetzes basiert auf Zahlen, die sicherlich nur begrenzt geeignet sind, den Zuwachs der Arzneimittelausgaben effektiv zu bremsen. In vielen Punktensind sogar Eingriffe geplant, die mit dem Anstieg nichts zu tun haben. So haben weder steigende Generikapreise noch ausufernde Rabatte der Apotheker die erwarteten Mehrkosten verursacht, dennoch soll hier kräftig gespart werden. Das regt aber keinen auf, denn schon lange werden Zahlen von den meisten Menschen nicht mehr hinterfragt. Zu den Standardtricks der Zahlenkünstler gehört deshalb nicht nur, Ergebnisse ohne zugehörige Rechnung zu präsentieren, sondern auch Zahlen, die in keinem direkten Zusammenhang stehen, miteinander zu verquicken.
Über Zahlen nur zu lamentieren wäre aber zu einseitig, denn es gibt auch erfreuliche Ziffernfolgen. In diesem Monat beendet die Pharmazeutische Zeitung ihren 150. Jahrgang. Am 5. April 2006 jährt sich das erste Erscheinen der PZ zum 150. Mal. Die Zahl der Ausgaben, der Seiten, der Menschen, die daran mitgearbeitet haben, ersparen wir Ihnen an dieser Stelle. Wir wollen uns nicht zu lange mit der Dokumentation der Vergangenheit aufhalten. Die Zahlen, die den einen oder anderen womöglich beeindrucken würden, sind in Wirklichkeit ja nur zu einem Bruchteil Verdienst der aktuellen Redaktion. Wir verzichten deshalb darauf, die Zahlen unrechtmäßig zu unserem Vorteil zu verwenden. Natürlich sind wir stolz darauf, dass wir bei einer Zeitschrift mit einer so langen Tradition arbeiten, eine Zeitschriftenredaktion sollte aber immer mehr nach vorne als nach hinten schauen. Schon deshalb, damit der sorgsame Umgang mit Zahlen auch in Zukunft eine Chance in den deutschen Medien hat.
Daniel Rücker
Stellvertretender Chefredakteur