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Passivrauchen tötet 3300 Deutsche

12.12.2005  15:48 Uhr

Passivrauchen tötet 3300 Deutsche

von Christina Hohmann, Eschborn

 

Durch Passivrauchen sterben jedes Jahr etwa 3300 Nichtraucher in Deutschland. Dies ergab eine aktuelle Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg.

 

Die Untersuchung der Epidemiologen Professor Dr. Ulrich Keil, Universität Münster, und Professor Dr. Heiko Becher, Universität Heidelberg, ermittelte erstmals die jährliche Zahl der Passivrauchopfer für Deutschland: Schätzungsweise 2140 Nichtraucher sterben an einer koronaren Herzkrankheit, 770 erliegen einem Schlaganfall, 260 Lungenkrebs und 50 chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen. Auch 60 Säuglinge sterben jedes Jahr den plötzlichen Kindstod, weil sie in einem Raucherhaushalt leben oder bereits im Mutterleib den Schadstoffen ausgesetzt waren, berichteten die Forscher bei der Vorstellung der Studie in Heidelberg.

 

Den Berechnungen liegen aktuelle Daten zur Tabakrauchbelastung von Nichtrauchern zu Grunde. Diese sind in Deutschland beträchtlich: Etwa 35 Millionen Erwachsene sind zu Hause, am Arbeitsplatz oder in ihrer Freizeit Passivrauch ausgesetzt. Allein am Arbeitsplatz rauchen etwa 8,5 Millionen unfreiwillig mit. Etwa 8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren leben in einem Raucherhaushalt und 170.000 Neugeborene werden schon im Mutterleib mit den Schadstoffen belastet.

 

Tabakrauch enthält nach Angaben des DKFZ über 4800 verschiedene Substanzen. Die chemische Zusammensetzung des Passivrauchs gleicht qualitativ dem des inhalierten Rauchs. Neben giftigen Substanzen wie Blausäure, Acetonitril, Ammoniak und Kohlenmonoxid sind auch mehr als 70 nachgewiesenermaßen kanzerogene Stoffe enthalten. Dazu gehören polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, N-Nitrosamine, aromatische Amine, Benzol Vinylchlorid, Arsen, Cadmium, Chrom und das radioaktive Isotop Polonium 210. Dabei sind die Konzentrationen einiger Stoffe im Passivrauch um ein Vielfaches höher als im inhalierten Rauch. Das krebserregende N-Nitrosodimethylamin zum Beispiel ist im Nebenstrom 20- bis 100fach konzentrierter als im Hauptstrom. »Für die im Tabakrauch enthaltenen Kanzerogene können keine Dosis-Schwellenwerte angegeben werden, unter denen keine Gesundheitsgefährdung zu erwarten ist«, sagte Dr. Martina Pötschke-Langer, Herausgeberin der Studie. Auch kleinste Belastungen könnten zur Tumorentstehung beitragen.

 

Doch die Belastung muss nicht immer tödlich enden. Passivrauch hat auch viel raschere Auswirkungen, die bereits bei kurzfristiger Belastung auftreten können. So reizt er akut die Atemwege, kann zu Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen sowie Schwindel führen und erhöht die Infektanfälligkeit.

 

Die Situation der Belastung von Nichtrauchern in Deutschland ist nach Meinung des DKFZ inakzeptabel. Angesichts der geschätzten 3300 Todesopfer und unzähligen Erkrankungen müssten Nichtraucher besser geschützt werden. Hierfür sei ein neues Bundesgesetz hilfreich, das den Nichtraucherschutz im öffentlichen Raum inklusive der Gastronomie regelt. Dieses sei schon lange überfällig. Bereits 1998 hätte die Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe Passivrauchen am Arbeitsplatz in die höchste Gefahrenklasse eingestuft und ein umfassendes Nichtraucherschutzgesetz gefordert.

 

Rauchfreie Arbeitsplätze schützen nicht nur Nichtraucher, sondern verhindern auch Rückfälle bei Ex-Rauchern und senken den Konsum bei Rauchern. Vor allem Mitarbeiter der Gastronomie sind besonders hohen Belastungen ausgesetzt. Immer mehr europäische Länder entscheiden sich daher für völlig rauchfreie öffentliche Einrichtungen und Gastronomie. Diese Bereiche sind jedoch von der geltenden Arbeitsstättenverordnung in Deutschland ausgeschlossen.

 

Einfluss der Tabakindustrie

 

Auf Grund der Studienergebnisse hat die Bundesärztekammer die Bundesregierung aufgefordert, mit der Lobby der Tabakindustrie zu brechen. »Statt ein konsequentes Rauchverbot in Schulen, Krankenhäusern, Gastwirtschaften und generell am Arbeitsplatz durchzusetzen, bleibt die Bundesregierung nach wie vor Schulter an Schulter mit der Zigarettenindustrie«, kritisierten die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und die Ärztekammer in Berlin. Gelegentliche Aufklärungskampagnen und Appelle des Bundesgesundheitsministeriums zur Prävention seien »ohne Bedeutung, wenn die Bundesregierung andererseits gegen ein europäisches Tabakwerbeverbot zu Felde zieht«.

 

Wie groß der Einfluss der Tabakindustrie in Deutschland ist, zeigte auch eine kürzlich veröffentlichte Studie. Ihr zufolge soll die Tabakindustrie über Jahre hinweg mehr als 60 namhafte deutsche Wissenschaftler finanziert haben, um die Gefahren des Rauchens zu verschleiern. Das berichtet die Gruppe um Thilo Grüning vom Royal Free Hospital in London im »American Journal of Public Health« (DOI: 10.2105/AJPH.2004.061507). Die Forscher um Grüning hatten zahlreiche interne Dokumente von Tabakfirmen analysiert, die nach einem Rechtsstreit im Internet veröffentlicht werden mussten. Ihre Untersuchung hätte ergeben, dass als Gegenleistung für Forschungsgelder und großzügige Honorare wissenschaftliche Erkenntnisse »unterdrückt«, »abgeschwächt« und »manipuliert« worden seien. Der Verband der Zigarettenindustrie wies die Vorwürfe zurück.

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