Der Patient bleibt zentraler Entscheider |
05.12.2005 11:44 Uhr |
Der Patient bleibt zentraler Entscheider
von Daniel Rücker, Eschborn
Eigentlich sollte die elektronische Gesundheitskarte zum 1. Januar 2006 eingeführt werden. Warum dies nicht geschieht, wann sie tatsächlich kommt und welche Auswirkungen dies auf Apothekern hat erläutert ABDA-Gesachäftsführer Dr. Frank Diener.
PZ: Eigentlich sollte die elektronische Gesundheitskarte zum 1. Januar 2006 eingeführt werden sein. Dies ist nun obsolet. Wie sieht der aktuelle Zeitplan aus?
Diener: Nach den Labortests und Minitests werden die großen Feldversuche frühestens Ende 2006 beginnen. Die Einführung wird dann von den Regionen ausgehen, in denen die Feldversuche stattfinden. Die elektronische Gesundheitskarte wird also sukzessive regional eingeführt. Bundesweit ist sie wohl erst 2009 verfügbar.
PZ: Warum hat es so große Verzögerungen gegeben?
Diener: Der Gesetzgeber hat die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer und der Kostenträger damit beauftragt, das komplette Gesundheitswesen von der Papierwelt in eine digitale Welt zu transformieren. Er hat ihnen dafür nur zwei Jahre Zeit gelassen - das war eine mehr als ehrgeizige Vorgabe für das weltweit größte IT-Projekt. Diese Zeitvorgabe war angesichts der technologischen und organisatorischen Komplexität, hohen Datenschutzanforderungen und Kostenfragen nicht einzuhalten. Allerdings hätte man wesentlich schneller ein Ergebnis erzielen können, wenn die Kostenträger nicht permanent versucht hätten, über die Telematik die Rechtswelt des Gesundheitswesens, zu ändern.
PZ: Wie ist das zu verstehen?
Diener: Der »Bauplan« der Telematikplattform umfasst derzeit schon mehrere hundert Seiten - und wächst noch weiter. Leider konnten die Kassen zumindest zeitweise der Verlockung nicht widerstehen, in diesen Bauplan scheinbar harmlose technische Feinheiten einzuschleusen, die dann später die gesetzlichen Spielregeln verändert hätten. Wenn jemand beim Einschmuggeln von Ideologie mittels Technik ertappt wurde, gab es jedes Mal zeitraubende Diskussionen, oft auch mit medialer Begleitmusik. Zum Beispiel wollten die Kostenträger die Architektur so konzipieren, dass sie auf die elektronischen Rezepte vor dem Apotheker hätten zugreifen können. Damit wäre eine Rezeptsteuerung durch die Kassen möglich geworden.
Das wäre dann eine Änderung des Rechtsrahmens durch die kalte Küche gewesen. Wenn man einen solchen »ex-ante-Zugriff« auf die elektronischen Rezepte ermöglicht hätte, wäre er natürlich auch bei allen anderen elektronischen Gesundheitsdokumenten, also bei Krankenhauseinweisungen oder Überweisungen zu Fachärzten möglich gewesen. Das wären dann fürwahr orwellsche Dimensionen gewesen. Deshalb haben alle Leistungserbringerorganisationen, also DAV gemeinsam mit KBV, BÄK, KZBV, BZÄK und der DKG sich erfolgreich gegen solche Versuche erfolgreich gewehrt. Umgekehrt ist es so, dass die Apotheker akzeptieren müssen, dass es nicht möglich ist, über die Telematik den seit 2004 gesetzlich erlaubten Versandhandel wieder rückgängig zu machen. In der digitalen Welt bleiben Rechte und Pflichten der Papierwelt erhalten.
PZ: Geht es zukünftig besser voran?
Diener: Ich glaube, ja. Das Bundesgesundheitsministerium hat im Oktober dem Projektbüro, der gematik GmbH, die selbstständige Entscheidungshoheit entzogen und die so genannte Ersatzvornahme eingeleitet. Nun werden die Lösungsarchitektur sowie die Testphase ministeriell entschieden. Das heißt nicht, dass die gematik arbeitslos geworden ist, aber sie hat dem Ministerium alles zur Genehmigung vorzulegen und erhält in vielen Punkten auch definitive Arbeitsanweisungen. Wir machen die Beobachtung, dass das Ministerium sorgfältig und sachkundig vorgeht und die Befriedungsregel einhält, dass Telematik der Rechtswelt zu folgen hat.
PZ: Ist schon klar, welche Regionen für die Feldversuche ausgewählt werden?
Diener: Das Ministerium hat im November die Rahmenbedingungen zur Bewerbung und Auswahl für die Testregionen festgelegt. Die Bewerbungsfrist für die Testregionen ist letzte Woche abgelaufen. Voraussichtlich werden wir kurz vor Weihnachten die Testregionen kennen.
PZ: Wie werden die Tests ablaufen?
Diener: Die Testung erfolgt in vier Stufen. In Stufe 1 finden zentrale Labortests mit Testdaten statt, die die gematik durchführt. Stufe 2 sind dann praktische Anwendertests ebenfalls noch mit Testdaten, die in Musterumgebungen der Testregion durchgeführt werden. In Stufe 3 werden dann in jeder Testregion bis zu 10.000 Versicherte mit Gesundheitskarten ausgestattet und der Praxisbetrieb mit Echtdaten gestartet. Das bezeichnet man als Minitest. In Stufe 4 werden diese Tests auf bis zu 100.000 Versicherte ausgedehnt.
PZ: Welche Ausrüstung benötigen die Apotheken, wenn die Gesundheitskarte eingeführt wird?
Diener: Die Telematikwerkzeuge sind zum Teil schon alte Bekannte und in vielen Apotheken längst Standard: Dazu zählen die große ABDA-Datenbank inklusive Cave-Module, sowie ein ISDN- oder besser noch ein DSL-Anschluss. Neu sind die multifunktionalen Kartenlesegeräte. Sie werden sinnvollerweise an jedem Arbeitsplatz vorgehalten, um Staus zu vermeiden. Des Weiteren benötigt die Apotheke eine Firmenchipkarte, die fest im EDV-System eingebaut wird und mit der sich die Apotheke bei Dienstbeginn im Gesundheitssystem an- und bei Dienstende abmeldet.
Eine zentrale Bedeutung in der Telematikarchitektur hat der Konnektor, ein Zusatzmodul, das jeder Leistungserbringer benötigt, um sichere Verbindungen zu anderen Akteuren aufbauen, digitale Dokumente austauschen oder auf Anwendungsdienste zugreifen zu können. Die Apothekerschaft hat den ersten marktfähigen Konnektor entwickelt, der nun unter dem Namen CertiWare von einem Kieler Unternehmen vertrieben wird. Der elektronische Heilberufsausweis für die Approbierten und die Berufsausweise für die Nicht-Approbierten sind die persönlichen Ausweiswerkzeuge in der digitalen Welt. Sie werden im Auftrag der Landesapothekerkammern durch eine Stelle im Apothekerhaus in Eschborn herausgegeben.
PZ: Wer bezahlt die Werkzeuge?
Diener: Die Leistungserbringer, also Ärzte, Apotheker, Zahnärzte und Krankenhäuser, werden die notwendigen telematikbedingten laufenden und einmaligen Kosten, die ihnen entstehen, über pauschalierte, transaktionsabhängige Zuschläge beziehungsweise Einmalzahlungen refinanziert bekommen. Zur Ermittlung der Höhe dieser Klickpreise hat die gematik eine Kosten-Nutzen-Analyse in Auftrag gegeben, die Mitte 2006 vorliegen wird. Auf Grundlage dieses Gutachtens werden dann sektorspezifisch die Zuschläge festgelegt.
PZ: Müssen Apotheker sich heute schon um ihre Ausrüstung kümmern?
Diener: Nein. Die Telematikwerkzeuge in den Apotheken, Arztpraxen und Kliniken werden nach den 10.000er-Feldversuchen spezifiziert. Erst dann steht fest, wie welches System aufgerüstet werden muss. Wir stehen in Kontakt mit den EDV-Häusern und den Rechenzentren. Die werden mit den Apotheken die EDV besprechen.
PZ: Was muss ein Apotheker bedenken, der seine Apotheken-EDV unabhängig von der elektronischen Gesundheitskarte erneuern will? Ist das ratsam oder sollte man warten, bis die Details für die elektronische Gesundheitskarte feststehen?
Diener: Bis 2008/2009 zu warten, kann lang werden. Die Zeiten, in denen EDV-Systeme, wenn sie einmal hingestellt waren, 10 Jahre und länger benutzt werden konnten, sind endgültig vorbei. Wer die EDV- und Telekommunikationsanlage nicht zur Bremse im Betriebsablauf werden lassen will, muss kontinuierlich und rational re-investieren. Was das genau bedeutet, ist eine Frage des Einzelfalls. Doch ganz generell sollte man heute die Netzwerkfähigkeit der Anlage im Fokus haben. So kann die Zeit dafür genutzt werden, zu überprüfen, ob die Ausstattung der Apotheke wirklich noch zeitgemäß ist.
PZ: Wie wird die elektronische Gesundheitskarte die Abläufe in der Apotheke und in der Kommunikation mit Ärzten, Großhandel oder Kassen verändern?
Diener: Ich bin sicher, dass Großhändler, Banken, Rechenzentrum, Steuerberater, Kammern und Verbände eben alle Marktpartner der Apotheke an die Telematikinfrastruktur andocken werden. Nur ein Beispiel: Der Heilberuflerausweis wird das mühselige PIN-TAN-Verfahren entbehrlich machen. Das erleichtert Online-Banking, Großhandelsbestellungen oder Retaxationshandling.
PZ: Die Sorge der Apotheker war immer, dass mit dem E-Rezept und der Gesundheitskarte Zuweisungen an Versandapotheken gefördert werden. Ist diese Befürchtung ausgeräumt?
Diener: Ja. Nach dem jetzigen Stand der Dinge wird das Online-Rezept, das der Arzt dem Patienten ausstellen möchte, noch in der Arztpraxis in drei Teile zerstückelt und in drei Servern bei drei unterschiedlichen Akteuren so gespeichert, dass keiner der Betreiber etwas mit der Information anstellen kann, die in seinem Server liegt: Im Krankenkassenserver liegen die Versichertenstammdaten und zugehörigen Pseudonyme, im Apothekenserver die Pseudonyme und zugehörigen Rezeptlaufnummern, im Arztserver die Rezeptlaufnummern und verschlüsselten Verordnungen.
Erst wenn der Patient die Apotheke seiner Wahl mit seiner Gesundheitskarte autorisiert, kann diese die drei zerstückelten Rezeptteile wieder zum digitalen, entschlüsselten Original zusammensetzen: Mit ihrem Heilberufsausweis lädt die Apotheke sich aus dem Krankenkassenserver das aktuelle Pseudonym des Versicherten, aus dem Apothekenserver die Rezeptlaufnummer zu dem Pseudonym und aus dem Arztserver zu der Rezeptlaufnummer die verschlüsselte Verordnung. Dies geschieht binnen Sekunden. Nun muss die Apotheke nur noch die Verordnung entschlüsseln und erhält das digitale Originalrezept. Die Apothekerin berät, gibt ab, fügt die Taxdaten hinzu, signiert und verschlüsselt das Rezept mit ihrem Ausweis und leitet es über den Konnektor an das Apothekenrechenzentrum weiter.
PZ: Das heißt also, dass der Patient der zentrale Entscheider ist?
Diener: Ja. Er entscheidet, welche Apotheke Zugriff auf sein Rezept oder andere elektronischen Dokumente erhält. Er kann in der digitalen Welt wie in der Papierwelt sich dafür entscheiden, Rezepte nicht einzulösen, sie zu zerreißen, zu verstecken, bei seiner Apotheke einzulösen.
PZ: Und Sie glauben, dass das alles rund laufen wird?
Diener: Natürlich wird es in der Testphase rumpeln.Vermutlich wird das Papier noch eine ganze Weile neben der Online-Welt seinen festen Platz haben. Doch auf mittlere Sicht wird es wie bei einer neuen Generation von Autos sein: Nach einer Umgewöhnungsphase kann man sie bequem fahren, ohne verstehen zu müssen, was sich unter der Motorhaube abspielt.