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Kampfbereite Mediziner

29.11.2005  17:49 Uhr

Ärztestreik

Kampfbereite Mediziner

von Thomas Bellartz, Berlin

 

Die Weißkittel ziehen wieder durch die Berliner Mitte. Mehr als 1000 Mediziner befinden sich seit Montag im Streik, die eindrucksvolle Silhouette der Charité ziert ein riesiges Plakat mit der Aufschrift »Streik«.

 

Es droht ein Flächenbrand, der sich auf kommunale Krankenhäuser ausdehnen könnte. Die Politik verweigert sich einer Problemlösung, Patienten haben (noch) Verständnis für die Ärzte. Die gute Nachricht zuerst: Die Notfallversorgung am Berliner Uniklinikum Charité war bislang zu keiner Zeit gefährdet ­ trotz streikender Ärzte. Trotzdem werden Operationen verschoben, Patientinnen und Patienten hängen in der Warteschleife, von Normalität ist man im größten Klinikum Europas weit entfernt. Dabei hat schon der Klinikalltag längst nichts mehr mit Normalität zu tun. Denn genau darum geht es im Arbeitskampf der Ärzte. Deren Gewerkschaft, der Marburger Bund (mb), hat in den vergangenen Monaten mehrfach mit Warnstreiks und kurzfristigen lokalen Arbeitsniederlegungen bundesweit auf den Ausnahmezustand in den meisten deutschen Kliniken aufmerksam gemacht. Geändert habe sich nichts, beklagten die Ärzte am Montag zum Auftakt des Arbeitskampfes in Berlin. Und deswegen habe man keine Alternative mehr, um der »Arroganz der Arbeitgeber« entgegenzutreten.

 

Die Ärzte und deren Vertreter wollen sich nicht länger hinhalten lassen. Dabei gehe es nicht nur um ihr eigenes Wohl, sondern besonders um das der Patienten. Angesichts der längst bekannten Marathondienste, der schlechten Vergütungen, Arbeitsverträgen, über die man in anderen Branchen müde lächeln würde, muss der Druck nun dem Kessel entweichen. Dabei passt dieses Bild nicht mehr. Denn es geht nicht mehr darum, nur Dampf abzulassen. Zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren wollen Ärzte in Deutschland streiken. Die Öffentlichkeit nimmt ihnen sogar ab, dass sie es nicht gerne tun. Die personellen Zustände in deutschen Krankenhäusern gelten auch im europäischen Vergleich als schlecht. Ärzte werden für ihre Überstunden nicht bezahlt, ihnen werden Bezüge gekürzt, um Budgets einzuhalten, Marathondienste sind an der Tages- und Nachtordnung.

Bis Freitag soll der Arbeitskampf in der Hauptstadt andauern ­ und dabei doch nur der Auftakt für Massenproteste sein, die in den nächsten Tagen und Wochen quer durch alle Bundesländer laufen dürften. Schon die Sprache der Ärztegewerkschafter, die in der Vergangenheit immer ein wenig disziplinierter und sogar entspannter daherkamen, als ihre Kollegen von ver.di oder der IG Metall, hat sich gewandelt.

 

Miserable Vergütung

 

Tägliche Demonstrationen und Kundgebungen, Mahnwachen und Diskussionen sollen die Öffentlichkeit stärker als bisher auf die aus Sicht der angestellten Ärztinnen und Ärzte »katastrophalen Arbeitsbedingungen und miserablen Vergütungen« aufmerksam machen. Hintergrund für den Streik an der Charité ist das Scheitern der Tarifverhandlungen zwischen Marburger Bund und dem Charité-Vorstand. Der verlangt im Rahmen des vom Berliner Senat geforderten Sanierungskonzepts von den 2200 Ärzten längere Arbeitszeiten und Gehaltseinbußen von bis zu 15 Prozent.

 

»Weil auch an vielen der insgesamt 2200 Krankenhäuser ähnlich unzumutbare Arbeitsbedingungen herrschen wie an den Unikliniken, werden wir die Streikwelle nun auf die kommunalen Krankenhäuser ausdehnen«, sagte mb-Hauptgeschäftsführer Armin Ehl. Der Ausstand in der Hauptstadt ist erst der Beginn einer sich seit Sommer abzeichnenden Streikwelle. Ehl kündigte für den 13. Dezember schwerpunktmäßige Ärzte-Streiks in kommunalen Krankenhäusern an. Anlass sei die anhaltende Weigerung der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA), mit dem Marburger Bund einen arztspezifischen Tarifvertrag zu vereinbaren. Ehl: »Die Ärzte in kommunalen Krankenhäusern sind kampf- und streikbereit, um die arrogante Blockadehaltung der Arbeitgeber zu brechen.«

 

Die Gewerkschaft, die in den vergangenen Monaten mehr als 15.000 neue Mitglieder habe gewinnen können, kritisierte zudem massiv einen Beschluss des Bundesrats vom vergangenen Freitag. Die Vertreter der Länder hatten sich darauf verständigt, das neue Arbeitszeitgesetz mit der Bewertung der Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit nicht wie vorgesehen zum 1. Januar 2006 umzusetzen, sondern erst ein Jahr später. »Europäisches Arbeitszeitrecht, Arbeitsschutz der Ärzte und Patientenschutz werden hier von den Politikern ungeniert mit Füßen getreten«, so Ehl. Noch in der laufenden Woche wollte der Marburger Bund deshalb Beschwerde bei der Europäischen Kommission zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland einreichen. »Es ist ein Skandal, dass zwölf Jahre nach der EU-Arbeitszeitrichtlinie, die zum Schutz der Ärzte und Patienten den Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit einstuft, Deutschland dies weiterhin ignoriert.«

 

Mit Trillerpfeifen, Sprechchören und Plakaten sammeln die Ärzte auch auf der Straße Sympathiepunkte. Die Patienten zeigen Verständnis für die Mediziner, deren Forderung nach einer 30-prozentigen Gehaltsaufstockung von vielen als gerechtfertigt angesehen wird. Und so ist der Streik der Auftakt für eine Urabstimmung unter den Gewerkschaftsmitgliedern. Die läuft noch bis zum 9. Dezember. Experten rechnen damit, dass noch vor Weihnachten den Krankenhäusern und Unikliniken eine Streikwelle droht. Dann dürften die Erfahrungen aus Berlin Schule machen: Nur Notfälle werden behandelt. Aufschiebbare Operationen werden aufgeschoben, sofern der Patient keinen Schaden nimmt.

 

Unterdessen gab der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft, Jörg Robbers, der Politik eine Mitverantwortung für den Streik. Die Probleme seien seit Jahren bekannt, sagte er im RBB-Inforadio. »Wir haben jetzt eine tariflich unklare Lage. Einige Länder haben den neuen Tarifvertrag angenommen, andere nicht. Und dass man in einer solchen Lage Forderungen aufstellt, um sich eine gute taktische Position zu sichern, ist klar.« Auch beim Marburger Bund lastet man der Politik an, zu lange nur Zuschauer gewesen zu sein. Viele Krankenhäuser seien nicht in der Lage, die notwendigen Mehrkosten für Personal und eine bessere Bezahlung zu garantieren. Deswegen werde immer deutlicher, dass es eben nicht nur ein Problem der Tarifparteien sei, sondern vielmehr eine gesundheitspolitische und gesellschaftliche Herausforderung.

 

Robbers forderte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) auf, ein Machtwort zu sprechen. »Wenn die Tarifparteien nicht weiterkommen, müsste die neue und alte Ministerin einen Arbeitszeitgipfel einberufen, um tarifvertragliche Regelungen zu schaffen, damit diese Unruhe abnimmt.« Die Ministerin selbst hatte sich zwar mehrfach schon auf die Seite der Ärzte geschlagen, aber die Forderung als utopisch zurückgewiesen.

 

Unterdessen beschäftigt man sich In einigen Bundesländern bereits heute mit den Folgen eines möglichen Streiks in der Vorweihnachtszeit. So ist in Sachsen-Anhalt jedes zweite Krankenhaus in kommunaler Trägerschaft und damit vom Streik bedroht. »Die Ärzte wollen wissen, wie es weitergeht«, meint Hans-Jürgen Wiesenack, Oberarzt in Elbingerode. Im EU-Vergleich verdienten deutsche Klinik-Ärzte wenig. Viele junge Mediziner gingen ins Ausland, wo die Bedingungen besser seien.

 

Während man sich bei den Regierungsparteien zum Streik nicht konkret und wenn überhaupt nur verständnisvoll äußern will, nutzt die Opposition die Chance für eine Positionierung. So ließ Dr. Harald Terpe, Obmann im Bundestagsausschuss für Gesundheit und Pflege, wissen, dass »das Anliegen der streikenden Ärzte des Berliner Universitätsklinikums Charité berechtigt« sei.

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