HIV-Eradikation doch möglich? |
29.11.2005 15:08 Uhr |
HIV-Eradikation doch möglich?
von Patrick Hollstein, Berlin
Bislang ging man davon aus, dass die Eliminierung sämtlicher HI-Viren aus dem menschlichen Körper auf Grund der Langlebigkeit latent infizierter Zellreservoire grundsätzlich nicht möglich sei. Im Fachmagazin »Lancet« berichtet nun eine Forschergruppe von einem neuartigen Ansatz mit einem altbekannten Arzneistoff: Valproinsäure.
Durch die kombinierte Einnahme antiretroviraler Medikamente können HIV-Infizierte über Jahre hinweg die Viruslast unter die Nachweisgrenze senken und den Ausbruch der Immunschwächekrankheit Aids verhindern. Ewig unterdrücken oder gar heilen lässt sich die Infektion auf diese Weise jedoch nicht. Denn alle derzeitigen HIV-Medikamente greifen auf der Stufe der Virusvermehrung an, sind aber wirkungslos gegen die lange latente Phase, in der sich das Virus nicht vermehrt.
Um sich in den »schützenden Tiefschlaf« zu versetzen, nutzen die Viren das Enzym Histondeacetylase-1 (HDAC-1). In der Wirtszelle ist die zinkabhängige Amidohydrolase an der Steuerung von Replikation und Transkription beteiligt. Wird das Enzym gehemmt, kommt es zu einer Hyperacetylierung von Histonen, woraufhin die Zelle zu neuem Leben erwacht. »Versteckte« Viren, so die Theorie, könnten mit HDAC-1-Hemmstoffen wie Valproinsäure gezielt aus ihren Speichern gelockt und anschließend durch Virustatika vernichtet werden.
US-amerikanische Forscher um Professor Dr. David Margolis von der University of North Carolina, Chapell Hill, haben in einer Pilotstudie mit vier HIV-infizierten Probanden die Wirkung von Valproinsäure und HAART auf die viralen Speicherbestände untersucht. Bei allen Probanden war bereits im Vorfeld im Rahmen der regulären Therapie mit HAART das Virus erfolgreich supprimiert worden. Die Patienten erhielten jeweils 500 bis 750 mg Valproinsäure zweimal täglich über drei Monate - im Vergleich zur Epilepsiebehandlung relativ geringe Dosen. Um die HAART noch zu intensivieren und um die durch Valproinsäure freigesetzten Viren theoretisch gleich »abzufangen«, wurde den Patienten zu Versuchsbeginn zweimal täglich über vier bis sechs Wochen der Fusionshemmer Enfuvirtid (Fuzeon®) injiziert.
In den nachfolgenden Anzüchtungsversuchen konnten die Forscher nachweisen, dass bei drei der vier Patienten die Zahl der verbliebenen HIV-infizierten CD4+-Zellen um 75 Prozent gesenkt wurde. Nicht infizierte Immunzellen wurden nicht negativ beeinflusst. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten unter der Behandlung nicht auf; ein Patient entwickelte eine Anämie, die Folge einer Wechselwirkung von Valproinsäure mit vorher verabreichtem Zidovudin sein könnte. Bei zwei Patienten kam es trotz antiinfektiver Begleittherapie zu einer Virämie, deren Ursache und Bedeutung bislang unklar sind.
Trotz der optimistisch stimmenden Ergebnisse gibt es noch viele offene Fragen: Ist der virologische Effekt wirklich auf Valproinsäure zurückzuführen? Ist er auch bei einem größeren Patientenkollektiv reproduzierbar? Warum konnte er nur bei drei der vier Probanden gemessen werden? Hier kann derzeit nur spekuliert werden, Ergebnisse weiterer klinischer Studien sollen im Februar vorgestellt werden.
Quelle: Lehrmann, G., et al., Depletion of latent HIV-1 infection in vivo. Lancet 366 (2005) 549-555