Kranksein in Bildern |
22.11.2017 10:58 Uhr |
Von Anna Pannen / Comics galten mal als Kinderkram, doch das ist lange vorbei. Heute behandelt das Medium anspruchsvolle Themen und erreicht eine große Leserschaft. In Berlin zeigt eine Ausstellung, wie Autoren in Comics von ihren Krankheiten erzählen.
Was heißt es, krank zu sein? Diese Frage spielt in Kunst und Literatur nicht erst seit gestern eine Rolle. Von der mittelalterlichen Pestdarstellung bis zu Thomas Manns Tuberkulose-Roman »Der Zauberberg« widmeten sich Maler und Schriftsteller dem kranken Menschen. An der Charité Berlin zeigt die Ausstellung »SICK! Kranksein im Comic« noch bis März, wie Autoren die Leiden von sich und Angehörigen im Medium Comic erfahrbar machen. Ein Forschungsprojekt zum Thema läuft unter dem Titel »PathoGraphics« bereits seit 2016 an der Freien Universität Berlin.
Foto: Ana Monteiro, 2017
Zentrale Fragen: Mit welchen Mitteln schaffen es zeitgenössische Künstler, Literaten und Comicautoren, das Erleben einer Krankheit so darzustellen, dass der Leser oder Betrachter es tatsächlich nachempfinden kann? Arbeiten deutsche Autoren hier anders als beispielsweise US-amerikanische? Und wenn ja, was sagt das über den Umgang mit bestimmten Krankheiten in einer Gesellschaft aus? Die Ausstellung an der Charité zeigt nur einen kleinen Teil der Werke, die im Rahmen des Projekts untersucht werden. Gleichwohl bekommen Besucher einen Eindruck davon, was das Medium Comic leisten kann.
Und das ist nicht wenig. Zwar überfliegt beinahe jeder von uns regelmäßig Comics – und sei es nur der tägliche Comicstrip in der Tageszeitung. Wie das Medium funktioniert, darüber machen wir uns allerdings kaum Gedanken. Tatsächlich setzen Comics weit mehr als beispielsweise literarische Fließtexte die Denkleistung des Lesers voraus. Comics bestehen (im Gegensatz zu Cartoons) aus mehreren, einander folgenden Bildern, sogenannten Panels. Sie ermöglichen es dem Comicautor, Handlungen und das Vergehen von Zeit darzustellen. Dabei nutzt er die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, Zwischenräume zu füllen.
Geschickte Anordnung
Folgt etwa auf ein Bild zweier offener Augen das Bild zweier geschlossener Augen, denkt sich der Leser die Schließbewegung und die Zeit, die währenddessen vergeht, hinzu. Zeigen die Bilder links und rechts davon jeweils eine Frau im Bett, wie in Ana Monteiros Depressions-Comic »Calvariae Locus«, schlussfolgert er, dass es um Schlaflosigkeit geht – ohne dass der Begriff überhaupt fällt. Was der Verfasser eines Romans also mit sorgfältig gewählten Worten erst erklären muss, kann ein Comicautor ganz ohne Worte zeigen – wenn er die Panels geschickt anordnet.
Um Bedeutung zu erzeugen, können Comicautoren auf viele grafische Tricks zurückgreifen und die Panels in Größe, Form und Anordnung verändern. So können sie den Eindruck von Enge und Weite, Eile und Langsamkeit, Bewegung und Stillstand schaffen. Der Leser nimmt diesen Eindruck wahr, ohne dass ihm bewusst wird, wodurch er erzeugt wird.
Mit der Charité haben die Ausstellungsmacher einen idealen Ort gefunden, um die Fähigkeiten des Mediums Comic zu präsentieren. Die Comicausstellung ist in die Dauerausstellung des Medizinhistorischen Museums der Charité eingebaut: In dieser pathologisch-anatomischen Sammlung werden Präparate aus der Geschichte der Medizin präsentiert. In hohen Regalen reiht sich Glas an Glas, darin Gliedmaßen, erkrankte Organe oder missgebildete Feten. Die Ausstellung ist lehrreich, erzeugt bei vielen Besuchern jedoch einen leichten Grusel. Der rein medizinische Blick auf den menschlichen Körper und seine Leiden weckt Unbehagen. Das weiß auch der Direktor des Museums, Thomas Schnalke: »Unsere Präparate sind sehr nüchtern, sie atmen den Geist und die Sprache der Medizin«.
Persönlich statt sachlich
Mit der Comicausstellung wollten die Macher einen Gegenpart schaffen. Auf Stellwänden zwischen den Regalen sind vergrößerte Comicseiten dargestellt, umrahmt von Informationen zum Autor und Erklärungen zu einzelnen Panels. An einer Kette hängt außerdem der Original-Comic und lädt zum Lesen ein. Die Ausstellungsbesucher stoßen auf persönliche Geschichten. Die Comics befassen sich mit der Krankheit des Autors oder eines seiner Angehörigen und schildern den Krankheitsalltag mal traurig, mal ironisch, mal verzweifelt. »Uns war es wichtig, den medizinischen Präparaten die Perspektive einzelner Individuen gegenüber zu stellen«, betont Irmela Krüger-Fürhoff, FU-Professorin und Leiterin von »PathoGraphics«.
Eine dieser Perspektiven kommt vom Australier Safdar Ahmed. Er beschreibt in seinem autobiografischen Comic »My battle with Crohn’s Disease« das Leben mit der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn. Ahmed lässt dabei auch die unangenehmen Details nicht aus, bewahrt sich jedoch einen ironischen Blick auf die Krankheit, wenn er etwa seinem künstlichen Darmausgang auf dem Papier einen fiesen Gesichtsausdruck und einen hinterhältigen Charakter verpasst.
In anderen Comics der Ausstellung geht es um Demenz, Depressionen oder Lungenerkrankungen. Gleich zwei Autorinnen beschäftigen sich mit ungewollter Kinderlosigkeit: Paula Knight aus Großbritannien und die US-Amerikanerin Emily Steinberg beschreiben in ihren Comics nicht nur das schmerzhafte Gefühl weiblichen Versagens, das dem Thema anhaftet. Sie schildern auch Begegnungen mit unsensiblen Ärzten und den Eindruck, sich infolge der wiederkehrenden Behandlungen wie ein Versuchstier zu fühlen.
Und so kommt der Betrachter nicht umhin, sich auch die Geschichten hinter den übrigen Exponaten der Dauerausstellung vorzustellen. Wer waren die Patienten, in deren Körpern die ausgestellten Organe erkrankten? Wie haben sie die Diagnose erlebt, wie die Gespräche mit den behandelnden Ärzten und wie sind sie schließlich gestorben? Die Ausstellung zeigt einmal mehr auf, wie variabel die Grenzen des Mediums Comic sind. Die Besucher erkennen, wie viel Bedeutung im Ungesagten steckt und spinnen Geschichten dort weiter, wo das Papier endet. /
Forschungsprojekt »PathoGraphics«: Wie stellt man Krankheitserleben künstlerisch so dar, dass Leser und Betrachter es nachempfinden können?
Wer heute in Buchläden in der Comicabteilung stöbert, stößt oft auf den Begriff »Graphic Novel«. Deutsche Verlage kleben Etiketten mit dieser Bezeichnung gerne auf lange Comics in Buchform, die eine komplexe Handlung aufweisen und explizit für Erwachsene geeignet sind. Tatsächlich haftet dem Wort Comic hierzulande noch immer ein Kinderimage an – ganz anders als etwa in Frankreich und Belgien, wo die sogenannten »Bandes dessinées« als ernsthafte Literaturform gelten.
Der Begriff Graphic Novel stammt aus den USA, wo er in den Achtzigerjahren als Abgrenzung zu billigen Comicheften und Superhelden-Alben entwickelt wurde. Eine der ersten Graphic Novels war dort 1986 Art Spiegelmans »Maus – die Geschichte eines Überlebens«. Der Autor schildert darin die Jugend seines Vaters, eines Auschwitzüberlebenden. 1992 erhielt er für das Buch den Pulitzer-Preis.
Im deutschsprachigen Raum haben sich inzwischen mehrere Verlage auf anspruchsvolle Comic-Literatur spezialisiert. Viele bekannte Comicautoren lehnen die Bezeichnung Graphic Novel allerdings ab. Sie sei rein kommerziell und stärke das Vorurteil, dass herkömmliche Comics nicht ernst zu nehmen sind, argumentieren sie.