Trommeln gegen die Reform |
13.11.2006 11:16 Uhr |
Trommeln gegen die Reform
Von Thomas Bellartz, Brigitte M. Gensthaler und Sven Siebenand, München
Der Lärm war ohrenbetäubend: Mit Trillerpfeifen und Hupen waren mehr als 10.000 Apotheker und Angestellte auf den Münchner Odeonsplatz gekommen. Damit unterstützten sie die Berufs- und Patientenvertreter, die mit deutlichen Worten die Reformpläne der Koalition angriffen.
Nach der erfolgreichen Premiere am 1. November in Leipzig waren die Veranstalter der zweiten Demonstration, die Berufsorganisationen aus Bayern und Baden-Württemberg sowie die Apothekengewerkschaft Adexa, sichtlich erfreut, dass ab 10 Uhr immer mehr Teilnehmer, viele im weißen Kittel, zum Odeonsplatz strömten. Ausgerüstet mit Trillerpfeifen, Ratschen und Sirenen, zahllosen Plakaten und Transparenten waren selbstständige und angestellte Apothekerinnen und Apotheker, Pharmaziestudenten, PTA und PKA sowie Auszubildende mit Sonderbussen, aber auch in Eigenregie aus Bayern und Baden-Württemberg sowie anderen Bundesländern nach München gekommen.
Das Medienecho war sehr groß. Die führenden Nachrichtenagenturen, Fotografen, Fernseh- und Hörfunkteams tummelten sich neben den Rednern auf dem Podium. Wie in Leipzig gelangte die Kritik der Apotheker an in die Öffentlichkeit. Die meisten Teilnehmer trieb die Sorge um ihren Arbeitsplatz und die Zukunft der Patientenversorgung zur Demonstration, die von der bayerischen Kammer (BLAK) und dem Verband (BAV) federführend organisiert worden war. Auf zahlreichen Plakaten waren Sprüche zu lesen wie »Merkel in Not, Ulla in Rot, die zwei in einem Boot machen Apotheken tot«, »Apotheke - vom Abschuss bedroht«, »Fragen Sie Ihren Apotheker, solange es ihn noch gibt« oder »Bald arbeitslos statt angestellt«.
Nach Ende der Kundgebung auf dem Odeonsplatz formierte sich spontan ein kurzer Zug von Demonstranten, die in ihren weißen Kitteln und mit den Transparenten in Richtung Marienplatz zogen. Etliche nutzten auch die Chance, direkt mit Passanten ins Gespräch zu kommen.
Apotheker wollen keine Lückenbüßer sein, stellte der BAV-Vorsitzende Gerhard Reichert klar. Sie wollten weder mit Patienten um Preise feilschen noch Preisdumping betreiben. Er warnte die Politiker davor, »das beste Arzneimittelversorgungssystem der Welt« unwiederbringlich zu zerschlagen. Er wandte sich ebenso wie sein Kollege aus Baden-Württemberg, LAV-Präsident Fritz Becker, entschieden gegen soziale Kälte im Gesundheitswesen und in der Arzneiversorgung. Doch um die Arbeit auf hohem Niveau fortführen zu können, brauchten die Apotheker ein solides wirtschaftliches Fundament.
Immer wieder betonten die Redner die Bedeutung der Beratung und Betreuung kranker Menschen in der Apotheke und wurden darin vom Patientenvertreter Hans Kahle, Deutscher Diabetiker Bund Bayern, nachdrücklich unterstützt. So galt eine der zentralen Forderungen in München dem Erhalt eines Gesundheitswesens, in dem der Patient im Mittelpunkt steht. Die Apotheker und ihre Mitarbeiter kämpfen für die flächendeckende wohnortnahe Arzneimittelversorgung rund um die Uhr, betonte der bayerische Kammerpräsident Dr. Ulrich Krötsch. Er wandte sich an die zahlreichen Bürger, die die Demonstration verfolgten, und warnte vor Billigmedizin und Internethandel mit Arzneimitteln.
Die Apotheke stehe für Arzneimittelsicherheit. Hier gebe es keine gefälschten Medikamente, was beim Internetbezug nicht gewährleistet sei. Patienten dürften auch künftig nicht »zwischen Fototaschen und Klopapier abgefertigt« werden, legte der baden-württembergische Kammerpräsident Dr. Günther Hanke mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung zur Rezeptsammlung in dm-Märkten nach.
Drohender Verlust von Arbeitsplätzen, auch dieses Argument gegen das Reformvorhaben zog sich wie ein roter Faden durch die emotionsgeladenen Statements der Redner. In den beiden Flächenstaaten Bayern und Baden-Württemberg stehe die flächendeckende Apothekenpräsenz auf dem Spiel, hieß es. »Landleben 2007: kein Arzt, keine Apotheke, keine Arbeit« brachte ein Teilnehmer seine düstere Zukunftsvision aufs Plakat.
Berührungsängste zwischen Apothekern und Nicht-Approbierten gab es in München nicht. Gemeinsam protestierten viele junge Menschen und sehr viele Frauen gegen den Reformkurs der großen Koalition. Das ist für Adexa-Bundesvorsitzende Monika Oppenkowski nur folgerichtig: »Denn wenn es den Apotheken schlecht geht, geht es auch den Angestellten schlecht.« Viele hätten nur darauf gewartet, dass es endlich »auf die Straße geht«, sagte sie. »Tausende Mitarbeiter müssen um ihren Arbeitsplatz bangen. Grob geschätzt fällt pro Apotheke eine Stelle weg. In den ostdeutschen Bundesländern hat das eine besondere Brisanz, denn viele Frauen erwirtschaften durch die Tätigkeit in der Apotheke einen Großteil des Familieneinkommens.«
Die öffentlichkeitswirksame Aktion von Berufsverbänden und Adexa kam bei den Demonstranten im weißen Kittel gut an. »Wir dürfen nicht nur hinter verschlossenen Türen schimpfen, jetzt es geht um die Zukunft der Apotheken und ihrer Mitarbeiter. Ohne Apotheke keine hochwertigen Arbeitsplätze,« sagte Apotheker Christian Kraus aus Pforzheim. In Kettenapotheken herrschten Arbeitsbedingungen wie in anderen Unternehmensketten auch. Noch viel mehr Teilnehmer hätte sich Susanne Komes, PTA aus Stuttgart, gewünscht. »Nur die Masse kann etwas bewegen. Wir sind gekommen, weil wir Einfluss nehmen wollen, bevor das Gesetz beschlossen wird. Wir haben alle Angst um unsere Arbeitsplätze.« Auch in den Folgetagen gingen viele positive Rückmeldungen bei den Veranstaltern ein.
Die Botschaft der Apotheker kam auch bei den Medien gut an. »Weniger Service, weniger Zeit« titelte der Münchner Merkur und in der Süddeutschen Zeitung war am Tag nach der Demo von der Vernichtung von Arbeitsplätzen zu lesen. Auch etliche Regionalzeitungen Bayerns und Baden-Württembergs berichteten über die Demo. In Radio und Fernsehen kamen die Apotheker teils sehr ausführlich und mit Interviews zu Wort, beispielsweise im Bayerischen Rundfunk sowie Fernsehen, in SAT 1, München TV und TV Bayern. Kleiner Wermutstropfen: Die ARD berichtete nicht in der abendlichen Tagesschau, sondern nur in ihrer 15-Uhr-Sendung. Überregionale Tageszeitungen hielten sich mit einer Berichterstattung aber zurück.