Fortschritte in der Impfstoffentwicklung |
13.11.2006 11:16 Uhr |
Fortschritte in der Impfstoffentwicklung
Von Bettina Wick-Urban
Weltweit wird fieberhaft an der Entwicklung von Vogelgrippeimpfstoffen gearbeitet. Im Pandemiefall wird die schnelle Produktion großer Vakzinemengen von entscheidender Bedeutung sein. Dies ist jedoch mit dem bislang eingesetzten Verfahren, das bebrütete Hühnereier verwendet, nicht möglich. Neue Ansätze sind notwendig.
Der Herbst ist da. Die Zugvögel überfliegen Deutschland, um in südlicheren Gefilden zu überwintern. Damit steigt auch wieder das Risiko für Vogelgrippe-Fälle in der Bundesrepublik. Das Risiko für Menschen, an einer H5N1-Infektion zu erkranken, ist zurzeit weltweit immer noch äußerst gering. Seit November 2005 hat die WHO dem Vogelgrippeerreger H5N1 unverändert die Stufe 3 in einem sechsstufigen Pandemiewarnschema zugeordnet, das heißt den Beginn der Alarmphase. Diese Stufe ist dadurch definiert, dass die Viren in seltenen Einzelfällen von Tieren auf den Menschen übergegangen sind. Das Virus könnte aber die Fähigkeit erlangen, effektiver als bisher Menschen zu infizieren und vor allem von Mensch zu Mensch übertragen zu werden. Laut WHO gibt es bislang aber keine Anzeichen hierfür. Experten sind sich jedoch weltweit einig, dass seit dem Ausbruch der letzten Pandemie 1968 die Gefahr einer neuen Pandemie nicht mehr so hoch war wie heute. Sollte es zum Ausbruch einer Pandemie kommen, wird mit einer Erkrankungsrate von 30 Prozent gerechnet. Die einzige Möglichkeit dieses zu verhindern, ist die Bevölkerung flächendeckend zu impfen.
Wettlauf mit der Zeit
Bei der Entwicklung der Impfstoffe verfolgen Wissenschaftler verschiedene Ansätze. So wird bei herkömmlichen, auf bebrüteten Hühnereiern produzierten Impfstoffen versucht, durch den Einsatz neuartiger Adjuvantien die benötigte Antigendosis zu reduzieren, um größere Impfstoffmegen produzieren zu können. Völlig neue Wege werden hingegen mit Impfstoffen beschritten, bei denen die verwendeten Viren in Zellkulturen vermehrt werden. Auch rekombinante Impfstoffe befinden sich in der Entwicklung. Der Vorteil zellkulturbasierter und rekombinanter Impfstoffe ist, dass sie schneller und in größeren Mengen produziert werden können.
Am weitesten vorangeschritten ist die Entwicklung von herkömmlichen Impfstoffen. Mehrere Hersteller, unter anderem GlaxoSmithKline (GSK), Sanofi-Pasteur und Novartis, haben bereits die Zulassung im Rahmen des sogenannten Core-Dossier-Procederes bei der europäischen Zulassungsbehörde EMEA für einen Prototyp beantragt. Weitere Zulassungsanträge werden in Kürze erwartet.
Das Procedere sieht eine Zulassung in zwei Stufen vor. Vor dem Auftreten einer Pandemie können Pharmafirmen ein »Core-Dossier« einreichen, das die klinischen Daten zur Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit eines Impfstoff-Prototyps enthält. Das heißt in den klinischen Studien wird Impfstoff mit einem Virusstamm verwendet, der bei einem vergangenen Ausbruch der Vogelgrippe identifiziert wurde. Dabei müssen die Hersteller die Verträglichkeit und Immunogenität des Prototyps nachweisen. Wird im Falle einer Pandemie der Impfstoff mit dem tatsächlichen Erreger produziert, kann der Hersteller die Zulassung im Rahmen eines beschleunigten Änderungsverfahrens beantragen und muss nur noch wenige Daten nachliefern.
Verringerte Dosis durch Adjuvantien
Der von GSK zur Zulassung angemeldete Impfstoff enthält Teile eines inaktivierten H5N1-Virus. Im Juli hat das Unternehmen erste Ergebnisse einer belgischen Phase-I-Studie mit 400 Probanden veröffentlicht. Vier verschiedene Hämagglutininkonzentrationen (3,75 bis 30 µg) wurden in einer Formulierung mit einem neu entwickelten Adjuvans getestet. Bereits die niedrigste Antigenkonzentration erzeugte bei 80 Prozent der Probanden nach zweimaliger Impfung innerhalb von vier Wochen eine ausreichende Antikörperantwort, die vor einer Infektion schützen würde. Eine einjährige Phase-III-Studie mit 1250 Probanden soll noch dieses Jahr in Deutschland beginnen.
Eine deutlich höhere Antigendosis benötigt der von Sanofi-Pasteur entwickelte Impfstoff, der Aluminiumhydroxid als Adjuvans enthält. Einen ausreichenden Schutz erreichte die Vakzine erst mit einer achtfach höheren Antigenkonzentration als der GSK-Kandidat. Die im Fachjournal »Lancet« veröffentlichte französische Phase-I-Studie schloss 300 Probanden ein. Verwendet wurde ebenfalls ein inaktiviertes H5N1-Spaltvirus. Drei verschiedene Antigenkonzentrationen (entsprechend 7,5, 15 oder 30 µg Hämagglutinin) mit oder ohne Aluminiumhydroxid wurden den Probanden zweimal intramuskulär in vierwöchigem Abstand injiziert. Der Impfstoff wurde gut vertragen. Eine ausreichende Immunantwort wurde bei 67 Prozent der Probanden nur mit der höchsten Antigenkonzentration von 30 µg erreicht.
Niedrigere Antigenkonzentrationen trotz Verwendung von Aluminiumhydroxid als Adjuvans waren in einer von Sinovac gesponserten chinesischen Phase-I-Studie ausreichend, um bei Probanden eine Immunantwort zu erzielen. Im Gegensatz zum Spaltvirus-Impfstoff von GSK und Sanofi-Pasteur wurde jedoch eine inaktivierte H5N1-Ganzvirus-Vakzine verwendet, die stärker immunogen wirkt. Für Ganzvirus-Impfstoffe werden die Erreger nur mithilfe von Formaldehyd, beta-Propiolacton und Psoralen inaktiviert, für Spaltvirus-Impfstoffe werden die inaktivierten Viren noch durch Detergentien aufgebrochen. Bereits bei einer Antigenkonzentration von 10 µg zeigten 78 Prozent der Probanden nach zweimaliger Impfung innerhalb von vier Wochen eine ausreichende Antikörperantwort. Der Ganzvirus-Impfstoff wurde gut vertragen.
Allen drei Impfstoffen ist gemeinsam, dass sie mithilfe von bebrüteten Hühnereiern hergestellt werden. Bei diesen Impfstoffen ist davon auszugehen, dass es im Falle einer Pandemie zu einem Engpass kommen wird, da nicht genügend Hühnereier in kurzer Zeit bereitgestellt werden können.
Zellkulturbasierter Impfstoff
Vielversprechender sind daher zellkulturbasierte Impfstoffe, die auf den Einsatz von bebrüteten Hühnereiern verzichten. Anfang Oktober meldete die Firma Baxter einen Durchbruch bei der Entwicklung eines zellkulturbasierten Impfstoffs. In einer Phase-I/II-Studie an 270 gesunden Probanden in Österreich und Singapur wurde der eingesetzte Impfstoff gut vertragen. Er erzeugte eine hohe Immunogenität gegenüber dem verwendeten H5N1-Virusstamm (A Vietnam 1203/2004), aber auch gegenüber anderen H5N1-Stämmen. Vier verschiedene Antigenkonzentrationen von 3,75 bis 30 µg Hämagglutinin wurden mit und ohne Adjuvans getestet. Bereits in der niedrigsten Konzentration ohne Zugabe eines Adjuvans konnte eine ausreichende Antikörperantwort im Serum der Probanden nachgewiesen werden. Die beobachteten Nebenwirkungen waren in der Häufigkeit und Schwere vergleichbar mit denen von bereits zugelassenen Grippeimpfstoffen. Reaktionen an der Injektionsstelle, Müdigkeit und Kopfschmerzen waren die häufigsten Symptome.
Neuartig an diesem Ganzvirus-Impfstoff ist, dass die Viren nach Infektion von immortalen Affennierenzellen (African Green Monkey Kidney Epithelial Cells, VERO) in tierserumfreiem Nährmedium vermehrt werden. Dieses Verfahren beschleunigt die Impfstoffproduktion und erzielt auch höhere Ausbeuten als bei Vermehrung der Viren in Hühnereiern. Die Produktion eines Impfstoffs in Zellkultur dauert etwa sechzehn Wochen im Vergleich zu sechs Monaten in Hühnereiern. Zudem stehen die verwendeten Wirtszellen und das Nährmedium in unbegrenzter Menge zur Verfügung. Baxter plant, Anfang 2007 die zulassungsrelevanten Phase-III-Studien durchzuführen.
Auch Novartis entwickelt einen zellkulturbasierten Impfstoff. Als Wirtszelle für die Vermehrung der Viren wird eine immortale Hundenierenzelle (Madin Darby Canine Kidney Cell, MDCK) eingesetzt. Diese soll drei- bis zehnfach höhere Viruskonzentrationen produzieren als die von Baxter verwendete Zelllinie. In einer amerikanischen Phase-I-Studie erhielten 96 Probanden im Alter von 18 bis 34 Jahren eine zweimalige Injektion einer H9N2-Spaltvirus-Vakzine im Abstand von vier Wochen. Beim H9N2-Virus handelt es sich ebenfalls um ein Vogelgrippevirus, das auf den Mensch übertragbar ist. Vier verschiedene Antigenkonzentrationen von 3,75 bis 30 µg Hämagglutinin wurden mit und ohne Adjuvans getestet. Dabei zeigten Probanden, die den Impfstoff mit dem neu entwickelten Adjuvans MF59 enthielten, bereits nach einer Injektion eine ausreichende Immunantwort. Der Impfstoff wurde generell gut vertragen. Probanden, die den adjuvanshaltigen Impfstoff erhielten, berichteten häufiger über Beschwerden im Arm. Im März und Oktober dieses Jahres hat Novartis zwei Phase-II-Studien mit einer H5N1-Vakzine begonnen. Beide Studien werden in Italien mit 520 beziehungsweise 45 Patienten durchgeführt. Ergebnisse liegen noch keine vor.
Erster DNA-Impfstoff getestet
Eine DNA-Vakzine hat die britischen Firma Powdermed entwickelt. Bei DNA-Vakzinen wird die DNA-Sequenz mit der genetischen Information für das gewünschte Antigen aus dem Virus isoliert und zusammen mit einem sogenannten eukaryotischen Promotor in die ringförmige DNA eines Bakteriums (Plasmid) integriert. Der Promotor ist verantwortlich für die Proteinexpression. Wird die DNA-Vakzine intramuskulär injiziert, nimmt die Muskelzelle aus noch nicht genau geklärten Gründen die DNA auf und produziert das Protein. Das Immunsystem erkennt das Protein als fremd und bildet Antikörper. Für den Powdermed-Impfstoff wurde aus einem H5N1-Virus der DNA-Abschnitt isoliert, der die genetische Information für das Hämagglutininprotein enthält. In einer ersten in den USA durchgeführten Phase-I-Studie erhielten 36 Probanden 1, 2 oder 4 µg DNA mittels einer nadelfreien Injektion intramuskulär appliziert. Probanden, denen die höchste Konzentration injiziert wurde, zeigten alle eine ausreichende Immunantwort. Der Impfstoff war gut verträglich, zum Teil wurden Reaktionen an der Injektionsstelle beobachtet. Die Rekrutierung für eine Phase-II-Studie in Großbritannien hat im August begonnen.
Noch in der präklinischen Entwicklung befindet sich ein rekombinanter Impfstoff, der an der Universität von Pittsburgh entwickelt wurde. Die Wissenschaftler haben dabei aus einem H5N1-Virus den DNA-Abschnitt isoliert, der die genetische Information für das Hämagglutininprotein enthält. Dieses DNA-Fragment wurde an einer bestimmten Stelle in die ringförmige DNA von Adenoviren integriert, die das Fremdprotein in einem Nährmedium produzierten. Das isolierte und gereinigte Hämagglutininprotein wurde anschließend im Tierversuch an Hühnern getestet. Alle Hühner, denen das Protein injiziert wurde, entwickelten Antikörper und überlebten eine anschließende Infektion mit dem Virus. Dagegen starben alle Hühner in der Kontrollgruppe. Die Produktion des Impfstoffes von der Isolierung der DNA bis zum fertigen Impfstoff dauerte nur 36 Tage.
Die bislang vorliegenden Studienergebnisse der Vogelgrippeimpfstoffe sind vielversprechend. Jedoch sind insbesondere die rekombinanten Impfstoffe in einem frühen experimentellen Entwicklungsstadium. Hier müssen die Ergebnisse größerer Studien abgewartet werden, inwiefern diese Impfstoffe durch das Einschleusen von fremder DNA unerwünschte Wirkungen auslösen können. Bis zur Zulassung von zellkulturbasierten Impfstoffen werden schätzungsweise noch zwei bis drei Jahre vergehen. Lediglich der in Hühnereiern produzierte Impfstoff von GSK könnte Ende 2007 zur Verfügung stehen, falls die nun begonnene Phase-III-Studie erfolgreich ist.
Literatur bei der Autorin