Das Gesetz ist Schrott |
14.11.2006 17:20 Uhr |
Das Gesetz ist Schrott
Von Daniel Rücker
Die Gesundheitsreform eint Gruppen, die zuvor selten gleicher Meinung waren. So können an den WSG-Regelungen zum Arzneimittelmarkt die Krankenkassen ebenso wenig Positives erkennen wie die Apotheker.
Obwohl den Krankenkassen mit der Höchstpreisverordnung, der Rabatthaftung oder der Möglichkeit, Einzelverträge abzuschließen eine Folterkammer voller Kostendämpfungsinstrumente in die Hand gegeben wurde, lehnt der Vorsitzende des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen, Wolfgang Schmeinck, das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) komplett ab: »Gesetze müssen ihren Namen nicht rechtfertigen«, sagte er auf dem Management-Kongress von Pharmazeutischer Zeitung und Lauer Fischer in Camp de Mar, Mallorca. Das GKV-WSG enthalte wenig Sinnvolles, dafür eine ganze Menge von Wettbewerbszerstörern.
Am meisten stört den BKK-Chef natürlich der Gesundheitsfonds, der nicht nur seiner Meinung nach, den Wettbewerb zwischen den Kassen fast vollständig zum Erliegen bringen wird. Mit dem Gesundheitsfonds soll ab 2009 ein einheitlicher Kassenbeitrag mit einer marginalen Zusatzprämie eingeführt werden. Zudem sollen die heutigen GKV-Spitzenverbände in einem Einheits-Dachverband aufgehen. Besonders fatal sei diese Regelung auch deshalb, weil sie nach ihrer Umsetzung so gut wie unumkehrbar ist, sagte Schmeinck. Sein Fazit: »Das Gesetz ist Schrott.«
Preislinien statt Verhandlungen
Doch auch mit der Vielzahl von Veränderungen für die Arzneimittelversorgung kann Schmeinck nicht viel anfangen. Die zuletzt deutlich gestiegene Transparenz im Markt werde durch das GKV-WSG wieder zerstört. Grundsätzlich hält er auch Preislinien wie Festbeträge geeigneter für die Kostendämpfung als Verhandlungen.
Bei der Bewertung einzelner WSG-Instrumente kommt er allerdings zu anderen Ergebnissen als die ABDA. So rechnen die GKV-Spitzenverbände nicht mit Einsparungen durch die Umstellung der Arzneimittelpreisverordnung auf Höchstpreise. Die Bundesregierung erwartet dagegen eine Kostensenkung um 1 Milliarde Euro pro Jahr. Der Vorsitzende des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, Dr. Peter Froese, hält die Prognose der Bundesregierung ebenfalls für realistisch. Mit fatalen Konsequenzen für die Apotheker. »Das wäre etwa ein Viertel des Rohertrags der gesamten Branche«, sagte er während des Management-Kongresses.
Unterschiedliche Bewertung
Völlig unterschiedlich bewerten Schmeinck und Froese auch die Auswirkungen des Zuzahlungsverzichts, der Apothekern mit dem WSG gestattet werden soll. Froese hält diese Passage des Gesetzes sogar für die gefährlichste, da sie sehr schnell wirken werde. Schmeinck glaubt daran nicht und liegt damit auf einer Linie mit dem Münchner Gesundheitsökonom Professor Dr. Günther Neubauer. Dieser bezweifelte in Camp de Mar stark, dass Apotheker freiwillig auf einen großen Teil ihrer Marge verzichten wollten und könnten. Zumal der Verzicht auf die Zuzahlung oder einen Teil davon eine Erwartungshaltung bei den Kunden wecke, die langfristig nicht zu erfüllen sei.
Neubauer teilt mit Schmeinck und Froese die Antipathie gegen das GKV-WSG. Es versuche nicht einmal, das eigentliche Problem des Gesundheitswesens zu lösen, nämlich die Ausgaben vom Arbeitsentgelt zu lösen und die Finanzierung der GKV auf eine breitere und stabile Basis zu stellen. Wie die beiden anderen Redner hält er das Gesetz für absolut wettbewerbsfeindlich.
Im Verlauf der Diskussion zeigte sich jedoch auch, dass Ökonomen, Krankenkassenvertreter und Apotheker unter Wettbewerb keinesfalls dasselbe verstehen. Während sich Schmeinck angesichts der desaströsen Kassenlage vor allem einen Wettbewerb um den günstigsten Preis wünscht, favorisiert Froese den Wettbewerb um die beste Versorgung. Neubauer sieht die Effizienz als Ziel.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass aus der Einigkeit, das Gesetz grundsätzlich abzulehnen, schnell Differenzen werden, wenn es um den richtigen Weg einer Reform geht. Der Gesundheitsökonom kann wie die meisten seiner Zunft an einer weiteren Deregulierung mit einem Wettbewerb zwischen Einzelapotheken, Apothekerverbünden und im Fremdbesitz befindlichen Apothekenketten nichts Schlechtes erkennen. Dasselbe gilt für Verträge zwischen einzelnen Apothekern und Krankenkassen. Verträge auf Verbandsebene lehnt Neubauer nicht ab, er hält sie aber auch nicht für so effektiv wie die kleinerer Einheiten. Hier könne der individuelle Nutzen für die Beteiligten größer sein.
Dagegen möchten Schmeinck und Froese der Selbstverwaltung diese Aufgabe im Wesentlichen überlassen. Wobei der Kassenchef auf Anbieterseite auch mit kleineren Gruppen verhandeln möchte. Froese warb dagegen für Rahmenverträge zwischen Apotheker- und Kassenverbänden oder Einzelkassen. Das bedeute für ihn jedoch nicht, dass jede Apotheke automatisch an jedem Vertrag beteiligt sein muss.
Einig waren sich die drei Diskutanten wiederum in ihrer Kritik an der Inkonsistenz des WSG. Das WSG sei zum einen inkompatibel zu anderen Gesetzen, zum anderen widersprächen sich auch einzelne Passagen des Gesetzes. Vor allem die offensichtlichen Widersprüche zwischen WSG und dem Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) fallen sofort auf. So kann Schmeinck nicht verstehen, dass nun über die bestehenden weitere Verhandlungsmöglichkeiten mit der Pharmaindustrie ins Gesetz geschrieben worden seien. Die neuerliche Festbetragsabsenkung und die Möglichkeit, besonders preiswerte Medikamente von der Zuzahlung zu befreien, seien effiziente Werkzeuge zur Kostensenkung. Sie würden durch das WSG eher verwässert.
Froese wies erneut darauf hin, dass die Apotheker sich an Verträgen zwischen Krankenkassen und Pharmaherstellern gerne beteiligen würden, jedoch nicht bereit seien, die finanzielle Haftung dafür zu übernehmen. Zudem mache die Haftungsübernahme aus Sicht von Herstellern und Kassen weitere Verhandlungen überflüssig.
Die Regierung hat bislang auf die Kritik von allen Seiten mit dem Verweis reagiert, wenn alle Interessensgruppen gegen das Gesetz seien, dann belege dies die Ausgewogenheit. Dabei verkennt sie jedoch, dass die meisten Gruppen nicht nur Regelungen betreffen, die sie selbst unmittelbar schädigen. So lehnen die Apotheker den Einheitsfonds ab und die Krankenkassen den Gesetzeswirrwarr in der Arzneimittelversorgung. Und wenn ein renommierter Ökonom wie Neubauer dem Gesetz attestiert, es unterbinde jeden Wettbewerb und gehe die drängenden Probleme des deutschen Gesundheitswesens nicht einmal an, dann sollte sich die Bundesregierung Gedanken machen.