Pharmazeutische Zeitung online
Versandhandel

Apotheker fordern Verbot

14.11.2006  17:20 Uhr

Versandhandel

Apotheker fordern Verbot

Von Daniel Rücker

 

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat es der Drogeriekette dm erlaubt, Arzneimittelrezepte für die Europa-Apotheek in Venlo zu sammeln. Die Apothekerkammern können dies nicht nachvollziehen. Die aktuelle Nachrichtenlage bestärkt sie darin.

 

Mit deutlichen Worten haben die Präsidenten der Landesapothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, Lutz Engelen und Hans-Günter Friese, unmittelbar nach der Veröffentlichung des OVG Münster das Urteil kritisiert. Sie sorgen sich um die sichere Arzneimittelversorgung der Patienten. Engelen: »Diese Entscheidung gefährdet den Patienten. Kann sich der Gesetzgeber wirklich vorstellen, dass Medikamente über Tankstellen und Videotheken verteilt werden?« Auch Friese kritisierte die drohende Bagatellisierung wirksamer Medikamente: »Arzneimittel sind keine Bonbons.« Ähnlich äußerten sich auch der Präsident der Apothekerkammer Hamburg, Rainer Töbing, und Dr. Günther Hanke, Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg. Töbing sagte, die Richter hätten bei ihrer Entscheidung das Gefahrenpotenzial von Arzneimitteln ignoriert, und Hanke bezeichnete das Urteil als einen »Schlag für die Arzneimittelsicherheit«.

 

500.000 Fälschungen

 

Tatsächlich gab es in den Tagen nach dem Urteil Nachrichten, die erhebliche Zweifel an der Sammelerlaubnis für dm aufkommen lassen. So sorgt sich die EU-Kommission über nachgemachte und gefälschte Arzneimittel, die vor allem aus Indien und Südostasien nach Europa kommen. »Die Gesundheit der Bürger ist bedroht«, sagte EU-Kommissar László Kovács.

 

Ganz oben auf der Liste der Fälschungen steht mit Viagra auch eines der am häufigsten über das Internet und dubiose Versandapotheken vertriebenes Medikament. Insgesamt beschlagnahmten die Behörden eine halbe Million falsche Medikamente.

 

Während sich die Richter in Münster Gedanken über eine weitere Aufweichung des bislang sicheren Vertriebswegs machten, überlegt die EU-Kommission wie sie die Flut der Fälschungen in den Griff bekommt. Sie arbeitet an einem Aktionsplan. In Häfen und Flughäfen werden Zollaktionen gegen Nachahmungen geplant.

 

Wenige Tage später schlug die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen Alarm. Bis zu 1,9 Millionen Deutsche seien einer Studie zufolge von Pillen und anderen Medikamenten abhängig. Allein eine Million Deutsche nehmen regelmäßig und missbräuchlich Schlaf- und Beruhigungsmittel. Medikamentenmissbrauch sei ein Massenphänomen, sagte die Drogenbeauftragte, Sabine Bätzing (SPD).

 

Die Mehrzahl der Tablettensüchtigen ist weiblich. Frauen werden mehr problematische Medikamente verordnet. Oft benutzen die Frauen die Mittel, um die alltäglichen Belastungen in Familie, Partnerschaft und Beruf besser bewältigen zu können. Nicht selten gelänge es ihnen, die Abhängigkeit lange verborgen zu halten.

 

Neben Medikamenten wie Benzodiazepinen tragen nach der Studie auch Lifestyle-Produkte und frei verkäufliche Medikamente zu der Suchtproblematik bei, hieß es. Dazu zählten Haarwuchsmittel ebenso wie das Potenzmittel Viagra, selbst pflanzliche Arzneimittel tauchen auf der Liste auf. So mancher Patient kann auch mit dem Antidepressivum Johanniskraut nicht rechtzeitig wieder aufhören.

 

Um den Vertriebsweg für Arzneimittel zu stabilisieren fordern deshalb die Apotheker, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wieder zu verbieten. Zumindest das Risiko von Fälschungen ließe sich so in Deutschland deutlich reduzieren. Zuerst forderte Kammerpräsident Hanke, diesen Teil des GKV-Modernisierungsgesetzes wieder zurückzunehmen. Seine Begründung: »Der sicherste Weg zum benötigten Medikament führt den Patienten immer noch in seine Apotheke am Ort.« Hier würden Fälschungen durch die vorgeschriebenen regelmäßigen Kontrollen erkannt. Am Dienstag verabschiedete dann die Bundesapothekerkammer (BAK) eine Resolution, in der sie den Gesetzgeber auffordert, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu untersagen (siehe Kasten). Nach dem Urteil des EuGH zum Versandhand wäre dies auch nicht unmöglich. Schließlich befand das Gericht lediglich das Versandverbot für OTC-Arznei für nicht EU-konform bewertet. BAK-Präsidentin Magdalene Linz schickt die Resolution und entsprechende Erläuterungen nun an alle Landesbehörden.

 

Noch unklar ist, wie der Rechtsstreit zwischen der Stadt Düsseldorf und dm weitergeht. Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig. Sollte Düsseldorf Beschwerde einlegen, dann bleibt die Zusammenarbeit des Drogeriemarktes mit der Europa-Apotheek weiter verboten. Ob die Stadt das Verfahren fortführt, stand bis zum Redaktionsschluss noch nicht fest.

Resolution der BAK

Die Bundesapothekerkammer fordert den Gesetzgeber auf, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu untersagen.

 

Die Rechtsprechung des BVerwG zum Apotheken-Außenschalter und des OVG Münster zum dm-Fall zeigen: Der Versandhandel als gleichwertige Alternative zur Arzneimittelabgabe in der Apotheke führt zu unauflösbaren Widersprüchen und die Arzneimittelsicherheit ad absurdum.

 

Werden einerseits strenge Anforderungen an Apotheken und damit an die Abgabe von Arzneimitteln in Apotheken gestellt, die andererseits im Versandhandel per se nicht eingehalten werden können, verlieren das Apothekenrecht und die Apothekenpflicht ihre Legitimation. Die Aushändigung von Arzneimitteln an Endverbraucher außerhalb von Apotheken kann gerichtlich nicht verhindert werden und gefährdet deren Versorgungsauftrag. Ohne umfassende Beratung verlieren die Patienten das Bewusstsein für die Besonderheit der Ware Arzneimittel und empfinden es zunehmend als gewöhnliches Konsumgut. Dies öffnet dem unerwünschten Arzneimittelmehr- und -fehlgebrauch Tür und Tor und steht im Widerspruch zur staatlichen Aufgabe, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu gewährleisten.

 

Nur eine Reduktion des Versandhandels auf das Maß einer Ausnahme kann dieser Entwicklung wirksam begegnen. Den Maßstab hierfür hat der EuGH in seiner Entscheidung im Verfahren »Apothekerverband gegen DocMorris« geliefert.

Mehr von Avoxa