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Bariatrische Operation

Das metabolische Syndrom operieren

08.11.2017  10:18 Uhr

Von Hannelore Gießen, München / Magenverkleinerungen sind bei Adipositas seit vielen Jahren etabliert. Heute zielt jedoch jede vierte bariatrische Operation darauf ab, einen Diabetes zurückzudrängen oder Lunge, Herz und Nieren zu entlasten.

Der Begriff »Adipositaschirurgie« greife längst zu kurz, erklärte Professor Dr. Thomas Hüttl kürzlich bei ­einem Medienseminar des Bundes­verbands Medizintechnologie in München. Die Langzeitdaten bestätigten eindrucksvoll, dass sich nach einer ­bariatrischen Operation fast alle Erkrankungen, die mit Übergewicht und Fettleibigkeit assoziiert sind, bessern oder sogar dauerhaft verschwinden. »Wir operieren heute das metabolische Syndrom«, fasste der Adipositas­chirurg zusammen.

 

Bei der Adipositaschirurgie werden zwei Verfahren angewandt, die alleine oder kombiniert eingesetzt werden. So wird einerseits durch ein Verkleinern des Magens die Nahrungszufuhr begrenzt und andererseits die Kalorienaufnahme verringert, indem ein Dünndarmabschnitt ausgeschaltet wird. Beim Magenbypass werden beide Verfahren kombiniert: Der verkleinerte Magen wird mit dem unteren Darm­abschnitt verbunden, sodass die Nahrung von dort direkt in den Dünndarm gelangt. Der obere Abschnitt, der primär für die Aufnahme des Nahrungsbreis zuständig ist, wird also ­umgangen.

 

Der gesamte Stoffwechsel profitiert

 

Beim Schlauchmagen entfernt der ­Chirurg rund 90 Prozent des Magens, sodass der verbleibende Rest nur noch ein Volumen von 80 bis 120 ml fasst. Wird Magengewebe entfernt, verändere sich auch die Sekretion von Hormonen, die Hunger und Sättigung steuern, sagte Hüttl. Im Tierversuch habe sich sogar gezeigt, dass das Darmmikro­biom nach der Operation mehr Bacteroides und weniger Firmicutes enthalte, ein Effekt, wie er sonst mit Präbiotika erzielt werde. Noch ein weiteres Ergebnis präsentierte der Adipositasexperte: Betrachteten Patienten vor und nach der Operation Bilder von hochkalorischem Essen, zeigten funk­tionelle Kernspinaufnahmen des Gehirns eine veränderte Nahrungsprä­ferenz: Das Belohnungszentrum leuchtete beim Anblick von Süßem und Fettigem nach dem Eingriff deutlich weniger als davor (»Gut« 2014, DOI: 10.1136/gutjnl-2013-305008).

 

Jetzt zeigt eine US-amerikanische Studie im »New England Journal of Medcine« Langzeitdaten zu den metabolischen Veränderungen durch eine bariatrische Operation (DOI: 10.1056/NEJMoa1700459). Bei 75 Prozent der Dia­betiker, die sich einem Magen-­Bypass unterzogen hatten, war die Stoffwechselerkrankung zwei Jahre nach der Operation in Remission. Bei immerhin 51 Prozent hielt dieser Erfolg auch nach zwölf Jahren noch an. Auch die Nieren, die bei übergewichtigen und fettleibigen Diabetes-Patienten oft in Mitleidenschaft gezogen sind, ­erholten sich.

 

»Die Leber gerät zunehmend ins Blickfeld des Interesses«, berichtete Hüttl. Denn Fettleber und Zirrhose treten inzwischen häufiger infolge von Übergewicht auf als aufgrund eines zu hohen Alkoholkonsums. Nach einer meta­bolischen Operation erhole sich oftmals selbst das verhärtete, fibrotische Lebergewebe, betonte der Chirurg.

 

Eine ausgeprägte Adipositas lasse sich derzeit nur chirurgisch erfolgreich behandeln, fasste der Experte zusammen. Mit einer Lebensstiländerung sei innerhalb eines Jahres ein Gewichts­verlust von maximal 10 kg zu erzielen. Der Körper setze alles daran, einen Gewichtsverlust rückgängig zu machen. Sinkt nach einer Gewichtsreduktion der Grundumsatz, nehmen die Patienten zu, selbst wenn sie weniger essen. Daher wurden Adipositastherapie­optionen lange Zeit mit Skepsis ­betrachtet. Erst die Ergebnisse der Adipositaschirurgie, die offenbar eine Art Reset-Taste bei der Hungerschwelle betätigt, hätten hier die Sicht verändert, berichtete der Chirurg.

  

Eine Adipositas sei nicht heilbar. »Wir wollen erreichen, dass aus dicken ­Dicken dünne Dicke werden«, lautete Hüttls Fazit. Die Patienten bräuchten jedoch auch nach einer bariatrischen Operation lebenslange Nachsorge mit Ernährungsberatung, Sport und viel Motivation. /

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