Beginn im Mutterleib |
08.11.2017 10:18 Uhr |
Von Verena Arzbach, Stuttgart / Immer mehr Kinder sind adipös oder übergewichtig. Schuld daran sind nicht nur eine falsche Ernährung und zu wenig Bewegung, sondern auch die Prägung durch die Mutter. Ist sie zu Beginn der Schwangerschaft adipös, steigt das Risiko des Kindes, später selbst unter Übergewicht oder Adipositas zu leiden.
Weltweit hat sich die Zahl der adipösen Kinder in den vergangenen 40 Jahren verzehnfacht: Etwa 124 Millionen Kinder und Jugendliche sind nach einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation stark übergewichtig, weitere 213 Millionen haben moderates Übergewicht. Das Problem: Wer als Kind übergewichtig oder adipös ist, bleibt es oft auch im Erwachsenenalter, wie Mediziner im September bei der Ernährungsfachtagung »Perinatale Programmierung« der Sektion Baden-Württemberg der Deutschen Gesellschaft für Ernährung an der Universität Hohenheim in Stuttgart betonten.
Wie schlank eine Frau vor der Empfängnis ist und wie sie sich in der Schwangerschäft ernährt, hat Auswirkungen auf die Gesundheit des Nachwuchses.
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Um das zu verhindern, muss ein Teil der Präventionsmaßnahmen schon früh ansetzen, und zwar schon vor der Geburt. Denn ist die Mutter zu Beginn einer Schwangerschaft adipös, hat ihr Kind später ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, ebenfalls dick zu werden, sagte Professor Dr. Regina Ensenauer von der Universitäts-Kinderklinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie leitet dort den Bereich Experimentelle Pädiatrie mit dem Schwerpunkt Stoffwechselstörungen. Bei jeder Frau verändere sich der Stoffwechsel während einer Schwangerschaft, erklärte die Medizinerin. Bei übergewichtigen beziehungsweise adipösen Frauen sind diese Veränderungen allerdings besonders umfangreich und können zu metabolischen Störungen führen.
Zytotoxische Lipide
So könne es bei adipösen Schwangeren unter anderem zu Dyslipidämien und damit zu einer endothelialen Dysfunktion kommen, erläuterte die Medizinerin. In der Folge steige das Risiko für eine Präeklampsie oder eine Plazentainsuffizienz. Die betroffenen Mütter zeigten häufig auch eine erhöhte Konzentration proinflammatorischer Zytokine im Gewebe, eine Insulinresistenz sowie einen gestörten mitochondrialen Energiestoffwechsel. Dazu würden reaktive Sauerstoffspezies (ROS) gebildet. »Der zentrale schädigende Mechanismus der mütterlichen Adipositas allerdings entsteht durch die Lipotoxizität«, so die Ärztin. Durch einen Überschuss an freien Fettsäuren entstehen in Verbindung mit oxidativem Stress oxidierte, zytotoxische Lipide, die unter anderem schädlich auf die Plazenta einwirken. Das kann die Entwicklung des Feten beeinträchtigen, seinen Lipidstoffwechsel stören und Entzündungen begünstigen.
Neben einer bereits bestehenden mütterlichen Adipositas könne auch eine extreme Gewichtszunahme während der Schwangerschaft Einfluss auf den späteren Stoffwechsel des Kindes nehmen, sagte Ensenauer. Eine Frau mit Normalgewicht sollte insgesamt maximal 16 Kilogramm zunehmen, eine übergewichtige Frau bis zu 11,5 Kilogramm und eine Frau mit Adipositas 9 Kilogramm. »60 bis 70 Prozent der übergewichtigen und adipösen Schwangeren liegen allerdings oberhalb dieser empfohlenen Grenzen«, so Ensenauer.
Der dritte kritische Risikofaktor für spätere metabolische Veränderungen beim Kind sei das Auftreten eines Gestationsdiabetes, fuhr die Medizinerin fort. Dieser entsteht ebenfalls häufig im Zusammenhang mit Übergewicht: Bei einem Ausgangs-Body-Mass-Index (BMI) von 30 habe die werdende Mutter ein 3,5-fach erhöhtes Risiko, in der Schwangerschaft eine diabetische Stoffwechsellage zu entwickeln; bei einem BMI über 35 ist dieses Risiko sogar 9-fach erhöht. »Mit erhöhten Blutzuckerwerten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind mit erhöhtem Gewicht zur Welt kommt, selbst wenn die Werte noch unterhalb der diagnostischen Grenze liegen«, sagte Ensenauer. Metaanalysen zufolge steht das Geburtsgewicht im Zusammenhang mit dem späteren Gewicht: Je höher es ist, desto höher ist auch das Gewicht im Erwachsenenalter.
Ensenauer und ihre Kollegen haben die genauen Auswirkungen von Adipositas bei der Mutter auf die Nachkommen im Mausmodell untersucht und die Ergebnisse 2013 im Fachjournal »Biochimica et Biophysica Acta« veröffentlicht (DOI: 10.1016/j.bbadis.2013.11.021). Sie fütterten gesunde weibliche Mäuse vor der Empfängnis und während der Trächtigkeit mit hochkalorischer, fettreicher Nahrung. Die Nachkommen dieser fettleibigen Mäuse bekamen im Anschluss ausschließlich normal zusammengesetztes Futter. »Wir konnten bei den Nachkommen im Erwachsenenalter negative Auswirkungen beobachten, selbst wenn diese nach der Geburt nie fettreiches Futter bekamen«, erklärte Ensenauer. Die dabei beobachteten Effekte waren geschlechtsspezifisch: Die männlichen Nachkommen setzten viel Fett an und nahmen an Gewicht zu. Zudem waren ihre Insulin- und Harnsäurespiegel erhöht. Bei den weiblichen Nachkommen war das nicht der Fall, sie hatten wenig viszerales Fett und ungewöhnlich kleine Fettzellen – dafür hohe Blutzuckerspiegel.
Stillen senkt das Risiko der Mutter, an Diabetes zu erkranken.
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Erhielten die Nachkommen der adipösen Mäuse in einer weiteren Versuchsreihe ebenfalls fettreiche Nahrung, traten bei den männlichen Mäusen Lebersteatosen und Insulinresistenz auf. Besonders gefährdet aber waren die Weibchen, wenn sie fettreiche Nahrung bekamen: Ihre Fettzellen vergrößerten sich, und sie legten stärker als die männlichen Mäuse an Gewicht zu. Auch ein Typ-2-Diabetes entwickelte sich bei ihnen häufiger als bei den Männchen.
In der Mutter-Kind-Kohorte PEACHES (Programming of Enhanced Adiposity Risk in Childhood – Early Screening) beobachten Ensenauer und Kollegen derzeit prospektiv 1700 adipöse Mütter und ihre Kinder in der Schwangerschaft sowie nach der Geburt. Sie wollen Daten zu pränatalen Risikofaktoren für kindliches Übergewicht sammeln, wozu neben dem BMI der Mutter, ihrer Gewichtszunahme in der Schwangerschaft sowie der Stoffwechsellage weitere mögliche Einflussfaktoren wie etwa das Alter oder Rauchen erfasst werden. »Wir wollen herausfinden, welche Konstellationen das größte Risiko haben und neue prognostische Biomarker ableiten«, sagte Ensenauer. Ein Hinweis auf Langzeitrisiken könnte ersten Ergebnissen zufolge der HbA1c-Wert der Mutter bei der Geburt sein, berichtete sie. Kinder von Frauen mit erhöhtem HbA1c, aber ohne Gestationsdiabetes, hatten im Alter von vier Jahren einen höheren BMI als Gleichaltrige.
Engmaschig kontrollieren
Die Medizinerin appellierte an ihre Kollegen, adipöse Schwangere möglichst früh zu identifizieren, um gezielt Screening- und Präventionsmaßnahmen durchführen zu können. Bei den Kindern müsse eine rasche Gewichtszunahme nach der Geburt vermieden werden. Auch das Risiko der adipösen Mütter, in den folgenden Jahren einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, lässt sich durch verschiedene Maßnahmen senken. »Eine einfache, effektive Maßnahme dazu ist das Stillen«, betonte Ensenauer. »Das Diabetes-Risiko sinkt mit einer längeren Stilldauer und einer höheren Intensität um bis zu 50 Prozent.« Zudem sei natürlich zu einer Gewichtsreduktion zu raten: Studien zeigten, dass eine mediterrane Ernährung in Verbindung mit moderater körperlicher Aktivität (150 min/Woche) das Risiko um 25 bis 35 Prozent senken konnte. /