Es darf gelacht werden |
08.11.2016 11:03 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek / Darf man über Rollstuhlfahrer Witze machen? »Klar«, sagt der Comic-Zeichner Phil Hubbe, der seit fast 30 Jahren Multiple Sklerose hat. In seiner Buchreihe »Behinderte Cartoons« nimmt der 50-Jährige das Leben von Menschen mit und ohne Handicap humorvoll aufs Korn.
PZ: Ihre Cartoons kommen gut an – bei den Medien ebenso wie bei Ihren Fans. Hatten Sie nie ein mulmiges Gefühl, Witze über Behinderte zu machen?
Hubbe: Anfangs war ich mir nicht ganz sicher. Als ich 1999 damit angefangen habe, gab es einen Amerikaner, John Callahan, der in dem amerikanischen Magazin »The New Yorker« Behinderten-Cartoons veröffentlichte, auf die eine Welle böser Leserbriefe folgte. Die Leser wussten nicht, dass Callahan im Rollstuhl saß und nur noch seine Hände bewegen konnte. Mir hatte seine Idee gut gefallen und ich habe angefangen, eigene Zeichnungen in dieser Richtung zu machen. Die habe ich zunächst einigen Leuten mit verschiedenen Handicaps geschickt und um ihre Einschätzung gebeten. Alle fanden sowohl die Idee als auch meine Zeichnungen gut. Einige haben mir gleich Vorschläge für weitere Comics mit zurückgeschickt. Da habe ich gedacht: Du kannst es versuchen.
PZ: Sie leben in Magdeburg, wo bei Ihnen 1988, nach einem starken Schub, Multiple Sklerose festgestellt wurde. Für einen Cartoonisten und Illustrator eine niederschmetternde Diagnose.
Hubbe: Ich war damals 22 Jahre alt, hatte ein Mathematikstudium abgebrochen, gejobbt und war dabei, zum zweiten Mal eine Mappe für ein Grafikstudium in Halle an der Kunsthochschule zusammenzustellen. Das hatte beim ersten Mal nicht geklappt. Aber es war mein Traum, Comic-Zeichner zu werden. Weil ich jedoch damit rechnen musste, eine Behinderung zu bekommen, riet mir der Arzt vom Zeichnen ab. Nach der Behandlung hatte ich aber kaum noch Beschwerden. Dann kam die Wende, und damit vergrößerte sich die Chance, als Zeichner Fuß zu fassen. 1992 habe ich mich als Karikaturist selbstständig gemacht – hauptsächlich mit politischen Zeichnungen und Arbeiten für Werbeagenturen.
PZ: Verarbeiten Sie mit den Behinderten-Cartoons auch Ihre eigene Krankheit?
Hubbe: Zeichnen ist für mich die beste Therapie. In dem Buch »Das Leben des Rainer« habe ich meine Krankheitsgeschichte mit kleinen Comic-Strips dargestellt. Ansonsten geht es in den Büchern aber eher allgemein um die Themen Behinderung und Krankheit, nicht nur um MS.
Ich hatte Glück, mein Hobby zum Beruf machen zu können. Von anderen Betroffen weiß ich, wie schwer es sein kann, keinen Job und keine Aufgaben mehr zu haben. Für alle Menschen, und speziell für Menschen mit Behinderungen, ist es wichtig, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Sonst haben einen nur noch die Krankheit oder das Handicap im Griff – das ist das Schlimmste, was passieren kann.
PZ: Aktuell ist viel von Integration und Inklusion die Rede. Welche Rolle spielt der Humor in dieser Diskussion?
Hubbe: Wenn ich zu einem Vortrag über Inklusion eingeladen werde, geht es immer um das Thema Humor. Mir war anfangs nicht bewusst, wie wichtig er für behinderte Menschen ist. Humor hilft, Schicksale zu bewältigen, Probleme etwas lockerer anzugehen und darüber zu lachen. Er lenkt ab von den täglichen Herausforderungen, die nicht immer leicht sind. Humor und Behinderung klammern sich nicht aus, im Gegenteil. Zu sagen, jemand »leide« nur an seiner Krankheit, greift viel zu kurz.
Humor kann auch helfen, ins Gespräch zu kommen. Leider sind wir aber von einem entspannten Miteinander zwischen Menschen mit und ohne Handicap noch weit entfernt. Nicht behinderte Besucher meiner Ausstellungen lachen oft herzhaft über meine Cartoons, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Abends auf der Vernissage lacht dann keiner mehr. Vermutlich, weil die Leute nicht wissen, dass man mit Handicap ein ganz normaler Mensch ist und auch so behandelt werden möchte. Ärgerlich finde ich auch den Satz: »Was habe ich mit Behinderung zu tun? Das geht mich nichts an«. Es geht jeden etwas an. Die meisten Rollstuhlfahrer sind verunfallt, und Schlaganfall kann jeden treffen. Hierzulande hat außerdem jeder Zehnte einen Schwerbehindertenausweis. Wie schwer wir uns mit einem entspannten Umgang miteinander tun, zeigte ein Anruf einer Frau, die meine Bücher in einer Buchhandlung unter »Comics und Cartoons« suchte, aber nicht fand. Auf die Frage, wo sie denn stehen, lautete die Antwort: im Bereich Sonderpädagogik.
PZ: Es gibt also genug Stoff für weitere Bücher? Sechs haben Sie schon veröffentlicht.
Hubbe: An Ideen herrscht kein Mangel. Auch bekomme ich immer wieder Vorschläge von Betroffenen. Dass meine Comics so bekannt sind, habe ich auch ihnen zu verdanken. Sie haben meine Zeichnungen weiter verbreitet. Später wurden dann »Aktion Mensch« auf mich aufmerksam, die Deutsche Multiple-Sklerose-Gesellschaft oder Verena Bentele, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Meine Arbeit ging sozusagen von der Basis aus, und das ist das Schöne daran. /
Aktuelle Ausstellung: »Mit Behinderungen ist zu rechnen …«
Färberei, Wuppertal, 6.11. bis 3.12.2016