Antikoagulanzien senken Demenzrisiko |
30.10.2017 13:34 Uhr |
Von Annette Mende / Orale Antikoagulanzien, die bei Patienten mit Vorhofflimmern zur Schlaganfall-Prävention eingesetzt werden, reduzieren bei diesen auch signifikant das Risiko, eine Demenz zu entwickeln. Dieses Ergebnis einer retrospektiven Beobachtungsstudie aus Schweden sollte Patienten motivieren, die Therapie dauerhaft anzuwenden.
Ein erhöhtes Demenzrisiko ist neben dem Risiko für Schlaganfälle eine bekannte Folge des Vorhofflimmerns. Auslöser ist in beiden Fällen eine Verstopfung von Gehirngefäßen durch Blutgerinnsel, die sich infolge der Herzrhythmus-Störung leichter bilden. Ist das Gerinnsel groß, zeigen sich Schlaganfall-Symptome. Handelt es sich dagegen nur um sehr kleine Agglomerate, bleiben die sogenannten mikroskopischen Schlaganfälle unbemerkt, bewirken aber auf die Dauer einen kognitiven Abbau. Während der Schutzeffekt einer oralen Antikoagulation gegenüber Schlaganfällen gut dokumentiert ist, war bislang unklar, ob er sich auch auf das Demenzrisiko erstreckt.
Bei Vorhofflimmern kommt es häufig zu mikroskopischen Schlaganfällen, die der Patient nicht bemerkt, die aber auf Dauer zu Demenz führen können.
Foto: Shutterstock/Andrea Danti
Die nun veröffentlichte Studie ist die bislang größte Untersuchung zu dieser Fragestellung. Erfasst wurden alle Personen, die in den Jahren 2006 bis 2014 in einem schwedischen Krankenhaus die Diagnose Vorhofflimmern gestellt bekommen hatten und zu diesem Zeitpunkt nicht dement waren, insgesamt 444 106 Patienten und mehr als 1,5 Millionen Patientenjahre. Während des Beobachtungszeitraums wurde bei 26 210 Patienten (knapp 6 Prozent) eine Demenz diagnostiziert.
Schneller Behandlungsstart
Die Einnahme eines Gerinnungshemmers zu Beginn des Beobachtungszeitraums war im Vergleich zu keiner Antikoagulation mit einem 29 Prozent niedrigeren Demenzrisiko verbunden. Patienten, die die ganze Zeit einen Blutverdünner einnahmen, hatten sogar ein 48 Prozent geringeres Risiko. Der protektive Effekt war umso stärker, je schneller die orale Antikoagulation nach der Diagnose Vorhofflimmern begonnen wurde. Zwischen dem Vitamin-K-Antagonisten Warfarin und den neueren, direkt wirkenden oralen Antikoagulanzien (DOAK) zeigte sich hinsichtlich ihres Demenz-präventiven Potenzials kein Unterschied. Unter den Faktoren, die mit der Entwicklung einer Demenz assoziiert waren, hatte das Fehlen einer gerinnungshemmenden Therapie den stärksten Einfluss, gefolgt von Alter, Morbus Parkinson und Alkoholmissbrauch.
Dr. Leif Friberg und Dr. Mårten Rosenqvist, beide Professoren am Karolinska Institut in Stockholm, präsentieren die Studie jetzt im »European Heart Journal« (DOI: 10.1093/eurheartj/ehx579). Sie halten aufgrund der Ergebnisse einen Demenzschutz durch orale Antikoagulanzien für sehr wahrscheinlich, obwohl sich eine solche Kausalität mit einer retrospektiven Untersuchung per se nicht beweisen lässt. Dafür seien randomisierte placebokontrollierte Studien notwendig, die aber aus ethischen Gründen nicht infrage kämen. »Es ist unmöglich, einem Patienten mit Vorhofflimmern ein Placebo zu geben und dann zu warten, ob er dement wird oder einen Schlaganfall erleidet«, so die Autoren.
Compliance verbessern
Für Friberg liefert die Studie ein starkes Argument, um Patienten mit Vorhofflimmern von der Wichtigkeit der oralen Antikoagulation zu überzeugen. Von diesen beende nämlich momentan »ein alarmierend hoher Anteil« die Einnahme. »Im ersten Behandlungsjahr hören circa 15 Prozent der Patienten auf, die Medikamente einzunehmen, und danach jedes Jahr weitere 10 Prozent«, so Friberg in einer Mitteilung der europäischen kardiologischen Gesellschaft ESC.
In der Studie befand sich lediglich etwas mehr als die Hälfte der Patienten (54 Prozent) unter oraler Antikoagulation. »Wenn sie wüssten, dass das Vorhofflimmern ihr Gehirn langsam auffrisst und sie das durch die Einnahme des Gerinnungshemmers verhindern können, wäre das vermutlich für die meisten Patienten ein starker Grund, die Einnahme fortzusetzen«, glaubt Friberg. Gegenüber dem Schlaganfall hätten viele Patienten eine fatalistische Einstellung, frei nach dem Motto: Entweder trifft es mich oder eben nicht. Bei der Demenz sehe das anders aus: »Die grauen Zellen, die sie haben, wollen Patienten vermutlich so lange wie möglich behalten.« /