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Dehydratation

Gefahr im Alter

28.10.2014  16:34 Uhr

Von Iris Hinneburg, Halle / Flüssigkeitsmangel ist bei älteren Menschen keine Seltenheit und kann schwerwiegende Konsequenzen wie Delir, Stürze oder Thromboembolien nach sich ziehen. An einer Dehydratation sind physiologische Faktoren, aber auch ein verändertes Trinkverhalten, Medikamente und Erkrankungen beteiligt.

Wasser benötigt der menschliche Körper für eine ganze Reihe physiologischer Vorgänge, etwa als Transport­medium zur Ausscheidung oder zur Regulation der Körpertemperatur. Deshalb ist eine ausreichende Zufuhr wichtig, gerade im Alter. Das betonte Professor Dr. Dorothee Volkert vom Institut für Biomedizin des Alterns der Universität Erlangen-Nürnberg beim Geriatrie-Kongress in Halle. So empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung für Menschen ab 65 Jahre eine Gesamtflüssigkeitszufuhr von etwas über zwei Litern pro Tag, davon knapp 1,5 Liter in Form von Getränken.

 

Keine starre Empfehlung

 

Allerdings sind diese Empfehlungen nicht starr. »Die Zufuhrempfehlungen stellen lediglich eine Orientierung dar, der Wasserbedarf ist individuell sehr unterschiedlich«, sagte Volkert. Ziel ist immer eine ausgeglichene Wasser­bilanz, die Zufuhr sollte also Verluste durch die renale Ausscheidung, Atemluft und Schweiß kompensieren. Ein höherer Bedarf entsteht etwa bei hohen Umgebungstemperaturen, Fieber, Erbrechen oder Diarrhö. Auch die Ernährung hat einen Einfluss: »Durch die Aufnahme von Eiweiß und Salz wird bestimmt, wie viel harnpflichtige Substanzen anfallen, die wieder ausgeschieden werden müssen«, erläuterte Volkert. Andererseits ist es bei bestimmten Erkrankungen aber auch angeraten, die Zufuhr zu reduzieren. Das gilt etwa bei Lebererkrankungen mit Aszites (Ansammlung von Flüssigkeit in der freien Bauchhöhle), Ödemen, Nieren- und Herzinsuffizienz.

 

»Insgesamt haben ältere Menschen durch die physiologischen Altersveränderungen ein erhöhtes Risiko, eine Dehydratation zu erleiden«, so Volkert. So reduziert sich das Durstempfinden, der Wassergehalt des Körpers sinkt, weil die fettfreie Masse zunimmt. Gleichzeitig nimmt auch die Fähigkeit der Niere zur Konzentration des Harns ab. Daneben spielen aber auch psychosoziale und krankheitsbedingte Faktoren eine Rolle. So kann eine verschlechterte Feinmotorik dazu führen, dass ältere Menschen Getränkepackungen nicht selbstständig öffnen können oder Hilfe beim Trinken benötigen. Bei Inkontinenz neigen viele Patienten dazu, die Trinkmenge zu reduzieren. Schluckstörungen oder Demenz führen ebenfalls zu einer verringerten Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit. Auch Erkrankungen mit erhöhten Ausscheidungsmengen stören die Flüssigkeitsbilanz, etwa ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus oder ein Ileostoma (künstlicher Dünndarmausgang). Gleiches gilt auch für eine Diuretikatherapie.

 

Mit zunehmendem Alter häufiger


Für die Häufigkeit der Dehydratation im fortgeschrittenen Alter finden sich sehr unterschiedliche Angaben, weil die jeweiligen Messgrößen stark variieren. »Es gibt zwar viele verschiedene Begriffe, aber leider keine einzige wirklich gute Definition des Wassermangels«, kritisierte Volkert.

Wählt man die ausreichende Zufuhr als Kriterium, besteht bei rund einem Drittel aller Pflegebedürftigen, die noch zu Hause leben, ein Flüssigkeitsmangel. Bei selbstständigen Senioren steigt die Prävalenz mit zunehmendem Alter: Trinken bei den über 65-Jährigen nur rund 15 Prozent zu wenig, ist es bei den über 85-Jährigen schon jeder Vierte.

 

Wie Privatdozent Dr. Rainer Wirth vom St. Marien-Hospital Borken ausführte, können bei Flüssigkeitsmangel grundsätzlich zwei Situationen auftreten: Geht nur Wasser verloren, entsteht eine hyperosmolare Dehydratation. Kommt es gleichzeitig zu Elektrolyt­verlusten, etwa bei gastrointestinalen Störungen, resultiert meist eine iso­tone, manchmal aber auch eine hypotone Dehydratation.

 

Zur Kompensation produziert der Körper vermehrt Adiuretin, um die Urinausscheidung zu reduzieren. Vermittelt durch osmosensitive und volumetrische Stellfühler, setzt Durst ein. Gleichzeitig wird auch an anderen Stellen Flüssigkeit eingespart; so nimmt die Speichel- und Schweißbildung ab. Wirth wies auch darauf hin, dass Flüssigkeitsmangel ein häufig unterschätzter Risikofaktor für chronische Obsti­pation ist: »Wenn der Körper zu wenig Wasser hat, holt er es sich da, wo er es kriegen kann, und das ist unter anderem im Dickdarm.«

 

Stürze und Delir

 

Daneben können bei Flüssigkeitsmangel weitere gesundheitliche Folgen resultieren: »Es gibt Studien, dass bereits 1 bis 2 Prozent beim älteren Menschen zu Einschränkungen der kognitiven Leistung führen«, so Wirth. Ab 5 Prozent Flüssigkeitsmangel können schwerwiegende Symptome wie ein Delir auftreten, ab 10 Prozent entwickeln sich lebensbedrohliche Krankheitsbilder. Eine Dehydratation erhöht das Risiko für Harnwegsinfekte sowie Thromboembolien und beeinträchtigt die Kreislauffunktion, sodass es zu Stürzen und Frakturen kommt. Durch die erhöhte Vulnerabilität und die eingeschränkte Kompensationsfähigkeit älterer Menschen können auch scheinbar harmlose Veränderungen wie die verringerte Speichelbildung schwerwiegende Folgen nach sich ziehen: »Das kann bei dem älteren Patienten das letzte Tröpfchen sein, das zu Dysphagie mit Aspirationspneumonie führt.«

 

Aus einem Flüssigkeitsmangel entsteht häufig ein Teufelskreis: Es entwickelt sich eine zunehmende körperliche Schwäche, die wiederum die Fähigkeit zur eigenständigen Flüssigkeitszufuhr einschränkt. Das kann auch die Sicherheit der Pharmakotherapie beeinflussen: »Das Verteilungsvolumen verändert sich, und ein Medikament, das schon grenzwertig war, verträgt man dann überhaupt nicht mehr«, so Wirth.

 

Im Zweifel substituieren

Dass sich eine Dehydratation bei älteren Patienten nicht immer einfach diagnostizieren lässt, verdeutlichte Dr. Rolf Schaefer vom Marien-Krankenhaus Bergisch Gladbach. So sind Laborparameter als alleiniges Kriterium meist nicht geeignet, da etwa der Hämatokrit je nach Form und Entwicklung der Dehydratation in unterschiedliche Richtungen schwanken kann. Hilfreicher sind Beobachtungen wie eine akute Abnahme des Körpergewichts, die häufig auf Veränderungen des Flüssigkeitshaushalts hindeutet.

 

Auf eine Dehydratation weise auch hin, wenn Hautfalten nach dem Loslassen stehen bleiben. Dieser Test sei über dem Brust- oder Schlüsselbein deutlich aussagekräftiger als am Handrücken, so Schaefer. Auffällig sei auch der Befund einer pudertrockenen Achselhöhle. Eine trockene Mundschleimhaut sei bei Dehydratation zwar häufig, könne aber auch durch Arzneistoffe mit anticholinerger Wirkung bedingt sein. Schaefer rät im Zweifelsfall zur Gabe von Flüssigkeit, damit könne man in der Regel nicht viel falsch machen.

 

Bevorzugt peroral

 

Wird eine Flüssigkeitssubstitution erforderlich, sollte sie bevorzugt peroral erfolgen, erläuterte Dr. Mirja Modreker vom Helios Klinikum Schwerin. Das hat auch pädagogische Gründe: »Der Patient soll das Trinken wieder erlernen und auch verstehen, dass Trinken wichtig ist«, so Modreker. Bei älteren Patienten sei die wiederholte Aufforderung zum Trinken sehr effektiv. Auch sollten Getränke immer in Sicht- und Reichweite stehen und bei der Auswahl die Präferenzen der Patienten berücksichtigt werden.

 

Reicht die perorale Zufuhr nicht aus, kann Flüssigkeit intravenös oder subkutan ergänzt werden. Die intravenöse Applikation wird bei Kreislaufinstabilität oder größeren Volumina bevorzugt. In anderen Fällen kann aber auch die subkutane Infusion zum Einsatz kommen, bei der die Flüssigkeit nicht direkt in die Blutgefäße, sondern in die Unterhaut von Bauch oder Oberschenkel geleitet wird. »Das hat viele Vorteile«, berichtete Modreker. So werde diese Infusionsform etwa von Demenzkranken besser akzeptiert und könne auch durch ausgebildete Pflegekräfte angelegt werden. Geeignet sei die subkutane Applikation für Flüssigkeitsmengen bis zu zwei Litern pro Tag, allerdings können nur isoosmolare Lösungen eingesetzt werden.

 

In jedem Fall müssen für die Auswahl und Menge der Substitutionsflüssigkeit Trinkverhalten, Ausscheidungsmenge und Begleiterkrankungen berücksichtigt werden. Dazu gehören etwa Herzinsuffizienz oder Erkrankungen der Herzklappen, Nierenfunktion und Elektrolytstatus.

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