Regeneration der Hirnsubstanz |
31.10.2006 11:53 Uhr |
Regeneration der Hirnsubstanz
Von Marion Hofmann-Aßmus
Bei einem Schlaganfall sterben Nervenzellen aufgrund einer Unterversorgung mit Sauerstoff ab. Therapien, die Neurone zu retten, kommen meist zu spät. Daher arbeiten Mediziner heute an Möglichkeiten, wie Nervenzellen in dem geschädigten Areal wieder neu gebildet werden können.
Ausgangspunkt für Schlaganfälle ist ein Gefäßverschluss, häufig verursacht durch eine Thrombose oder eine Embolie. Die Folge ist ein Hirninfarkt: Bestimmte Bereiche des Gehirns sind lang- oder kurzfristig unterversorgt und die Neurone sterben. Nur innerhalb der ersten drei Stunden nach einem Hirninfarkt ist die Hirnsubstanz durch eine spezifische Therapie noch zu retten. Doch nur etwa 3 Prozent aller Schlaganfallpatienten erreichen die Klinik noch rechtzeitig. Bei allen anderen ist die unterversorgte Region bereits abgestorben.
Das Ziel der Schlaganfalltherapie ist die funktionelle und strukturelle Wiederherstellung der geschädigten Gehirnstrukturen, entweder durch die Regeneration präexistenter Strukturen oder durch die Rekrutierung neuer Zellelemente. Der letal geschädigte Infarktkern kann nicht regeneriert werden, er beeinflusst jedoch das umliegende Gewebe, indem er verschiedene Faktoren sezerniert. Dazu gehört etwa cFOS (FBJ murine osteosarcoma viral oncogene homolog), das innerhalb von Sekunden nach dem Infarkt ausgeschüttet wird und am Zellwachstum sowie der Differenzierung beteiligt ist. Auch die Produktion von MAP1B (microtubule-associated protein 1B), das beim Wachstum von Axonen eine Rolle spielt, wird nach sechs Wochen hochreguliert. Diese Faktoren haben sowohl neurotoxische als auch regenerative Effekte. »Was akut regenerativ wirkt, kann in späteren Stadien eher hinderlich sein«, sagte Professor Dr. Clemens Sommer aus Mainz auf dem Symposium »Regenerating the Brain« im Rahmen der Neurowoche in Mannheim. »Die Aufgabe der Zukunft ist daher, das zeitliche Profil zu erforschen. Damit wäre ein gezielter therapeutischer Einsatz dieser Faktoren möglich«, betonte Sommer.
Transplantation birgt Gefahren
Eine weitere Möglichkeit, die Regeneration des Gehirns zu fördern, ist zum einen die Transplantation von adulten Stammzellen aus der Zellkultur, zum anderen die Stimulation endogener Stammzellen. Für die Transplantation gibt es im adulten Organismus mehrere Kandidaten: Intestinale-, Mesenchymale-, Hematopoetische- sowie Hautstammzellen.
Ein genereller Vorteil der Stammzellen in vitro, ihre Multipotenz, könnte sich nach einer Transplantation schnell ins Gegenteil verkehren. So fanden sich im Tierexperiment zum Beispiel Zahnzellen im Gehirn, berichtete Professor Dr. Georg Kuhn aus Göteborg.
Ein weiteres Problem der Transplantation: Wie soll man das Wachstum wieder abstellen? Stammzellen unterliegen dem sogenannten self-renewal, der Wiederherstellung neuer Stammzellen aus bereits vorhandenen. Damit vergrößert sich das Tumorrisiko jedoch beträchtlich. Aus diesem Grund dürfen laut Kuhn nur vordifferenzierte Stammzellen transplantiert werden.
»Auch wenn es in klinischen Studien erste Erfolge mit Stammzelltransplantationen gibt, ist der zugrunde liegende Mechanismus bislang unbekannt«, erläuterte Kuhn. Es ist noch unklar, ob sich transplantierte hematopoetische Stammzellen oder Hautstammzellen wirklich zu Hirnzellen umwandeln, also eine Transdifferenzierung durchmachen können. Bisherige Untersuchungen deuten eher darauf hin, dass die transplantierten Zellen mit den vorhandenen Gehirnzellen fusionieren.
Zukunftsvision: Neurogenese nutzen
Die Bildung von Nervenzellen aus Stamm- oder Vorläuferzellen beim Erwachsenen wird auch als adulte Neurogenese bezeichnet. Die Schwierigkeit vor der die Forscher hier stehen, ist, dass die Markierung und die Detektion der Neurogenese außerordentlich fehleranfällig ist. Es stellt sich daher die Frage: Gibt es die Neurogenese oder sieht man nur Artefakte? Kuhn meinte dazu: »Es ist nicht alles Artefakt was publiziert wird.« So konnte etwa eine positive Neurogenese im Hippocampus bestätigt werden. Generell findet Neurogenese bei allen Säugern statt, bis zum Primaten ist sie nachgewiesen. Beim Menschen gelang dies bisher erst in einer einzigen Studie.
Auch wenn eine gezielte Stimulation der Neurogenese im geschädigten Hirn möglich wäre, ist die Voraussetzung für einen Therapieerfolg, dass diese Zellen in das vorhandene neuronale Netz eingebunden werden. Insgesamt erscheint es, laut Kuhn, zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwierig, die Neurogenese für die Therapie des Schlaganfalls zu nutzen.
Kurze Besserung durch Amphetamin
Aus Tierexperimenten ist bekannt, dass Amphetamin die postischämische Regeneration beeinflusst. In morphologischen Untersuchungen induzierte Amphetamin die Neubildung von Synapsen sowie das Aussprossen neuer Axone nach Hirninfarkt. Bei Tieren verbesserte die Substanz die motorischen Funktionen wie das Lauf- und Greifvermögen sowie das Gleichgewichtsvermögen unter Amphetamin zumindest vorübergehend. Dies ist etwa für ein Infarktmodell der Ratte beschrieben: Im »Water-Maze-Experiment« prüft man die kognitiven Funktionen der Tiere, indem man sie in einem Bassin schwimmen lässt, bis sie eine Plattform finden. Zunächst schnitten die mit Amphetamin behandelten Tiere besser ab. Sieben Tagen nach Infarkt fand sich jedoch kein Unterschied mehr. Später zeigten sich die Kontrolltiere sogar überlegen.
Übereinstimmend mit diesen Ergebnissen wiesen randomisierte und placebokontrollierte Studien an kleineren Patientengruppen ebenfalls keine positiven Effekte auf. Patienten, die mit L-Dopa behandelt wurden, zeigten lediglich eine leichte Verbesserung der motorischen Arm- und Beinfunktion in einer placebokontrollierten Studie mit 53 Teilnehmern. »Das ist kein überzeugendes Ergebnis für die kognitive Funktionsverbesserung unter Amphetamin«, beschied Privat-Dozent Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz aus Münster.
Hoffnungsträger G-CSF
Es gibt jedoch einen neuen Ansatz, der bislang hoffnungsvolle Daten liefert. Die Injektion des Granulocyte-Colony Stimulating Factor (G-CSF) verbesserte im Tierversuch die sensomotorische und kognitive Funktion. Der Wachstumsfaktor wirkt dabei über verschiedene Mechanismen: Zum einen blockiert das Molekül verschiedene Rezeptoren, die den Selbstmord (die Apoptose) von Neuronen steuern. Zum anderen regt G-CSF Stammzellen im Gehirn dazu an, sich zu regulären Nervenzellen auszudifferenzieren.
Bei einem Therapiebeginn am dritten Tag nach dem Schlaganfall konnten die Tiere, die täglich 15 µg G-CSF erhielten, signifikant besser laufen als die Kontrolltiere. Auch bei der mittels Water-Maze-Test kontrollierten kognitiven Funktion zeigten sie sich überlegen.
Im Tierversuch zeigte G-CSF noch weitere positive Effekte: Es induzierte die Neurogenese im Hippocampus (100 Prozent mehr als bei Kontrolltieren), es regte die Bildung neuronaler Vorläuferzellen im Striatum an und es induzierte die Angiogenese im beschädigten Areal.
Angespornt durch diese vielversprechenden Daten wird derzeit eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblind-Studie bei Schlaganfallpatienten aufgelegt. Je 20 Patienten erhalten postischämisch entweder täglich 10 µg/kg G-CSF oder 0,1 ml/kg Kochsalzlösung als Placebo. Bis Anfang 2007 soll die Studie beendet sein. Schäbitz erwartet dann, hoffnungsvolle Daten für ein neues Therapeutikum für Schlaganfallpatienten außerhalb der Akutphase präsentieren zu können.
Quelle:
Symposium »Regenerating the Brain« im Rahmen der Neurowoche in Mannheim vom 20. bis 22. September 2006.