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Antibiotika

Was tun gegen Resistenzen?

15.10.2014  10:07 Uhr

Von Annette Mende / Der grassierende Wirkverlust von Antibiotika droht, die Errun­gen­schaften der modernen Medizin zunichte zu machen. Eine postantibiotische Ära, in der banale Infektionen töten, ist im 21. Jahrhundert eine sehr realistische Perspektive. Diese drastischen Worte fand Anfang des Jahres die Weltgesundheits­or­ga­ni­sation (WHO). Das Problem der steigenden Antibiotika-Resistenzen ist ein globales und kann nur global gelöst werden. Wichtige Voraussetzung: Forschung muss sich wieder lohnen.

Mycobacterium tuberculosis, Neisseria gonorrhoeae, Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae: Diese Erreger sind nur Beispiele für Bakterien, von denen auf der Erde mittlerweile Stämme existieren, die gegen nahezu alle Antibiotika resistent sind. Nichts wirkt mehr – und Patienten in Industrienationen teilen plötzlich das Los von Menschen in Entwicklungsländern, in denen diese Wirkstoffe meist von vorneherein gar nicht verfügbar sind. Damit Antibiotika ihre lebensrettende Funktion behalten, muss dringend sorgsamer mit ihnen umgegangen werden. Gleichzeitig braucht es neue Wirkstoffe, damit der Mensch das Match mit den Mikroben am Ende doch noch für sich entscheidet.

 

Warnung ernst genommen

 

Zwei Immunologen zählen im aktuellen »New England Journal of Medicine« die aus ihrer Sicht wichtigsten Punkte zum Erreichen dieses Ziels auf (DOI: 10.1056/NEJMp1408040). Dabei sehen Professor Carl Nathan vom Weill Cornell Medical College in New York und Professor Otto Cars von der Universität Uppsala in Schweden trotz der dramatischen Entwicklung durchaus Anlass zum Optimismus. Vor allem begrüßen sie, dass das Problem mittlerweile die gebührende Aufmerksamkeit erfährt. Nach dem Aufruf der WHO lobte Großbritannien im Juni ein Preisgeld in Höhe von 10 Millionen Pfund (12,7 Millionen Euro) für die beste Lösung des Resistenz-Problems aus. In den USA setzte Präsident Barack Obama im September eine Arbeitsgruppe ein, die bis Februar 2015 einen nationalen Aktionsplan erarbeiten soll.

 

Einen vielversprechenden Ansatz zur Entwicklung neuer Antibiotika sehen Nathan und Cars in öffentlich-privaten Forschungskooperationen. Leuchtendes Beispiel ist hier die Bill and Melinda Gates Foundation, die in Zusammenarbeit mit diversen Partnern aus Industrie und Akademia unter anderem die Suche nach neuen Tuberkulose-Mitteln entscheidend vorangebracht hat. Im Jahr 2013 legte die US-Regierung ein Programm zur Förderung der Forschung nach neuen Antibiotika auf und die EU ging mit dem europäischen Dachverband forschender Pharmaunternehmen EFPIA unter dem griffigen Namen »New drugs for bad bugs« eine entsprechende Partnerschaft ein.

 

Keine lukrative Indikation

 

Ein grundlegendes Problem der Entwicklung neuer Antibiotika besteht darin, dass sie teuer ist und für Firmen wenig bis gar nicht rentabel. Denn die Medikamente werden restriktiv eingesetzt und verlieren meist nach kurzer Zeit ihre Wirkung. Nach mehreren erfolglosen und sehr kostspieligen Versuchen zogen sich daher nahezu alle großen Hersteller aus diesem Forschungsgebiet zurück und verlegten sich stattdessen auf lukrativere Indikationen.

 

Die meisten Wirkstoffe sind generisch verfügbar, und das drückt die Preise. Mit Antibiotika werden jährlich mehr als 40 Milliarden US-Dollar (31,5 Milliarden Euro) umgesetzt. Zum Vergleich: Allein im ersten Quartal 2014 setzte Gilead mit seinem Hepatitis-C-Medikament Sofosbuvir (Solvadi®) 2,3 Milliarden US-Dollar (1,8 Milliarden Euro) um. Konkurrenz belebt das Geschäft, und deshalb ist zu begrüßen, dass neben mehreren kleinen Firmen mit Sanofi-Aventis seit Anfang des Jahres wieder eines der führenden Pharmaunternehmen an der Entwicklung neuer Antibiotika forscht.

 

Um das Resistenz-Problem tatsächlich in den Griff zu bekommen, reichen diese Ansätze jedoch nicht aus, so Nathan und Cars. Sie sind überzeugt, dass nur eine globale Organisation, ausgestattet mit ausreichenden Ressourcen und weltweit anerkannter Autorität, dazu in der Lage wäre. Die Entwicklung neuartiger Wirkstoffe sei für Firmen so lange unattraktiv, wie der Gewinn an die Verkaufszahlen gekoppelt sei. Sie schlagen daher vor, einen von der zu gründenden welt­weiten Antibiotika-Aufsichtsbehörde verwalteten Fonds einzurichten, in den alle Staaten entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten einzahlen und aus dem die Entwickler neuer Antibiotika entlohnt werden. Die Höhe der Entschädigung solle sich dabei am zu erwartenden therapeutischen Nutzen der Neuentwicklung orientieren. Die Preise für neue Wirkstoffe sollten dagegen lediglich die Produktions- und Vertriebskosten decken, um erstens auch Menschen in ärmeren Ländern den Zugang zu sichern und zweitens Arzneimittelfälschungen vorzubeugen.

 

Restriktiverer Einsatz

 

Als weitere unabdingbare Voraussetzung nennen die Autoren den restriktiveren Einsatz von Antibiotika. Der derzeit übliche massenhafte Verbrauch von Antibiotika in der Tiermast (siehe Kasten) sei »inkompatibel mit der Erwartung, dass diese Wirkstoffe auch künftig noch lebensbedrohliche Infektionen heilen werden«. Nicht nur in der Veterinärmedizin müsse der Einsatz massiv zurückgefahren werden. Auch in der Humanmedizin müsse künftig jede Antibiotika-Therapie auf die Empfindlichkeit des Erregers zugeschnitten sein. Dazu gehört für die Immunologen die möglichst flächendeckende Einführung von Stewardship-Programmen, die Reserveantibiotika den wirklich dringenden Fällen vorbehalten. /

Dispensierrecht auf dem Prüfstand

Weltweit wird ein Großteil der eingesetzten Antibiotika nicht von Menschen verbraucht, sondern an Tiere verfüttert und auf Pflanzen verteilt. Das in Deutschland und einigen anderen Ländern existierende Dispensierrecht der Tierärzte steht im Verdacht, den großzügigen Einsatz antimikro­bieller Wirkstoffe in der Tiermast zu begünstigen und ist deshalb seit Jahren in der Kritik. Vor dem Hintergrund des immer drängender werdenden Resistenzproblems ließ das Bundeslandwirtschaftsministerium nun in einem Gutachten Vor- und Nachteile des Dispensierrechts untersuchen. Eine Empfehlung pro oder kontra Beibehaltung spricht dieses nicht aus. Die Autoren gehen aber davon aus, dass die seit April dieses Jahres geltende Erfassung der Verbrauchsmengen und die Verpflichtung von Tierhaltern mit überdurchschnittlichem Antibiotika-Einsatz zur Reduktion die eingesetzte Menge dezimieren wird. Mit einem Entzug des Dispensierrechts ließen sich die Einsparungen zwar noch erhöhen, allerdings seien in diesem Fall negative Auswirkungen auf die Tier­gesundheit zu befürchten, da kranke Tiere nicht so schnell mit Antibiotika versorgt werden können, wenn das Arzneimittel erst noch in der Apotheke besorgt werden muss. Bei einem Treffen am 4. Dezember will das Ministerium auf Basis des Gutachtens mit allen betroffenen Interessengruppen über die Problematik diskutieren.

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