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DPhG

Pharmazeutische Forschung stärken

15.10.2013  17:21 Uhr

Von Daniel Rücker und Sven Siebenand, Frankfurt am Main / Die ABDA macht sich mit der Leitbilddiskussion Gedanken um die Positionierung der Apotheker. Gleichzeitig entwickelt die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) ihr Konzept Pharmazie 2020. DPhG-Vorsitzender Professor Dr. Dieter Steinhilber sieht in dieser Koinzidenz eine große Chance.

PZ: Die DPhG hat das Konzept Pharmazie 2020 vorgestellt. Was wollen Sie damit bewirken?

 

Steinhilber: Wir wollen die Pharmazie in Deutschland stärken und sie noch fester in der Forschungslandschaft verankern. Dazu brauchen wir einen besseren Zugang zu Forschungsgeldern. Außerdem wollen wir die Kollegen an den Hochschulen motivieren, sich stärker an fächerübergreifenden Verbundforschungsprojekten zu beteiligen. Wir wollen die Pharmazie sichtbarer machen und sie stärker in das öffentliche Interesse rücken. Die Forschung trägt ganz erheblich zur Wahrnehmung der Pharmazie bei.

 

PZ: Warum wurde die pharmazeutische Forschung bislang nicht ausreichend in der Öffentlichkeit wahrgenommen?

Steinhilber: Die Pharmazie ist ein sehr anwendungsbezogenes Fach. Da steht die Forschung naturgemäß ein wenig im Hintergrund. Wir müssen dies aber ändern. Überall dort, wo Wirkstoffkompetenz gefordert ist, müssen die pharmazeutischen Institute dabei sein. Es kann doch nicht sein, dass es wirkstoffrelevante Verbundforschungsprojekte an Universitäten gibt, aber kein Pharmazeut daran beteiligt ist. Wir müssen uns stärker mit Fachbereichen anderer Hochschulen vernetzen, aber auch mit anderen Fakultäten an der eigenen Uni. Die Pharmazie muss auch an der eigenen Universität eine größere Rolle spielen. Das ist ganz wichtig.

 

PZ: Welche Fakultäten bieten sich aus ihrer Sicht als geeignete Koopera­tionspartner an?

 

Steinhilber: Das hängt natürlich immer vom Forschungsgebiet ab. Grundsätzlich sind uns selbstverständlich die anderen Naturwissenschaften und die Medizin nahe.

 

PZ: Pharmazie 2020 beschäftigt sich auch mit der Ausbildung. Was muss sich dort ändern?

 

Steinhilber: In den vergangenen zwanzig oder dreißig Jahren hat sich vieles verändert, was für die Wirkstoffforschung wichtig ist. Ich denke hier besonders an die Genetik und die Molekularbiologie. Auch die personalisierte Medizin dürfen wir nicht außer Acht lassen. Unsere Approbationsordnung gibt uns ausreichend Gestaltungsfreiheit, neue Inhalte aufzunehmen. Das sollten wir konsequent tun. Das bedeutet aber auch, andere Inhalte, deren Relevanz kleiner wird, zu streichen. Allerdings ist es immer einfacher, neue Inhalte aufzunehmen als alte zu streichen. Wir kommen aber nicht drum herum. Das Pharmaziestudium ist heute schon sehr vollgepackt.

 

PZ: Was könnte man streichen?

 

Steinhilber: Im Bereich der Pharmazeutischen Chemie gilt noch zu oft: Tausend mal titriert, tausendmal ist nichts passiert. Hier kann man zum Beispiel überlegen, die eine oder andere Titration zu streichen und sich stattdessen mit anderen Verfahren wie der Nahinfrarotspektroskopie intensiver zu beschäftigen. Ähnliche Beispiele gibt es auch in anderen Fächern. Das Thema ist, wie Sie sich denken können, generell heikel. Das Konzept 2020 ist aber der geeignete Rahmen, gemeinsam zu überlegen, welche Ausbildungsinhalte heute welchen Stellenwert haben. Dabei ist es mir wichtig, dass die Diskussion zunächst innerhalb der Fächer geführt wird. Wir werden uns auch darüber Gedanken machen, wie groß der Anteil an reproduktivem Lernen sein muss und ob wir stärker auf problemorientiertes Lernen setzen können. Studierende müssen heute in der Lage sein, sich Inhalte selbst zu erarbeiten, Informationen zu bewerten und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Hierfür brauchen wir neue Konzepte.

 

PZ: Aus der ABDA gibt es Forderungen, das Pharmaziestudium komplett umzustrukturieren, bis hin zu einem speziellen Studium für Offizin-Apotheker. Was halten Sie davon?

 

Steinhilber: Ich würde aus verschiedenen Gründen eher abraten. Das Pharmaziestudium ist so attraktiv, weil es viele verschiedene Berufsoptionen bietet. Studienanfänger wissen oft noch gar nicht, welchen Weg sie einschlagen. Sie können sich so früh nicht entscheiden, ob sie später in einer Apotheke arbeiten wollen oder beispielsweise in der Indus­trie. Deshalb muss die Ausbildung einen möglichst großen Bereich abdecken. Wir müssen auch da­ran denken, was der Sinn eines Studiums ist. Es soll den Studierenden die Berufsfähigkeit vermitteln. Niemand ist fertig ausgebildet, wenn er in den Beruf einsteigt. Die Berufsfertigkeit kann man nur im Praktikum und im Beruf selbst bekommen. Dazu tragen auch Fort- und Weiterbildung bei. Das darf man nicht vergessen. Wichtige Kenntnisse können auch berufsbegleitend vermittelt werden. Dennoch ist es wichtig, potenzielle Offizin-Apotheker besser als bislang auf ihren Beruf vorzubereiten. Hierfür wäre aus meiner Sicht aber auch im Besonderen der dritte Ausbildungsabschnitt gefordert. Hier sollten sich die angehenden Apotheker das spezielle Wissen für die Arbeit in der Offizin aneignen. Dazu müsste der dritte Ausbildungsabschnitt aufgerüstet werden. Es muss verbindliche Standards geben, wie die Ausbildung in dieser Zeit abläuft. Wir sind darüber bereits in Gesprächen mit einigen Landesapothekerkammern. Ich sehe hier ein sehr großes Potenzial, die Ausbildung Offizin-Pharmazie zu optimieren.

 

PZ: Bei den Berufsorganisationen gibt es die Sorge, dass die Ausbildung an der Universität nicht immer ausreicht, um sich später die notwendigen Fertigkeiten für eine langfristige Therapiebegleitung mit einem kontinuierlichen Medikationsmanagement anzueignen. Wenn das so ist, dann kann das den Hochschulen nicht egal sein.

 

Steinhilber: Natürlich nicht. Ich sage nicht, dass die Ausbildung von Offizin-Apothekern heute schon optimal ist. Therapiebegleitung, Beratung und Medikationsmanagement sind wichtige Zukunftsaufgaben, deren Anwendung im dritten Ausbildungsabschnitt erlernt werden sollte. Die fachlichen Grundlagen dafür müssen in den ersten beiden Ausbildungsabschnitten vermittelt werden. Nach dem Studium muss das Wissen über regelmäßige Fortbildungen auf dem aktuellen Stand gehalten werden.

 

PZ: Bei einer so wichtigen Entscheidung über die Ausbildung müssen Berufsorganisationen und Hochschullehrer zwingend zusammenarbeiten. Wie eng ist ihre Abstimmung mit der Bundesapothekerkammer (BAK) oder der ABDA über das Pharmaziestudium?

 

Steinhilber: Die DPhG hatte BAK und ABDA zu unserem Symposium Pharmazie 2020 nach Weimar eingeladen. Leider ist kein Vertreter gekommen. Wir sind weiter gesprächsbereit und das gilt auch für die ABDA, wie ich gehört habe. Es ist ein sehr glücklicher Zufall, dass die ABDA mit dem Leitbild und die DPhG mit Pharmazie 2020 zeitgleich an Konzepten für die Zukunft der Pharmazie arbeiten. Wir hatten uns vorher nicht abgesprochen. Diese Parallelentwicklung ist gut für alle.

 

PZ: Was halten Sie von der Leitbilddiskussion der ABDA?

 

Steinhilber: Ich finde sie gut. Sie geht in die richtige Richtung, weil die Optimierung der Arzneimittelanwendung im Mittelpunkt steht. Das ist eine sehr gute Grundlage für die Diskussion. Die Anwendung von Arzneimitteln ist der Bereich im Gesundheitswesen, in dem wir Apotheker das größte Fachwissen haben. Wir haben hier viele Ansatzpunkte uns einzubringen. Dabei meine ich nicht nur das Medikationsmanagement, sondern auch die Pharmakogenetik. Wenn wir uns hier sinnvoll einbringen, dann helfen wir auch dabei, die Arzneimitteltherapie effizienter zu machen. Positiv an der Leitbilddiskussion ist auch, dass es endlich einmal nicht um Rabattverträge geht, sondern um Pharmazie. Unglücklich finde ich allerdings den manchmal benutzten Begriff patienten­orientierte Pharmazie. Der vermittelt den Eindruck, ansonsten gehe es in der Pharmazie nicht um die Patienten. Das ist falsch. Bei der Arzneimitteltherapie geht es immer um Patienten, das kann gar nicht anders sein.

 

PZ: Wo sehen Sie in anderen Ländern Entwicklungen, die wir in Deutschland übernehmen sollten?

 

Steinhilber: Wissenschaftlich sind wir in Deutschland auf einem hohen Niveau. Da müssen wir uns vor niemandem verstecken. Bei der Klinischen Pharmazie haben wir ein zu heterogenes Bild. An einigen Hochschulstandorten sind wir schon sehr weit, an anderen sind wir aber noch ein Stück zurück. Hier können wir vor allem von den angelsächsischen Ländern lernen. Unsere Defizite in Klinischer Pharmazie sind aber auch Resultat mangelnder Ressourcen, die für das Fach zur Verfügung gestellt werden. Man bekommt heute nicht einfach mehr Geld, weil man die Klinische Pharmazie an der Hochschule etablieren will. Es geht immer um Umverteilung. Deshalb gibt es natürlich Widerstand. Universitäten und Fakultäten werden wahrgenommen, wenn sie viel forschen und dabei gute Ergebnisse erzielen. Die Klinische Pharmazie als sehr anwendungsbezogenes Fach hat es da naturgemäß nicht leicht.

 

PZ: Ihr Konzept heißt Pharmazie 2020. Wie wird sich die Pharmazie im Jahr 2020 von der 2013 unterscheiden?

 

Steinhilber: Wenn es gut läuft, dann wird es an den deutschen Hochschulen im Jahr 2020 deutlich mehr Forschungsprojekte mit pharmazeutischer Beteiligung geben. Die Absolventen eines Pharmaziestudiums werden dann mit ihrem Abschluss die Grundlage für einen optimalen Start in eine der verschiedenen pharmazeutischen Karrieren haben. /

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