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Methylphenidat bei ADHS

Einschränkungen beachten

15.10.2013  17:21 Uhr

Von Ulrike Viegener / Die Therapie von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gehört in die Hand eines Experten. Dann ist der Einsatz von Methylphenidat bei strenger Indikationsstellung und unter Beachtung der Sicherheitsvorgaben gerechtfertigt, so das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in einer aktuellen Analyse.

Methylphenidat (MPH, zum Beispiel Ritalin®) ist in Übereinstimmung mit den Leitlinienempfehlungen der bei ADHS bevorzugt eingesetzte Arzneistoff. Die Pharmakotherapie stellt allerdings nur eine Option in einem multimodalen Therapiekonzept dar, wobei die Indikation kritisch zu stellen ist. Das betonen Autoren des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in einem Beitrag im aktuellen »Bulletin zur Arzneimittelsicherheit«.

 

Keine Diagnose anhand von Symptomen

 

Unaufmerksamkeit, motorische Un­ruhe und Impulsivität sind die Leitsymptome der ADHS. Die Diagnose dürfe aber – das gilt besonders im Kindesalter – nicht allein anhand der Symptome gestellt werden, sondern erfordere eine sorgfältige Anamnese und validierte Tests. Die Differenzialdiagnostik bei ADHS ist umfangreich. Als First-Line-Therapie sollte Methylphenidat nur bei schwerer Symptomatik und starker Beeinträchtigung des Kindes und seiner psychosozialen Kontakte eingesetzt werden.

MPH ist ein zentralnervöses Stimulans, das mit nicht abschließend geklärtem Wirkmechanismus Einfluss auf die mentale und motorische Aktivität nimmt. Für den Arzneistoff, der dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, gibt es eine Vielzahl von Gegenanzeigen. MPH darf nicht angewendet werden bei Herz-Kreislauf-, zerebrovaskulären und verschiedenen psychischen Erkrankungen sowie Glaukom und Hyper­thyreose. Auch sind zahlreiche pharmakodynamische Wechselwirkungen bekannt, die es strikt zu beachten gilt. Als MPH-Nebenwirkungen sind unter anderem kindliche Wachstumsstörungen beschrieben und es können verschiedene neuro­logische und psychiatrische Erkrankungen beziehungsweise Symptome auftreten.

 

Die Autoren des BfArM-Berichts weisen darauf hin, dass Langzeitstudien zur Sicherheit MPH-haltiger Medikamente fehlen. Bei der aktuellen Datenlage sei allenfalls ein begrenzter Einsatz von Methylphenidat zu befürworten.

 

Auch wird unterstrichen, dass die Anwendung von Methylphenidat bei ADHS unter Einhaltung zahlreicher Sicherheitsvorgaben und unter Aufsicht eines Spezialisten für kindliche Verhaltensstörungen erfolgen muss. Dann sei von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis MPH-haltiger Arzneimittel in der Behandlung der ADHS auszugehen. Die Autoren verweisen darauf, dass 2009 die Sicherheitshinweise in den entsprechenden Fachinformationen EU-weit angepasst wurden.

 

Hinweise auf unkritischen Einsatz

 

Soweit die Theorie. Die Praxis sieht aber offenbar zumindest teilweise anders aus. Es besteht der Verdacht, dass die Diagnose ADHS zu oft gestellt und Methylphenidat zu häufig verordnet wird. So stellte der Barmer GEK Arzt­report 2013 in den Jahren 2006 bis 2011 einen Anstieg der Diagnosen hyper­kinetischer Störungen bei Kindern um rund 50 Prozent fest. Im Jahr 2011 erhielten 46,7 Prozent der Kinder mit dieser Diagnose ein MPH-haltiges Medikament.

 

Auch andere Quellen weisen in diese Richtung. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie wird im BfArM-Bericht mit der Vermutung zitiert, dass in der klinischen Routineversorgung ein erheblicher Anteil von Fehldiagnosen vorliege. Es sei möglich, dass Methylphenidat in relevantem Ausmaß ohne die geforderte strenge Indikationsstellung eingesetzt werde. Eine gesicherte Aussage ließen die verfügbaren Daten allerdings nicht zu. /

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