Statement zur Austauschbarkeit von Arzneimitteln mit komplex zusammengesetzten Wirkstoffen |
11.10.2016 11:26 Uhr |
Statement zur Austauschbarkeit von Arzneimitteln mit komplex zusammengesetzten Wirkstoffen
DPhG, House of Pharma & Healthcare / Zu den »non-biological complex drugs« (NBCD) werden vier Arzneimittel (-gruppen) gerechnet: die niedermolekularen Heparine, die Glatiramoide, die Eisen-Kohlenhydrat-Komplexe und liposomale Parenteralia (zum Beispiel mit dem Wirkstoff Doxorubicin). Ihnen allen ist gemeinsam, dass es sich um Arzneimittel komplexer Zusammensetzung handelt.
Allerdings befinden sich unter ihnen mit den niedermolekularen Heparinen auch Arzneimittel biologischen Ursprungs, sodass die Bezeichnung »non-biological complex drug« diskussionswürdig ist. Keines der Produkte ist jedoch biotechnologischen Ursprungs, also ein sogenanntes Biological, was durch den international eingeführten Namen NBCD zum Ausdruck gebracht werden soll.
Grundsätzlich unterscheiden sich alle NBCD ganz erheblich von Arzneimitteln mit kleinen, chemisch definierten Molekülen, indem
Diese sehr komplexe Molekül- beziehungsweise Produktstruktur macht die Entwicklung von generischen Alternativen, also Präparaten mit einer molekular-identischen Zusammensetzung, praktisch unmöglich. Vielmehr wird bei diesen Arzneimitteln die Komposition des jeweiligen Produkts durch den speziellen Herstellungsprozess bestimmt (»the process is the product«). Insofern ist die Abgrenzung dieser Gruppe von denjenigen Arzneimitteln mit chemisch definierter Zusammensetzung nicht nur sinnvoll, sondern zwingend.
Die verschiedenen NBCD-Arzneimittel haben außer der Komplexität ihrer Zusammensetzung keine unmittelbaren Gemeinsamkeiten. Daher gibt es für sie bislang auch kein einheitliches regulatorisches Konzept. Einen Sonderfall stellen allerdings die niedermolekularen Heparine insofern dar, als sie angesichts ihres biologischen Ursprungs in Europa bei der Zulassung wie ein »Biosimilar« behandelt werden.
Eine entsprechende Einstufung ist dagegen bei den Glatiramoiden, den Eisen-Kohlenhydrat-Komplexen und den liposomalen Parenteralia angesichts ihres nicht biologischen Ursprungs unmöglich, obwohl auch hier die komplexe Zusammensetzung eine generische Entwicklung ausschließt. Selbst mithilfe der leistungsfähigsten heute verfügbaren, hoch empfindlichen und selektiven Analysemethoden lässt sich die molekulare Zusammensetzung der Produkte nur unzureichend charakterisieren. Dies gilt natürlich in gleichem Maße für den Vergleich von »Originator«- mit »Nachahmer«-Produkten, für die daher eine identische Zusammensetzung nicht zweifelsfrei belegt werden kann. Folglich können solche Präparate auch nur als »weitgehend ähnlich« (»similar«) eingestuft werden. Als Konsequenz kann – anders als bei den Generika – eine bezugnehmende Zulassung über Bioäquivalenznachweis in diesen Fällen keinesfalls akzeptiert werden. Vielmehr müssen ebenso umfangreiche pharmazeutisch-analytische Untersuchungen sowie präklinische und klinische Studien – jeweils im Vergleich zum »Originator« – verlangt werden wie bei der Entwicklung von Biosimilars.
Diese grundsätzliche Einschätzung betrifft nicht nur die Voraussetzungen für die Zulassung in der Europäischen Union, sondern auch die Beurteilung der »Austauschbarkeit« der NBCD im Zuge ihres therapeutischen Einsatzes. Dieser Aspekt ist für Biosimilars eindeutig geregelt, indem bei diesen eine Aut-idem-Substitution gemäß Rahmenvertrag nach § 129 Absatz 2 SGB V grundsätzlich ausgeschlossen wird. Diese Entscheidung begründet sich durch die Komplexität der Produktzusammensetzung, die nur eine »ähnliche« – aber möglicherweise nicht wirklich identische – klinische Wirksamkeit (sowie Unbedenklichkeit) gewährleistet. Hinzu kommt, dass die klinischen Vergleichsstudien im Allgemeinen nicht so angelegt sind, einen Wechsel von einem auf ein anderes Produkt während einer laufenden Therapie abzubilden. Diese Regelung sollte auch auf die anderen NBCD ausgedehnt werden, die in dieser Hinsicht gleich einzuschätzen sind.
Die eingehende Analyse der spezifischen Charakteristika der NBCD führt zu dem Ergebnis, dass angesichts der besonderen Produkteigenschaften dieser Arzneimittel mit ihrer in allen Fällen sehr komplexen Zusammensetzung eine einfache bezugnehmende Zulassung – allein gestützt auf einen pharmakokinetischen Bioäquivalenznachweis anhand eines einzelnen Inhaltsstoffs – keinesfalls akzeptabel ist. Um in diesen Fällen Therapiesicherheit zu gewährleisten, sind klinische Studien zum Beleg von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit – jeweils im Vergleich zum »Originator« – unerlässlich (gegebenenfalls auch gestützt auf umfassende pharmakodynamische Untersuchungen). Dabei muss in jedem Einzelfall sichergestellt werden, dass die vergleichbaren therapeutischen Effekte für die »Nachahmerprodukte« mithilfe adäquater klinischer – oder paraklinischer (zum Beispiel bildgebender Verfahren) – Endpunkte belegt werden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit dies für die jeweiligen Präparate tatsächlich erfolgt. Aus Sicht der Fachkreise, die schließlich mit dieser Problematik in der Praxis umgehen müssen, ist darüber hinaus zu fordern, dass die Erkenntnisse aus diesen klinischen Studien für sie in einer Form zur Verfügung stehen, die es ihnen erlaubt, ihrer Verantwortung für die wirksame und sichere Arzneibehandlung der Patienten jederzeit gerecht zu werden. Darüber hinaus ist wichtig, dass auch die Sicherheit der »Nachahmerprodukte« während ihrer therapeutischen Anwendung in »Post-Authorization-Safety-Studies« weiter beobachtet und überprüft wird.
Für solche NBCD, die zur Dauertherapie eines sorgsam eingestellten Patienten eingesetzt werden sollen, kann daher – analog zu den Biosimilars – bis zum Beleg der »therapeutischen Austauschbarkeit« eine Aut-idem-Substitution nicht empfohlen werden. Auf der Basis des derzeitigen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse hält die DPhG eine Aufnahme der NBCD in die vom Gemeinsamen Bundesausschuss publizierte »Substitutionsausschlussliste« für angezeigt – soweit sie nicht, wie die niedermolekularen Heparine, als Biosimilars von der Substitution ohnedies ausgeschlossen sind. /
Dieses Statement wurde auf der Basis der Beratungsergebnisse eines von der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) zusammen mit dem House of Pharma & Healthcare, Frankfurt, veranstalteten Expertentreffens erstellt. Die nachfolgend genannten Teilnehmer der Expertenrunde haben zur Ausarbeitung des Statements beigetragen und unterstützen die darin formulierten Empfehlungen:
Professor Dr. Susanne Alban, Kiel
Dr. Michael Binger, Wiesbaden
Professor Dr. Henning Blume, Oberursel
Professor Dr. Wolfgang Brück, Göttingen
Dr. Joachim Burschäpers, Frankfurt
Professor Dr. Theodor Dingermann, Frankfurt
Dr. Daniel Fendji, Berlin
Professor Dr. Sebastian Harder, Frankfurt
Professor Dr. Eva Herrmann, Frankfurt
Lothar Jungbluth, Obertreis
Professor Dr. Michael Lämmerhofer, Tübingen
Professor Dr. Stefan Laufer, Tübingen
Dr. Martin Lorenz, Frankfurt
Professor Dr. Jochen Maas, Frankfurt
Dr. Milan Novakovic, Berlin
Professor Dr. Friedemann Paul, Berlin
Dr. Otto-Quintus Russe, Frankfurt
Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Frankfurt
Professor Dr. Fritz Sörgel, Heroldsberg
Dr. Gerhard Tischler, Berlin
Dr. Christian Ude, Darmstadt
Dr. Dagmar Walluf-Blume, Berlin