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Gastrointestinale Entschäumer

Neue Erkenntnisse zum Wirkmechanismus von Simeticon

06.10.2009  16:13 Uhr

PZ-Originalia

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Weder der schnelle Entschäumer Simeticon, in dem flüssiges Polydimethylsiloxan Öl (PDMS) mit festen Siliziumdioxidpartikeln kombiniert ist, noch das deutlich langsamer wirksame Dimeticon, das lediglich aus Polydimethylsiloxan besteht, werden resorbiert. Beide Substanzen sind damit nicht toxisch und zeichnen sich durch eine hohe Arzneimittelsicherheit aus. Sie sind als flüssige wie auch feste Arzneiformen verfügbar sowie als Kapseln, die den flüssigen Wirkstoff enthalten. Im Handel sind als Formulierung von Simeticon Lefax Pump Liquid (LPL) als Emulsion des Wirkstoffs in Wasser, Lefax Kautabletten mit 42 mg und Lefax extra Kautabletten mit 105 mg des Wirkstoffs als feste Arzneimittel, Lefax extra Flüssigkapseln mit 125 mg Simeticon (Gelatinekapsel) und das Präparat Enzym Lefax, das neben 42 mg Simeticon auch 50 mg Pankreas-Pulver vom Schwein enthält.

 

Gas kann wieder entweichen

 

Der genaue Wirkmechanismus von Simeticon ist nicht bis ins Detail geklärt. Gut dokumentiert ist, dass der Wirkstoff Schaumblasen, also Gas, das im Magen-Darm-Trakt entsteht und in zähem Schaum eingeschlossen ist und nicht entweichen kann, zerstört, sodass das Gas entweder resorbiert und abgeatmet oder direkt ausgeschieden werden kann. Wie dies genau vermittelt wird, war häufig Gegenstand von Diskussionen, wurde bislang aber nicht systematisch untersucht.

 

Diese Lücke zu schließen, war Ziel aktueller Untersuchungen am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm/Potsdam. Es sollte darüber hinaus am Beispiel des Präparates Lefax Pump Liquid (LPL) die Effektivität von Simeticon bei der Schaumzerstörung überprüft werden und das auch hinsichtlich der Langzeiteffekte.

 

Zur Charakterisierung der Entschäumung wurden Modellschäume eingesetzt wie n-Dodecyl-β-Maltosid (C12G2), ein gut charakterisiertes natürliches nichtionisches Tensid, das stabile Schäume bildet, sowie Bovines Serum Albumin (BSA), das als natürliches Tensid die im Magen vorhandene Proteinfraktion repräsentiert. Mit einem Milchextrakt, der neben den Kohlenhydraten auch Proteine und Fette enthält, wurde außerdem ein Modellschaum für möglichst realitätsnahe in-vivo-Bedingungen, analog zur Milchschaumkolik, wie sie zum Beispiel bei Säuglingen auftreten kann, gebildet.

 

Grundlagen der Schaumbildung

 

Als Schaum wird ein System bezeichnet, in dem Agglomerate aus Gasblasen (Abbildung 1a; nur in der Druckausgabe) durch dünne Flüssigkeitslamellen (Filme) (Abbildung 1b; nur in der Druckausgabe) voneinander getrennt sind. Die Lamellen werden durch grenzflächenaktive Moleküle mit hydrophobem und hydrophilem Molekülteil stabilisiert (Abbildung 1b; nur in der Druckausgabe). Allerdings sind die Lamellen (beziehungsweise Schäume) per se thermodynamisch instabile Systeme und werden über kurz oder lang zerfallen. Im Darm jedoch sind Schäume relativ stabil und »altern« vergleichsweise langsam, weil sie auch Proteine, Kohlenhydrate und Fette enthalten, die ihrerseits zur Stabilisierung der Schaumblasen beitragen können.

 

Sowohl im industriellen Bereich wie auch bei der Behandlung von Oberbauchbeschwerden werden deshalb Entschäumer eingesetzt, um der Schaumbildung entgegenzuwirken und bereits entstandene Schäume abzubauen. Man unterscheidet hierbei thermische, mechanische und chemische Entschäumer, bei denen es sich zum Beispiel um Fette oder Öle handelt, sowie um stickstoff- und schwefelhaltige organische Verbindungen und Siloxane.

 

Als Arzneimittel genutzt, und entsprechend im Europäischen Arzneibuch beschrieben, werden die Wirkstoffe Dimeticon, ein reines Polydimethylsiloxan Öl (PDMS) ohne inkorporierte feste Partikel sowie das weiterentwickelte Simeticon. Dieses enthält neben PDMS auch feste Siliziumdioxidpartikel, wodurch die Aktivität bei der Schaumzerstörung gesteigert wird.

 

Langsame und schnelle Schaumzerstörer

 

Die unterschiedliche Zusammensetzung bedingt aber nicht nur Unterschiede bei der Wirkweise, sondern auch bei der Geschwindigkeit der Schaumzerstörung. Unterschieden wird prinzipiell zwischen langsamen und schnellen Entschäumern. Die langsamen Entschäumer, die üblicherweise keine festen Partikel enthalten, dringen nach und nach in den Schaum vor, drücken die einzelnen Tropfen zusammen, bis der Druck einen kritischen Grenzwert übersteigt und die Entschäumer auch in die Wasser-Luft-Grenzfläche eindringen können.

 

Etwas anders sieht dies bei den schnellen Entschäumern aus, die in der Regel feste Partikel enthalten und über diese nach dem sogenannten Bridging-Dewetting-Prinzip entschäumend wirken (Abbildung 2; nur in der Druckausgabe). Dabei wird mithilfe des festen Partikels quasi eine Brücke zwischen den gegenüber liegenden wässrigen Phasen geformt und so rasch ein Aufreißen der Schaumlamellen induziert.

 

Nach dem Eindringen hat der Entschäumertropfen zwei Möglichkeiten. Entweder das Öl spreitet nach der Theorie des Fluid-Entrainment-Mechanismus auf der Oberfläche und zieht darunterliegende Flüssigkeitsschichten mit sich, wodurch der Film an dieser Stelle ausdünnt und die Lamelle reißt (Abbildung 2 links; nur in der Druckausgabe). Im Gegensatz dazu findet beim Pinch-Off keine Spreitung statt. Das Öl bleibt in Tropfenform erhalten und bildet eine Brücke innerhalb des Flüssigkeitsfilms, indem es in beide Grenzflächen (Luft-Wasser-Luft) der Flüssigkeitslamelle eintritt und eine instabile Brücke formt (Abbildung 2 rechts; nur in der Druckausgabe). Es findet im Folgenden ein Entnetzungsprozess statt, der hauptsächlich von dem Dreiphasenkontaktwinkel abhängt.

 

Ähnlich wirken auch Öle entschäumend, bei denen nach dem Bridging-Stretching-Mechanismus quasi eine Ölbrücke zwischen den wässrigen Phasen geknüpft wird und ebenso wie bei den festen Partikeln ein sogenannter Entnetzungsprozess eingeleitet wird, wodurch die Schaumblasen zerstört werden.

 

Methodik zur Messung der Entschäumung und der Schaumverhütung

 

Als Prüfpräparat zur Ermittlung des genauen Wirkmechanismus von Simeticon wurde vor allem Lefax Pump Liquid (LPL) genutzt, in Konzentrationen von 0.2 g bis 0,001 g Simeticon pro Milliliter Wassser beziehungsweise Tensidlösung.

 

In zwei Versuchsreihen wurde anschließend die Wirkung von Simeticon in den verschiedenen Modellschäumen (mit n-Dodecyl-β-Maltosid, Bovines Serum Albumin oder Milchextrakt stabilisiert) geprüft.

 

Entschäumung (Defoaming):
Es wurde auf verschiedenen Wegen 10 Milliliter Schaum erzeugt. LPL wurde in verschiedenen Verdünnungen mit einer Pipette auf den Schaum gegeben. Dann wurde die Zeit bis zur vollständigen Schaumzerstörung (t) oder das Restschaumvolumen (V) nach einem Limit von 300 Sekunden notiert.

Schaumverhütung (Antifoaming):
Diese Versuche zeigen die Fähigkeit von LPL, die Schaumbildung zu verhindern, wenn es bereits in der Tensidlösung enthalten ist. Die Versuche wurden mit der Bartsch-Methode durchgeführt, bei der nach einem standardisierten Schüttelprozess die jeweiligen Zeit- und Volumenwerte der Schaumbildung bestimmt werden. Dies geschah mit verschiedenen Konzentrationen des Entschäumers als Kurz- oder Langzeitmethode jeweils in den verschiedenen Modellschäumen.

 

Parallel zu diesen Untersuchungen wurde der Prozess der Entschäumung anhand von Videoaufnahmen dokumentiert, wobei kurze Videosequenzen aufgenommen wurden, die die Wirkung von LPL aus der Luftblase heraus während des Erstkontaktes mit einer Schaumlamelle dokumentieren. Hierzu wurde LPL langsam vom oberen Ende eines Rollrandglases herab auf die Schaumlamelle zufließen gelassen.

 

Die Entschäumung wurde ferner mikroskopisch untersucht, wozu zunächst Einzelschaumfilme erzeugt wurden, die anschließend unter dem Mikroskop zu betrachten waren – mit und ohne Zugabe einer Simeticon-Präparation.

 

Versuchsergebnisse

 

Defoaming und Antifoaming

Die beschriebenen Versuchsreihen belegen eine schaumzerstörende (Defoaming) wie auch schaumverhindernde (Antifoaming) Wirksamkeit von Simeticon, die über etwa 24 Stunden beibehalten wird.

 

Der Wirkstoff senkt mit steigenden Konzentrationen die Oberflächenspannung (σ), was für sich alleine genommen die beobachteten Wirkungen allerdings nicht erklärt (Abbildung 3a; nur in der Druckausgabe). Der Modellschaum wird vielmehr in kürzester Zeit komplett durch eine Grenzkonzentration von LPL zerstört (Abbildung 3b; nur in der Druckausgabe). Die Versuchsreihen zeigen eindeutig, dass die Schaumzerstörung durch die verschiedenen Formulierungen nicht kausal auf die Senkung der Oberflächenspannung zurückgeht.

 

Eine Grenzkonzentration von 0,1 mg Simeticon/ml Tensidlösung reichte in allen Defoaming-Experimenten aus, um den kompletten Schaum zu zerstören. Diese Grenzkonzentration ist zur Schaumzerstörung notwendig. Die Oberflächenspannung der Tensidlösung wird herabgesetzt, was für sich genommen aber noch nicht zur Schaumzerstörung führt. Denn anders als lange vermutet, besteht der zentrale Wirkmechanismus von Simeticon bei der Schaumzerstörung (Defoaming) und der Hemmung der Schaumbildung (Antifoaming) nicht in der Herabsetzung der Oberflächenspannung. Die Schaumzerstörung wird vielmehr durch einen forcierten Flüssigkeitsabzug aus der Schaumblase nach dem LPL-Kontakt eingeleitet, wie eindrucksvoll anhand der Bildaufnahmen zu dokumentieren ist (Abbildung 4; nur in der Druckausgabe). Die Schaumblase dünnt dabei mehr und mehr aus und zerreißt schließlich.

 

Dass es sich hierbei nicht nur um einen Effekt des Defoaming, sondern auch des Antifoaming – also nicht nur um eine schaumzerstörende sondern auch die Schaumbildung verhindernde Wirkung – handelt, belegen Versuche, bei denen LPL direkt mit einer n-Dodecyl-β-Maltosid-Lösung gemischt wurde. Mit der Bartsch-Methode wurde Schaum erzeugt, aber dieser zerfiel innerhalb von Sekunden wieder und ließ sich auch durch nochmaliges Aufschütteln nicht wieder herstellen. Die beschriebenen Versuchsreihen belegen eine schaumverhindernde (Antifoaming) Wirksamkeit von Simeticon bereits ab einer Grenzkonzentration von circa 0,1 mg Simeticon/ml Tensidlösung, die über etwa 24 Stunden beibehalten wird (Abbildung 5; nur in der Druckausgabe).

 

Die Kombination der festen Siliziumdioxidpartikel mit PDMS scheint hierfür von essenzieller Bedeutung zu sein. Denn nur bei dieser Kombination trat in den Versuchen der gewünschte entschäumende Effekt in kürzester Zeit ein, wobei die Entschäumung auch bei wiederholtem Schütteln erhalten blieb. Feste Partikel oder flüssiges PDMS alleine zerstörten die Schaumbildung längst nicht so effektiv und vor allem nicht so rasch und nachhaltig.

 

Silziumdioxidpartikel forcieren das Fluid-Entrainment

 

Die Fotoaufnahmen belegen, dass PDMS-Öltröpfchen in den Schaum einwandern, sich dort sammeln und durch die Schwerkraft einen Abzug der Flüssigkeit (Fluid-Entrainment) bewirken. Dadurch erhöht sich der Druck auf die Tropfen bis schließlich eine kritische Eintrittsbarriere erreicht ist und die PDMS-Tröpfchen in die Grenzfläche einwandern können. Allerdings kann es Stunden dauern, bis der Schaum über diesen Mechanismus komplett zerstört ist.

 

Deutlich rascher erfolgt die Schaumzerstörung durch Simeticon (mit festen Silliziumdioxidpartikeln), bei dem es ebenfalls zu der beschriebenen Spreitung der Öltropfen und zum Fluid-Entrainment kommt. Die Öltropfen können nach der ersten Spreitung auch direkt in die Schaumlamellen eindringen und einen Pinch-Off-Mechanismus und damit das Reißen der Schaumlamelle auslösen.

 

Die Modellexperimente belegen, dass die komplette Schaumzerstörung mit Abstand am raschesten durch Simeticon, also durch die Kombination von PDMS und festen Siliziumdioxidpartikeln erfolgt. Diese beschleunigen offensichtlich den Kontakt zu den Luftgrenzflächen oberhalb und unterhalb der Schaumlamelle und erhöhen die Eindringtiefe des PDMS in die Schaumlamellen hinein. Die Geschwindigkeit der Schaumzerstörung durch den Pinch-Off-Mechanismus wird so erheblich gesteigert. Außerdem erleichtern die spitzen Siliziumdioxidpartikel in der schäumenden Lösung das Eindringen von Simeticon in die Grenzflächen. Es kommt rascher zum Fluid-Entrainment, zumal die festen Partikel hierbei quasi wie ein Anker fungieren und das Herausziehen der Flüssigkeit forcieren.

Fazit

Der Wirkstoff Simeticon senkt die Oberflächenspannung von Tensidlösungen deutlich herab. Die schaumzerstörende und schaumverhütende Wirkung beruht aber nicht auf diesem physikalischen Effekt. Denn Simeticon ist im Gegensatz zu Dimeticon ein schneller Entschäumer, was sich direkt durch den Zusatz der festen Siliziumdioxidpartikel erklärt. Diese erleichtern die Spreitung der Dimeticon-Öltropfen und forcieren das Fluid-Entrainment bis hin zum raschen Reißen der Schaumlamellen. Für diesen Effekt, der über 24 Stunden anhält, sind Konzentrationen von 0,1 mg Simeticon pro ml Tensidlösung, wie sie mit den handelsüblichen Präparaten erreicht werden, ausreichend.

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