Sterben auf der Warteliste |
09.10.2007 14:21 Uhr |
Sterben auf der Warteliste
Von Gudrun Heyn
Im Jahr 2006 sind in Deutschland erstmals mehr als 4000 Organe transplantiert worden. Dennoch reicht die Zahl der gespendeten Organe bei Weitem nicht aus. Nur ein Viertel aller Patienten, die auf der Transplantations-Warteliste stehen, können mit einem Spenderorgan versorgt werden.
Trotz Einführung des Transplantationsgesetzes vor zehn Jahren warten derzeit mehr als 12.000 Erkrankte in der Bundesrepublik auf ein lebenswichtiges Organ, davon allein 8400 Menschen auf eine Niere. Jeden Tag sterben drei Patienten auf der Warteliste. Immer noch viel zu wenig Bundesbürger bekennen sich aktiv dazu, ihre Organe später einmal Schwerstkranken zur Verfügung zu stellen und füllen gemäß der gesetzlich geregelten Zustimmungslösung zu Lebzeiten einen Organspenderausweis aus. So verdanken die im Jahr 2006 transplantierten 4000 Patienten ihr neues Leben gerade einmal 1259 Menschen, die nach dem Tod ihre Organe gespendet haben. Außerdem waren 522 Lebendspender bereit, auf eines ihrer Körperteile zu verzichten.
»Im Gegensatz zur Verfügbarkeit der Organe ist der medizinische Fortschritt bei Transplantationen sehr zufriedenstellend«, sagte Professor Dr. Paolo Fornara von der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer auf dem 59. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie. Dies gelte sowohl auf medikamentöser als auch auf chirurgischer Ebene. So sind nach einem Jahr noch bis zu 93 Prozent der transplantierten Nieren funktionstüchtig. Nach fünf Jahren funktionieren noch bis zu 82 Prozent aller Spendernieren. Die Erfolgsquoten etwa bei einer Herz- oder einer Leberverpflanzung liegen nur geringfügig darunter. Vom medizinischen Fortschritt profitieren auch die Lebendspender. Beispielsweise kann eine Nierenentnahme oftmals minimalinvasiv durchgeführt werden.
Außerdem ist es trotz Blutgruppenunverträglichkeit inzwischen möglich, ein Organ zu verpflanzen. »Dabei handelt es sich jedoch um ein extrem aufwendiges und extrem teures Verfahren, was nur dann sinnvoll ist, wenn es keinen anderen Spender gibt«, so Fornara. Grundsätzlich werden daher in Deutschland nur Organe von kompatiblen Gruppen transplantiert. Dies bedeutet, dass etwa die Nieren von Spendern mit der Blutgruppe A nur Patienten mit der gleichen Blutgruppe zugute kommen, während die Nieren von Spendern mit der Blutgruppe 0 auch Patienten jeder anderen Blutgruppe zur Verfügung stehen. Doch bald wird es dazu eine Änderung in den Transplantationsrichtlinien geben. Nach der bisherigen Regelung müssen Patienten der Blutgruppe 0 alle für sie infrage kommenden Spenderorgane mit den anderen Schwerstkranken teilen. Da dies von Patienten und Ärzten als ungerecht empfunden wird, dürfen demnächst Organe mit der Blutgruppe 0 nur noch auf Menschen mit der gleichen Blutgruppe übertragen werden.
Während es für die Ungleichbehandlung von Patienten eine Lösung geben wird, stellt das Problem der Organknappheit für Mediziner und Betroffene immer noch eine große Herausforderung dar. »Trotz intensiver Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, die Lücke zwischen verfügbaren und tatsächlich benötigten Organen zu schließen«, sagte Fornara. So ist Deutschland im internationalen Vergleich immer noch Schlusslicht bezüglich der Anzahl an Lebendspenden. Gerade einmal 19 Prozent betrug deren Anteil im letzten Jahr. In europäischen Staaten wie Norwegen, Spanien und Griechenland stammt dagegen mehr als die Hälfte aller transplantierten Organe von noch lebenden Personen, in den Niederlanden und der Schweiz sind es mehr als 30 Prozent.
Im Gegensatz zu diesen Staaten gilt in Deutschland das Subsidiaritätsprinzip. Demnach ist es nur dann erlaubt, eine Lebendspende durchzuführen, wenn kein Organ eines Verstorbenen zur Verfügung steht. »Dies ist anachronistisch, weil die von Lebendspendern stammenden Organe eine bis zu 15-prozentig bessere Funktionsrate haben als postmortale Organe und die Empfänger zudem länger leben«, sagte Fornara. Ärzte in Deutschland müssen aber die zweitbeste Lösung anbieten, obwohl sie wissen, dass diese Therapie nicht die beste ist. Für viele Mediziner stellt sich daher die Frage, ob nicht allein schon deshalb das Prinzip der Subsidiarität abgeschafft werden sollte. Außerdem wäre die Lebendspende eine wichtige Maßnahme, um die Knappheit an Organen zu überbrücken.
Auch die sogenannte Widerspruchslösung könnte die Situation verbessern. Im Gegensatz zur jetzigen Zustimmungslösung muss hierbei jeder Bürger einer postmortalen Organspende aktiv widersprechen, wenn dies nicht seinem Willen entspricht. In einigen Ländern mit Widerspruchslösung sind die Organspenderzahlen fast doppelt so hoch wie in der Bundesrepublik. Viele befürchten jedoch, dass es bei geltender Widerspruchslösung zu einer unwillentlichen Organentnahme kommt, etwa dann, wenn im Notfall der erklärte Wille noch nicht abgegeben wurde oder nicht aufgefunden wird. Eine Lösung könnte der eingeschränkte Widerspruch sein. Dabei wird die Erklärung für oder gegen eine Organspende routinemäßig in der zukünftigen elektronischen Gesundheitskarte eingetragen.