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Süßstoffe

Saccharin als Carboanhydrase-Hemmer

09.10.2007  11:22 Uhr

Süßstoffe

Saccharin als Carboanhydrase-Hemmer

Von Bettina Neuse-Schwarz

 

Saccharin schmeckt süß, noch 450-mal süßer als Saccharose. Doch es hat einen unangenehmen Nachgeschmack, bitter und metallisch. Dies könnte an der selektiven Hemmwirkung von Saccharin auf bestimmte Carboanhydrasen liegen.

 

Saccharin ist der am längsten bekannte synthetische Süßstoff. Es hat keine Kalorien und ist, häufig im Gemisch mit Cyclamat, ein beliebter Zuckerersatz. Die Nahrungsmittelindustrie verwendet das lösliche Natriumsalz, Saccharinum solubile. Chemisch gesehen ist Saccharin ein o-Benzoesäuresulfimid. Es enthält eine Lactameinheit und eine zyklische Sulfonamideinheit. Diese ist verantwortlich für den sauren Charakter des Moleküls und eventuell auch für die Wechselwirkung mit Carboanhydrasen (CA), vermutet die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Gerhard Klebe vom Institut für Pharmazeutische Chemie der Marburger Philipps-Universität. Man geht davon aus, dass die Sulfonamideinheit mit dem Zinkion am Boden der Bindetasche der CA interagiert.

 

CA sind Proteine, die fast überall im menschlichen Körper vorkommen. Sie katalysieren die Fixierung von  Kohlendioxid (CO2) durch Wasser als Bicarbonat. Es existieren zahlreiche Isoenzyme der CA, von denen bis heute 15 charakterisiert worden sind (CA-I bis CA-XV). Sie sind zum Beispiel an der pH-Regulierung im Organismus, am CO2-Transport und an der Bereitstellung von C1-Bausteinen für die Biosynthese beteiligt.

 

Aus klinischer Sicht gelten CA als Ansatzpunkte für die Therapie von Erkrankungen mit erhöhtem Augeninnendruck (Glaukom) oder zur Diurese. Als Einsatzgebiete werden auch Adipositas und bestimmte Tumorerkrankungen diskutiert. Als Wirkstoffe zugelassen sind bisher Inhibitoren der CA: Darunter Acetazolamid zur Glaukombehandlung und andere Sulfonamide wie Furosemid und Hydrochlorothiazid als Diuretika.

 

Saccharin ist wählerisch

 

Der Marburger Arbeitskreis erforscht seit mehreren Jahren, wie kleine Moleküle mit Enzymen, Rezeptoren und anderen Proteinen interagieren und deren Funktionen beeinflussen. Auch die Hemmwirkung von Saccharin auf verschiedene Isoenzyme der CA wurde untersucht und mit der von zugelassenen CA-Inhibitoren verglichen. Dabei haben die Wissenschaftler festgestellt, dass die Hemmwirkung von Saccharin gegenüber den unterschiedlichen Isoformen im Vergleich mit den therapeutisch eingesetzten CA-Inhibitoren auffallend selektiv ist. Die am stärksten inhibierte Isoform ist die im Gehirn lokalisierte CA-VII. Saccharin hemmt sie im nanomolaren Bereich. Die ubiquitär vorkommende CA-II wird durch Saccharin nur mäßig stark, im unteren mikromolaren Bereich, inhibiert. Auf der Suche nach einer Erklärung für diese Selektivität hat die Marburger Forschergruppe die Kristallstruktur von Saccharin im Komplex mit CA-II näher untersucht.

 

Assoziation von Stickstoff an Zink

 

Vermutlich koordiniert das Saccharin in deprotonierter Form über das Stickstoff-atom der Sulfonamideinheit an das katalytische Zinkion der CA-II. In der sich ergebenden räumlichen Anordnung bilden sich Wasserstoffbrücken. Es kommt zum Einbau eines zweiten Zinkions in die Kristallstruktur. Der Kontakt zum Liganden ist wasservermittelt. Gleiches wird auch angenommen für die Bindungsstrukturen zwischen Saccharin und CA-VI, beziehungsweise zwischen Sacharin und CA-XIV. Beide Isoenzyme werden von Saccharin deutlich gehemmt.

 

Nach den Beobachtungen des Marburger Arbeitskreises hängt die Bindungsaffinität des Saccharins und damit seine Hemmwirkung gegenüber der jeweiligen CA-Isoform von deren Aminosäurezusammensetzung ab. Ist diese so, dass durch Einbau eines kontaktvermittelnden Wassermoleküls die Ligandbindung zwischen der Carbonylgruppe des Lactams und der CA verstärkt wird, fällt die Hemmwirkung stärker aus. Dies ist bei CA-II der Fall. Bei CA-I und CA-XIII lässt sich dagegen eine deutliche Affinitätsreduzierung feststellen, da es aufgrund der enthaltenen, räumlich voluminöseren Aminosäuren zu sterischen Problemen mit dem gebundenen Saccharin kommt.

 

Mehr als Spekulationen über die Selektivität des Saccharins gegenüber den

CA-Isoenzymen lässt die untersuchte Kristallstruktur von Saccharin im Komplex mit CA-II aber nicht zu, so das Fazit der Marburger Wissenschaftler. Im Vergleich zwischen Saccharin und den zugelassenen CA-Inhibitoren fallen maßgebliche strukturelle Unterschiede auf: Die meisten therapeutisch eingesetzten CA-Hemmer haben eine terminale, exozyklische Sulfonamid-, Sulfamat- oder Sulfimideinheit. Saccharin weist eine zyklische Struktur auf. Die Lactam-Carbonylgruppe im zyklischen Fünfring ist eine strukturelle Besonderheit des Saccharins, die möglicherweise verantwortlich ist für seine selektivere CA-Hemmung.

 

Pharmazeutische Relevanz

 

Unklar ist, inwieweit die in vitro beobachtete selektive Hemmungwirkung des Saccharins auf die verschiedenen CA-Isoformen praktische Auswirkungen hat, beispielsweise im Hinblick auf erwünschte oder unerwünschte Interaktionen und Nebenwirkungen.

 

So könnte etwa der bittere, metallische Nachgeschmack des Zuckerersatzstoffs über eine Hemmung der im menschlichen Speichel vorhandenen CA-VI zustande kommen, vermuten die Marburger Chemiker. Ihr wird eine mögliche Rolle an der Geruchs- und Geschmackswahrnehmung und an der pH-Regulierung im Mund zugeschrieben. Außerdem wird eine mögliche Bedeutung in der Kariesprophylaxe diskutiert, da sie an der Ansäuerung des Zahnschmelzes beteiligt ist. Die Hemmung dieses Proteins durch Saccharin liegt im submikromolaren Bereich, ist also mäßig stark. Derselbe Mechanismus würde auch den bitteren, metallischen Nachgeschmack erklären, der bei verschiedenen therapeutisch eingesetzten CA-Inhibitoren auftritt.

 

 

Quelle: Köhler, A. Hillebrecht, A. Innocenti, A. Heine, C. T. Supuran, G. Klebe: Saccharin, a Potent Inhibitor of Carbonic Anhydrases: An Explanation for its Metallic Aftertaste? Angew. Chemie 119 (2007) 7841-7843, Angew. Chem., Int. Ed. Engl. 46 (2007) 7697-7699

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