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Multiple Sklerose

Bewährte und neue Immuntherapeutika

09.10.2006  10:31 Uhr

Multiple Sklerose

Bewährte und neue Immuntherapeutika wecken Hoffnung

Von Ralf A. Linker, Andrew Chan und Ralf Gold

 

Neue Erkenntnisse zur Pathogenese der Multiplen Sklerose haben die Therapie deutlich vorangebracht. Schon in naher Zukunft könnten Patienten von neuen mmuntherapeutika und individualisierten Behandlungsansätzen profitieren. Neurobiologisch-protektive Strategien zielen auf das Überleben von Glia- und Nervenzellen ab.

 

Bei der Multiplen Sklerose (MS) lässt sich der Transfer neuer Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in innovative Therapiekonzepte besonders gut verfolgen. So ist beispielsweise zwischen den tierexperimentellen Arbeiten zu Wirkmechanismen des anti-VLA4-Antikörpers Natalizumab bis hin zu Phase-III-Studien nur wenig mehr als eine Dekade vergangen. Die europathologische Identifizierung unterschiedlicher Mechanismen der aktiven Demyelinisierung mit einer großen Untergruppe humoral vermittelter Schädigung liefert die Rationale für B-Zell-gerichtete Immuntherapien, die teilweise bereits klinisch angewendet werden.

 

Im Folgenden werden neuere pathogenetisch orientierte Therapiekonzepte vorgestellt: die eskalierende Therapie beim Cortison-refraktären Krankheitsschub, die Langzeit-Basistherapie mit Interferonen und Glatirameracetat, verschiedene hoch spezifische monoklonale Antikörper in der Langzeitbehandlung der MS, orale Substanzen sowie potenzielle neuroregenerative Ansätze.

 

Neues in der Schubtherapie

 

Die hoch dosierte intravenöse Therapie mit Glucocorticosteroiden, bevorzugt Methylprednisolon (»Pulstherapie«), ist die zurzeit etablierte Behandlung eines akuten MS-Schubs. Hierzu liegen relativ gute evidenzbasierte Studien vor (Grauer et al., 2001). Eine weitere Verbesserung könnten Steroide in liposomaler Galenik mit längerer Halbwertszeit bringen. Liposomal verkapselte Cortisonpräparate zeigen in experimentellen Modellen eine gerichtete stärkere Wirksamkeit, möglicherweise auch aufgrund zusätzlicher Effekte auf Makrophagen (Schmidt et al., 2003).

 

In der Praxis erfolgt nach Infektausschluss die morgendliche intravenöse Gabe von 1000 mg Methylprednisolon für drei bis fünf Tage. In Sonderfällen wird anstatt der intravenösen Infusion auch die perorale Gabe von beispielsweise 500 mg Prednison über die gleiche Zeit erwogen (Morrow et al., 2004). Bei Wirkungslosigkeit oder sekundärer Verschlechterung der Beschwerden nach Abschluss des ersten Cortisonpulses ist eine Wiederholung mit dem selbem Schema bereits nach einer Woche möglich. Hierbei können auch 2000 mg Methylprednisolon intravenös für drei bis fünf Tage appliziert werden.

 

Falls danach schwere Ausfallsymptome wie Querschnittsmyelitis, schwere Ataxie oder hochgradiger Visusverlust bestehen bleiben, ist innerhalb von vier bis maximal sechs Wochen eine zeitnahe Therapieeskalation mittels einer Plasmapherese-Serie (PE) unter stationären Bedingungen möglich. Zur Indikationsstellung ist die Rücksprache mit einem erfahrenen MS-Zentrum sinnvoll.

 

Wie wirkt die PE-Therapie? In histopathologischen Studien an Biopsiepräparaten wurden bei etwa 40 Prozent der Patienten vorwiegend humoral vermittelte Schädigungsmechanismen identifiziert; man fand Antikörper- und Komplement-vermittelte Schädigungsmuster (Typ II in der Klassifizierung nach Lassmann, Brück und Lucchinetti). Angesichts der geschädigten Blut-Hirn-Schranke bei MS könnte die Plasmapherese auch zu einer lokalen Beseitigung solcher humoraler Faktoren führen. Diese Rationale hat kürzlich weitere Unterstützung gefunden: Die Analyse der Hirnbiopsien von histologisch klassifizierten Patienten ergab eine eindeutige Korrelation der Wirksamkeit der PE mit dem histopathologischen Subtyp II (Keegan et al., 2005). Dagegen sprach kein Patient mit einem Subtyp I (T-Zell-/Makrophagen-assoziierte Demyelinisierung) oder Subtyp III (distale Oligodendropathie) auf die PE an.

 

Untersuchungen an der Mayo Clinic in den USA zeigten in einer kontrollierten Cross-over-Studie mit Klasse-I-Evidenz eine über 40-prozentige Erfolgschance einer PE-Therapie, wobei ein früher Therapiebeginn innerhalb von vier bis sechs Wochen nach den ersten Symptomen des Krankheitsschubs für den Therapieerfolg wesentlich war (Keegan et al., 2002).

 

In eigenen Untersuchungen bei Patienten mit schwerer Optikusneuritis führte die PE innerhalb von vier bis sechs Wochen nach Beginn der steroidresistenten Visusverschlechterung sogar bei sieben von zehn Patienten zu einer deutlichen Besserung (Ruprecht et al., 2004). Ähnlich hohe Ansprechraten konnten wir in einer retrospektiven Auswertung zur Anwendung der PE bei steroidrefraktären MS-Schüben bestätigen. Bei unterschiedlichen Symptomen wie Optikusneuritis, aber auch hochgradigen sensomotorischen Ausfällen führte die PE bei etwa 70 Prozent der Patienten zu einer deutlichen, funktionell relevanten Besserung. Eine Besserung war meist nach der dritten Plasmapherese zu verzeichnen (Schilling et al., 2006).

 

Zusammenfassend sollte eine Plasmapherese frühzeitig erwogen werden, wenn nach zwei Cortisonpulstherapien deutliche Residuen bestehen bleiben (Abbildung 1). Wir führen routinemäßig insgesamt fünf PE durch, darüber hinaus lässt sich erfahrungsgemäß kein weiterer Erfolg erzielen. Bei Verschlechterung bereits unter der ersten Cortisonpulstherapie kann die PE auch sofort erwogen werden. In der Langzeittherapie der MS spielt die Methode jedoch keine Rolle. Für den theoretisch denkbaren, alternativen Einsatz von intravenösen 7S-Immunglobulin-Präparaten bei steroidrefraktären Krankheitsschüben gibt es bisher keine gesicherten Daten.

 

Langzeittherapie mit Interferon

 

Mit den Beta-Interferonen (IFN-β1b und IFN-β1a) wurde bei der MS in den 1990er-Jahren klinisch eine neue Substanzklasse erprobt, die auf der Ebene der Immunmodulation angreift. Erst die Möglichkeit, diese körpereigenen Substanzen gentechnisch in größerem Umfang und in reiner Form herzustellen, eröffnete den breiten und kontrollierten Einsatz.

 

Von der Vielzahl experimentell bewiesener Interferonwirkungen sind die Effekte auf monozytäre Zellen/Fresszellen mit Unterdrückung der enzymatischen Aktivität von Metalloproteinasen (MMP) besonders relevant (Übersicht in Gold und Toyka, 2006). Bei mittlerweile mehr als 15-jährigem Einsatz haben IFN-b-Präparate keinerlei ernsthafte Langzeitnebenwirkungen verursacht.

 

IFN-β-Präparate sind als Basistherapie der MS etabliert. Drei große Phase-III-Studien haben eine eindeutig gleichsinnige Wirksamkeit der drei Interferon-Präparate gezeigt (Übersicht in MS-Therapie Konsensusgruppe (MSTKG) 1999, 2001, 2002). Es kommt zu etwa 30 Prozent weniger schubförmigen Verschlechterungen und einer bis zu 80-prozentigen Abnahme neuer Läsionen im kranialen Kernspintomogramm (cMRT). Somit sind aktuell alle drei Präparate in der jeweiligen Dosierung und Applikationsform gemäß der Zulassung als wirksam bei schubförmiger MS anzusehen (IFN-β1b, Betaferon®; IFN-β1a, Rebif®, Avonex®).

 

Für die sekundär-chronisch progrediente Form der MS ist zurzeit nur das IFN-β1b zur Therapie zugelassen. Die Studienergebnisse legen nahe, dass die beste Wirksamkeit früh nach Eintritt der sekundär-chronischen Progredienz vorliegt.

 

Bei der schubförmigen MS steht die IFN-β-Dosierung immer noch im Mittelpunkt des Interesses. Eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung liegt wahrscheinlich nicht vor. Bei längerfristiger Gabe könnten sich möglicherweise doch Unterschiede ergeben. Ein wissenschaftlich basierter Vergleich von Wirkeffekten unterschiedlicher Präparate ist nur möglich, wenn diese direkt gegeneinander mit gleichem Studiendesign getestet werden. Es ist durchaus denkbar, dass ein bestimmter Anteil von Patienten mit schubförmiger MS auf höher dosierte IFN-β-Präparate besser anspricht.

 

Nach derzeitigem Wissensstand können alle IFN-Präparate neutralisierende Antikörper auslösen, wobei nur hohe Serumspiegel persistierender Antikörper relevant sind. Dadurch wird die therapeutische Wirkung reduziert oder völlig aufgehoben. Das intramuskulär gegebene IFN-β1a induziert weniger neutralisierende Antikörper als die beiden anderen Präparate, wobei auch bei diesem Präparat weniger als fünf Prozent der Patienten in relevantem Ausmaß Antikörper bilden (Hemmer et al., 2005).

 

Entsprechend den Empfehlungen der MS-Konsensusgruppe sollte man Patienten zunächst mit einem IFN-β-Präparat behandeln, das für eine Patientenpopulation mit vergleichbarem Behinderungsgrad untersucht wurde. Bei klinisch und kernspintomographisch belegter Teilwirksamkeit kann sich eine Umstellung auf ein höher dosiertes IFN-Präparat oder die Dosiserhöhung im Rahmen der Zulassungskriterien als sinnvoll herausstellen. Die hierzu durchgeführten Vergleichsstudien Evidence und Incomin haben methodische Schwächen und sind im Alltag nur bedingt hilfreich (Durelli et al., 2002). Etwa sechs bis acht Wochen nach Therapiebeginn kann ein therapeutischer Effekt beim Patienten erwartet werden.

 

In den neuesten placebokontrollierten Studien wurde die Wirkung von IFN-β-Präparaten bei Therapiebeginn nach Auftreten eines ersten Symptoms einer demyelinisierenden ZNS-Erkrankung, zum Beispiel einer Retrobulbärneuritis, untersucht (Champs-Studie, Jacobs et al., 2000; Etoms-Studie, Comi et al., 2001; Benefit-Studie, Neurology 2006 August, epub). Die Auswertung zeigt, dass die Frühtherapie den zweiten Schub und damit die klinisch sichere MS verzögern kann. Mittlerweile haben Avonex® und Betaferon® die Zulassung zur Frühtherapie der MS erhalten. Dies ist jedoch insofern zu relativieren, als nach der überarbeiteten Version der McDonald-Kriterien die Diagnose einer MS theoretisch schon innerhalb eines Monats nach Symptombeginn gestellt werden kann, was dann den Einsatz aller zugelassenen Therapien ermöglicht (Polman et al., 2005).

 

Langzeittherapie mit GLAT

 

Glatirameracetat (GLAT) ist ein synthetisches Tetrapeptid aus den vier Aminosäuren L-Glutaminsäure, L-Lysin, L-Alanin und L-Tyrosin in zufälliger Mischungsreihenfolge. Die Wirkungsmechanismen sind vielfältig: Es konnte eine TH2-Verschiebung auch bei MS-Patienten nachgewiesen werden. Vor Therapiebeginn zeigten die gegen GLAT oder basisches Myelin-Protein (MBP) gerichteten T-Zell-Linien dieser Patienten vorwiegend ein TH1-Muster, das als proinflammatorisch angesehen wird. Unter GLAT-Therapie konnten fast nur noch TH2-Zell-Linien generiert werden Auch auf der Ebene der Makrophagen wirkt GLAT dämpfend (Weber et al., 2004). Damit stellt diese Therapie einen der ersten wirksamen Ansätze in der antigenspezifischen Immuntherapie der MS dar, die über den T-Zellrezeptor vergleichbare Wirkungen wie klassische Immunsuppressiva vermittelt. Ob dabei neben der antigenen Ähnlichkeit auch physikochemische Eigenschaften eine Rolle spielen, ist noch nicht geklärt.

 

Experimentelle Studien legen nahe, dass die durch GLAT stimulierten Leukozyten besonders viel Neurotrophin BDNF produzieren, das im Gehirn neuroprotektiv wirken (Ziemssen et al., 2002) und auch endogene Stammzellen mobilisieren kann (Aharoni et al., 2005). Tierexperimentell wurden kürzlich sehr gute Synergismen von GLAT mit niedrig dosierten Statinen wie Atorvastatin oder Simvastatin gezeigt (Stuve et al., 2006).

 

In kontrollierten Studien zeigte sich eine etwa 35-prozentige Reduktion neuer Entzündungsherde, verbunden mit einem Rückgang der Schubfrequenz um etwa ein Drittel. Die positive Wirkung von GLAT auf das cMRT tritt anscheinend erst mit einer Latenz von bis zu sechs Monaten auf, wohingegen einige klinisch-immunologische Daten für einen früheren Wirkeintritt sprechen.

 

In 2001 erfolgte die deutsche Zulassung von GLAT für die schubförmig verlaufende MS. Die empfohlene Dosis von täglich 20 mg subkutan hat sich in den großen Therapiestudien bewährt. Laufende Untersuchungen überprüfen die Wirksamkeit höherer Dosierungen, nämlich 20 versus 40 mg pro Tag. Bei primär-chronisch progredienter MS sowie oraler Applikation von GLAT wurden bisher leider keine signifikanten Erfolge erzielt. Obwohl nicht explizit verlangt, empfehlen sich - wie bei allen chronischen Therapien - gelegentliche Blutbildanalysen und klinisch-chemische Kontrolluntersuchungen.

 

Mit seiner sehr guten Verträglichkeit gehört Glatirameracetat zu den Basistherapeutika für MS. Vor allem bei Patienten in frühen Phasen der schubförmigen Erkrankung lassen sich nach unserer Erfahrung sehr gute Langzeiterfolge erzielen.

 

Langzeittherapie mit Antikörpern

 

Nachdem erste Ansätze zur Behandlung der MS mit monoklonalen Antikörpern bereits vor 1990 erfolgten, haben diese Therapien aufgrund des theoretischen Vorteils einer hohen Selektivität und Spezifität in den letzten Jahren vermehrt Beachtung gefunden. Grundsätzlich unterscheidet man verschiedene Wirkmechanismen:

 

Blockade spezifischer Zell(Oberflächen-)moleküle und Signalwege nach Bindung des Antikörpers an den Liganden;

Antikörper-vermittelte Lyse und damit Zelldepletion;

stimulierende Wirkung und Förderung spezifischer Signalwege nach Antigenbindung.

 

Im Folgenden werden exemplarisch verschiedene Antikörper vorgestellt, die das Potenzial besitzen, sich in den nächsten Jahren in der MS-Therapie zu etablieren. Es handelt sich um chimäre oder sogar humanisierte Antikörper, die dennoch wie jedes Fremdeiweiß immunogen sein können. Details zu möglichen Nebenwirkungen sind bei den jeweiligen Wirkstoffen aufgeführt.

 

Natalizumab zugelassen

 

Natalizumab (anti-VLA4; Tysabri®) ist zurzeit sicher das prominenteste Beispiel für die Einführung eines monoklonalen Antikörpers in die MS-Therapie. Die Zulassungsstudien haben aber auch eindrücklich mögliche, zuvor nicht absehbare Risiken dieser Therapeutika aufgezeigt.

 

Bei Natalizumab handelt es sich um einen Antikörper gegen very late antigen-4 (VLA), ein aus einer alpha-4- und beta-1-Kette zusammengesetztes Integrinmolekül. Integrine sind eine Familie von Adhäsionsmolekülen, die Zell-Zell-Kontakte, aber auch Interaktionen zwischen Zellen und extrazelluärer Matrix vermitteln können. Die a4-Untereinheit findet sich auf Lymphozyten, Monozyten sowie eosinophilen und basophilen Granulozyten und spielt in der Interaktion mit endothelialen Liganden (in Form eines Heterodimers als a4b1-Integrin) insbesondere eine Rolle in der Transmigration aktivierter Leukozyten über die Blut-Hirn-Schranke.

 

Nachdem eine placebokontrollierte Phase-IIb-Studie über sechs Monate positive Effekte auf die Entzündungsaktivität in der Kernspintomographie und die klinische Schubrate bei guter Verträglichkeit gezeigt hatte (Miller et al., 2003), folgten zwei placebokontrollierte Zulassungsstudien.

 

In der ersten Studie wurde die monatliche Gabe von 300 mg Natalizumab mit Placebo verglichen. Bezogen auf den primären Endpunkt ergab sich eine 68-prozentige Schubreduktion, sodass 76 Prozent der mit Natalizumab behandelten Patienten, aber nur 53 Prozent unter Placebo zwei Jahre lang schubfrei blieben. Auch auf die Behinderungsprogression wirkte der Antikörper positiv; über 40 Prozent der mit Verum behandelten Patienten blieben innerhalb der Studiendauer im Vergleich zur Placebogruppe ohne Progression. Diese Ergebnisse spiegelten sich auch kernspintomographisch in einer deutlichen Reduktion Gadolinium-aufnehmender Läsionen wider, die akut entzündliche MS-Herde repräsentieren.

 

Die zweite Studie schloss Patienten ein, die unter Therapie mit Interferon-β1a im Jahr vor Studienbeginn weiterhin mindestens einen Schub erlitten hatten. Alle Patienten erhielten das IFN-Präparat weiter sowie als zusätzliche Therapie entweder monatliche Infusionen mit 300 mg Natalizumab oder Placebo. Der zusätzliche therapeutische Effekt von Natalizumab war vorhanden, aber bei weitem nicht so stark wie bei der Monotherapie.

 

Das Handelspräparat wird alle vier Wochen als Kurzinfusion über eine Stunde verabreicht, wobei antiallergische Vorsichtsmaßnahmen getroffen und die Patienten für eine weitere Stunde nachbeobachtet werden müssen. Da in den Studien sechs Prozent der Patienten persistierende neutralisierende Antikörper gegen Natalizumab entwickelt haben, wird empfohlen, dies nach drei Infusionen zu testen. Für Deutschland werden die Tests in unserer Bochumer Klinik durchgeführt.

 

Auf der Basis positiver Daten einer Interimsanalyse nach einem Jahr wurde Natalizumab im November 2004 in den USA zugelassen. Nur drei Monate später rüttelte ein Todesfall durch progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) sowie die Diagnosestellung einer PML bei einem weiteren Studienpatienten die neurologische Fachwelt wach (Alvarez-Cermeno et al., 2005). In der Folge wurde ein weiterer PML-assoziierter Todesfall aus einer Natalizumab-Therapiestudie bei M. Crohn bekannt, der zunächst als malignes Astrozytom missdeutet worden war.

 

Die PML wird durch das zur Papova-Familie gehörende JC-Virus (benannt nach den Initialen des ersten Patienten) vermittelt und überwiegend bei immunsupprimierten Patienten beobachtet, zum Beispiel bei einer HIV-Infektion. Bemerkenswerterweise wurden beide MS-Patienten in der Kombinationsstudie gleichzeitig mit IFN-β1a (Avonex®) behandelt, der Crohn-Patient erhielt vorausgehende und vermutlich nachwirkende Immuntherapien mit Azathioprin und TNFα-Blockade. Somit kann bei allen drei PML-Fällen eine deutliche Veränderung der Immunkompetenz vermutet werden.

 

Dennoch wurde bisher keine zufriedenstellende Erklärung für das Auftreten einer PML unter Natalizumab gefunden. Möglicherweise vermittelt die Bindung an α4-Integrine die Mobilisation JC-Virus-tragender Zellen aus dem Knochenmark. Ebenso ist auch eine selektive Hemmung der Immunüberwachung im Gehirn durch den Antikörper denkbar. In einer sehr detaillierten Nachuntersuchung von mehr als 3000 Natalizumab-Patienten auch mittels MRT und Liquoranalyse fanden sich bisher keine weiteren PML-Fälle.

 

Nach Bekanntwerden der PML zog der Hersteller freiwillig die Zulassung für das Präparat vorübergehend zurück, bis die Pharmakovigilanz-Daten vorlagen, die keine weiteren Infektionsfälle mit dem JC-Virus aufdeckten (Yousry et al., 2006). Nach umfassender Prüfung erhielt Natalizumab nun im Juni 2006 die Zulassung in USA und der EU. Zielgruppe sind Patienten mit schubförmiger MS, die unter IFN-β weiter Schübe entwickelten, sowie solche, die bereits unbehandelt eine hohe Krankheitsaktivität aufweisen. Aufwendige Pharmakovigilanz-Programme wurden gestartet. Zudem werden Sicherheitsempfehlungen erarbeitet, wie bei der Therapieumstellung, zum Beispiel von IFN-β auf Natalizumab, vorzugehen ist.

 

Rituximab im Off-label-Use

 

Bei Rituximab (anti-CD20; MabThera®) handelt es sich um einen chimären monoklonalen Antikörper vom Typ IgG1-kappa, der gegen das B-lymphozytäre Oberflächenantigen CD20 gerichtet ist. Beim Menschen findet sich CD20 auf der Oberfläche von reifen B-Lymphozyten und prä-B-Zellen, aber nicht auf den bereits im Gewebe befindlichen, selber Antikörper produzierenden Plasmazellen. Die Therapie mit Rituximab führt zu einer Depletion der CD20-exprimierenden B-Lymphozyten, vermutlich über Antikörper-vermittelte Zytotoxizität oder Komplement-vermittelte Lyse.

 

Zunächst wurde Rituximab überwiegend in der Hämatologie zur Behandlung von Lymphomen der B-Zell-Reihe eingesetzt und ist hierfür zugelassen. In der letzten Zeit ergaben sich aber auch erste Erfolge bei neuroimmunologischen Erkrankungen. In Fallberichten zeigte sich eine Wirksamkeit bei verschiedenen Immunneuropathien (Gammopathie-assoziierte Polyneuropathie sowie multifokale motorischer Neuropathie).

 

Auch bei chronisch autoimmun-entzündlichen ZNS-Erkrankungen könnte Rituximab erfolgversprechend sein. Obwohl es sich hier nach gängiger Meinung um T- (nicht primär B-) Zell-vermittelte Entitäten handelt, weisen neuere neuropathologische Studien auf die besondere Bedeutung humoraler Antikörper- und Komplement-vermittelter Schädigungsmechanismen hin (Typ II in der Klassifizierung nach Lassmann, Brück und Lucchinetti). Als Sonderfall dieses Spektrums wurde die Neuromyelitis optica charakterisiert, für die kürzlich krankheitsassoziierte Antikörper gegen das auf Perizyten exprimierte Kanalprotein Aquaporin-4 nachgewiesen wurden (Lennon et al., 2005).

 

In einer unkontrollierten Fallserie von acht Patienten mit Neuromyelitis optica und deutlicher Einschränkung durch die Erkrankung unterdrückte die Therapie mit Rituximab weitere Schübe und verbesserte den Behinderungsgrad (EDSS) um zwei Punkte nach einjähriger Behandlung (Cree et al., 2005). Die Rituximab-Therapie mit vier Infusionen von 375 mg/m2 Körperoberfläche wurde gut vertragen und erzielte eine anhaltende B-Zell-Depletion über sechs bis zwölf Monate.

 

In einem Fallbericht führte Rituximab zur klinischen Stabilisierung bei einem MS-Patienten mit persistierender Erkrankungsaktivität trotz Mitoxantron (Stuve et al., 2005). Während der Antikörper bei vier Patienten mit primär-chronisch progredienter MS scheinbar nicht zu einer vollständigen B-Zell-Depletion führte, wurde im Fallbericht eine komplette Depletion von B-Lymphozyten im peripheren Blut und Liquor im Beobachtungszeitraum von sechs Monaten nachgewiesen.

 

Zusammenfassend könnte Rituximab eine erfolgversprechende neue Behandlungsoption zumindest für eine Subgruppe von MS-Patienten darstellen. Allerdings fehlen bislang Daten zum Langzeiterfolg. Klinische Surrogatparameter zur Selektion geeigneter Patienten mit dem genannten Typ-II-Schädigungsmuster sind noch nicht etabliert. In der Bildgebung zeigen Patienten mit dem Typ-II-Schädigungsmuster häufig eine ringförmige Kontrastmittelaufnahme im kranialen MRT. Daneben könnten theoretisch die Patienten, die auf eine Plasmapherese gut ansprechen, ebenfalls von einer Rituximab-Therapie profitieren. Formal ist die Gabe bei MS aber Off-label und sollte nur an spezialisierten Zentren erfolgen. Derzeit laufen kontrollierte Therapiestudien bei schubförmiger sowie bei primär-chronisch progredienter MS.

 

Alemtuzumab

 

Der humanisierte monoklonale Antiköper Alemtuzumab (anti-CD52; Campath-1H, abgeleitet von Cambridge Pathology, Burroughs Wellcome, USA) bindet an das auf T-Zellen, B-Zellen, Monozyten und Eosinophilen vorkommende Oberflächenantigen CD52. Die Anwendung bewirkt eine umfassende Depletion aller Lymphozyten.

 

In einer ersten Studie bei schubförmiger MS führte die Behandlung mit Alemtuzumab über eineinhalb Jahre zum völligen Sistieren der Entzündungsaktivität in der Kernspintomographie (Moreau et al., 1994). Überraschenderweise nahmen bei etwa der Hälfte der Patienten dennoch Behinderung, Hirnatrophie und axonaler Schaden zu. Die Atrophie beziehungsweise der axonale Schaden korrelierte dabei mit der Entzündungsaktivität vor Beginn der Alemtuzumab-Therapie.

 

Diese Krankheitsprogredienz trotz massiver Unterdrückung der Entzündungsaktivität zeigt eindrücklich, dass ab einem gewissen Erkrankungsstadium degenerative Vorgänge auch entzündungsunabhängig weiter voranschreiten können. Im Einklang damit konnte eine Studie mit Campath-1H bei fortgeschrittener sekundär-chronisch progredienter MS keinen signifikanten Effekt nachweisen. Daher wurde eine Studie zur Wirksamkeit von Campath-1H in früheren Erkrankungsstadien der schubförmigen MS angeschlossen; Daten hierzu stehen noch aus.

 

Hervorzuheben ist, dass unter Therapie mit Alemtuzumab andere Autoimmunerkrankungen wie Morbus Basedow und zuletzt bei zwei Fällen Morbus Werlhof (idiopathische thrombozytopenische Purpura, ITP) auftraten; diese Nebenwirkung könnte möglicherweise auf die Unterdrückung regulatorischer T-Zellen im Rahmen der Lymphozytendepletion zurückgehen. Einer der Studienpatienten verstarb leider als Folge innerer Blutungen.

 

Daclizumab

 

Der humanisierte monoklonale Antikörper Daclizumab (anti-CD25) bindet an die α-Kette des Interleukin-2-Rezeptors (CD25). Dieser wird auf aktivierten T-Zellen sowie autoreaktiven myelinspezifischen T-Zellen exprimiert. In zwei offenen Phase-II-Studien reduzierte die Behandlung mit Daclizumab die Erkrankungsaktivität in der Kernspintomographie deutlich und verbesserte signifikant verschiedene klinische Verlaufsparameter.

 

CD25 findet sich insbesondere auch auf sogenannten regulatorischen T-Zellen (Treg). Diese modulieren die Aktivität autoreaktiver T-Zellen und könnten von besonderer Bedeutung in der Kontrolle autoimmuner Erkrankungen sein. Bei der Multiplen Sklerose konnte eine Fehlfunktion solcher CD25-positiver Treg nachgewiesen werden. Daher wäre es theoretisch denkbar, dass eine Unterdrückung von CD25-positiven Treg durch Daclizumab auch negative Folgen für den Verlauf der MS haben könnte. Allerdings ist die Regulation der T-Zell-Funktion sehr komplex und wird vermutlich auch von anderen regulatorisch wirksamen Zellarten beeinflusst.

 

Neueste Untersuchungen sprechen dafür, dass durch Daclizumab andere regulatorische Zellelemente, sogenannte Natürliche Killerzellen (NK-Zellen), vermehrt stimuliert werden. Bisher sind keine schweren Nebenwirkungen aus den kleinen MS-Studien bekannt (Bielekova et al., 2006).

 

Eingriff in die T-Zell-Regulation

 

Ein völlig neues Therapieprinzip stellen superagonistische anti-CD28-Antikörper dar, die bisher in experimentellen Ansätzen getestet wurden. CD28 spielt als kostimulatorisches Signalmolekül eine wichtige Rolle bei der T-Zell-rezeptorabhängigen T-Zell-Aktivierung. Während konventionelle anti-CD28-Antikörper ein gleichzeitiges T-Zell-Rezeptorsignal zur Wirksamkeit benötigen, können superagonistische anti-CD28-Antikörper auch T-Zell-rezeptorunabhängig eine komplette T-Zell-Aktivierung auslösen. Eine solche Stimulation führt in Zellkultur und in vivo zu einer massiven T-Zell-Proliferation und insbesondere zu einer polyklonalen Vermehrung von CD4+/CD25+-regulatorischen T-Zellen.

 

Dementsprechend konnte in experimentellen Studien kürzlich eine beeindruckende Wirksamkeit superagonistischer anti-CD28-Antikörper bei der experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE) als Tiermodell der MS gezeigt werden. Diese wird eindeutig durch die Expansion und Aktivierung von CD4+/CD 25+-Treg vermittelt (Beyersdorf et al., 2005).

 

Die Wirkstoffe stellen ein völlig neues Prinzip in der Behandlung entzündlicher ZNS-Erkrankungen mit Antikörpern dar, da gezielt krankheitsregulierende Signalwege gefördert und nicht einzelne Moleküle blockiert oder Zellen depletiert werden. Dies könnte sowohl für die klinische Effektivität als auch die Verträglichkeit enorm wichtig sein.

 

Aufgrund der entstehenden T-Zell-Proliferation mit Lymphozytose wurde in der praktischen Anwendung mit Lymphknotenschwellungen als Hauptnebenwirkung gerechnet. Leider erlitten die Probanden bei der von der Firma TeGenero in einem Londoner Krankenhaus durchgeführten Phase-I-Studie schwere Nebenwirkungen durch frühe Zytokinfreisetzung aus den aktivierten Immunzellen (Zytokinsturm). Sie mussten vorübergehend intensivmedizinisch behandelt werden. Dieser spezielle Ansatz scheint inhärente Probleme mit sich zu bringen.

 

Sekundärprophylaxe auch peroral

 

Alle bisher in der immunmodulatorischen Sekundärprophylaxe eingesetzten Basistherapeutika erfordern eine parenterale Gabe (»Spritzentherapie«) und schützen trotz ihrer erprobten Wirksamkeit nicht komplett. Diese Therapieformen bringen somit häufig Complianceprobleme mit sich. Daher besteht ein hoher Bedarf an effektiveren und insbesondere auch peroral verfügbaren Therapien.

 

Fumarsäureester sind in Deutschland die führende Substanzklasse zur oralen Behandlung einer moderat bis schwer verlaufenden Psoriasis. Diese wird als Th1-Zytokin-vermittelte Erkrankung, wie auch die MS, angesehen. Fumarate vermindern die Th1-Antwort, vermutlich über eine veränderte Polarisation dendritischer Zellen. Die Substanzklasse ist besonders wegen des gut bekannten und sicheren Nebenwirkungsprofils interessant. Eigene Befunde sprechen für eine Wirksamkeit von Fumarsäureestern im Tiermodell der MS (Schilling et al., 2006). Derzeit befindet sich Dimethylfumarat nach positivem Ergebnis einer oralen Phase-II-Studie (BiogenIdec) in der Startphase für eine Phase-III-Zulassungsstudie bei MS.

 

Ebenfalls peroral applizierbar ist das mit Leflunomid verwandte Teriflunomid (Aventis-Sanofi), das in einer Phase-IIb-Studie über neun Monate eine etwa 60-prozentige Reduktion neuer MS-Entzündungsherde erzielte.

 

Laquinimod ist eine synthetische Substanz mit hoher oraler Bioverfügbarkeit und stellt eine Weiterentwicklung des bereits in den 1990er-Jahren getesteten Immunmodulators Roquinimex/Linomide dar, der aufgrund kardiovaskulärer Zwischenfälle in der Phase-III nicht zur weiteren klinischen Anwendung kam. In einer Phase-II-Studie reduzierte 0,3 mg Laquinimod gegenüber Placebo die kumulative Anzahl Gadolinium-aufnehmender Läsionen im MRT um 44 Prozent. Der Wirkstoff scheint gut vertragen zu werden. Derzeit läuft eine Phase-IIb-Studie (Teva).

 

Als weitere peroral zu applizierende, potenzielle Therapieoption sind die 3-Hydroxy-3-methylglutaryl-CoA-Reduktase-Hemmer (»Statine«) zu nennen. In den vergangenen Jahren wurden bei diesen Substanzen pleiotrope immunmodulatorische Eigenschaften entdeckt, die denen der Interferone ähneln. Eine kürzlich publizierte klinische Studie testete Simvastatin (80 mg pro Tag) in einer multizentrischen offenen Phase-II-Studie an 30 Patienten mit schubförmiger MS. Die sechsmonatige Behandlung führte im primären Studienendpunkt zu einer Abnahme Gadolinium-aufnehmender MRT-Läsionen um 44 Prozent. Neben dem nicht optimalen Studiendesign sollte aber berücksichtigt werden, dass die Dosierung relativ hoch war und damit das potenzielle Nebenwirkungsrisiko steigt. Vor einer endgültigen Beurteilung sollte das Ergebnis der derzeit laufenden, größeren und länger dauernden Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit von Statinen bei MS abgewartet werden.

 

Auch die Substanz FTY 720 (Novartis) wird oral appliziert und weist einen neuartigen Wirkmechanismus auf. Als Modulator des Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptors hemmt FTY 720 den Lymphozytenegress (Auswanderung) aus lymphoiden Organen und somit die Rekrutierung an Entzündungsorte. Eine sechsmonatige Phase-II-Studie zeigte eine etwa 60-prozentige Reduktion der kumulativen Anzahl Gd-aufnehmender Läsionen im kranialen MRT unter 5 mg FTY 720 versus Placebo. Auch die jährliche Schubrate war etwa halbiert. Als Nebenwirkungen wurden leichte respiratorische Infekte sowie asymptomatische Bradykardien und Lungenfunktionsauffälligkeiten berichtet.

 

Neuroprotektive Therapieansätze

 

Medikamente, die in die neuroaxonalen Degenerationsprozesse eingreifen, werden zurzeit intensiv erforscht. Aus der Verschmelzung von neurobiologischen und neuroimmunologischen Fragestellungen könnten sich in nächster Zukunft wichtige Erweiterungen der MS-Therapie in Form von neuroprotektiven Behandlungsansätzen ergeben.

 

Experimentelle Studien mit Erythropoietin weisen auf eine Neuronen-schützende Wirkung und gleichzeitig auf mögliche immunmodulatorische Effekte hin. Erste Untersuchungen mit dem Natriumkanalblocker Flecainid ergaben eine deutliche Reduktion der axonalen Schädigung bei der EAE. Auch Calcium- und Glutamatantagonisten befinden sich momentan in der ersten Erprobung. Das Antibiotikum Minocyclin zeigte in präklinischen Studien bei degenerativen (Motoneuron-)Erkrankungen und der zerebralen Ischämie neuroprotektive Effekte, am Modell der EAE aber auch antiinflammatorische Eigenschaften.

 

Darüber hinaus sind Wachstumsfaktoren, sogenannte Neurotrophine, als mögliche Wirkstoffe zur Neuroregeneration oder Remyelinisierung bei MS derzeit zwar noch nicht klinisch einsetzbar, aber in der Grundlagenforschung sehr interessant. Hierzu gehören beispielsweise der ciliäre neurotrophe Faktor (CNTF; Linker et al., 2002), »leukemia inhibitory factor« (LIF), »insulin like growth factor« (IGF) oder »brain derived growth factor« (BNDF). Vor dem Einsatz solcher Wachstumsfaktoren in Humanstudien müssen allerdings noch weitere Erkenntnisse in experimentellen Modellen gesammelt werden. Möglicherweise könnte es günstiger sein, diese Botenstoffe über zelluläre Vehikel an den Ort der Entzündung zu bringen als durch direkte Injektion.

 

Während einige der genannten Substanzen möglicherweise bald in klinische Pilotstudien bei MS eingehen, ist die neurobiologisch hoch relevante Stammzellforschung davon noch deutlich entfernt.

 

Zusammenfassung

 

Neben der Entwicklung hoffnungsvoller neuer pathogenetisch orientierter Therapieformen gab es in den vergangenen Jahren auch ergebnislose oder unerwartet negative Therapiestudien. Gerade hoch selektive und in Modellen wirksame Ansätze wie die Vakzination mit T-Zell-Rezeptoren, Neutralisation von TNF-#945; oder die Therapie mit mutierten Peptidliganden schlugen fehl, was die immunologische Komplexität der Erkrankung unterstreicht. Die Erfahrung mit teils schweren und unerwarteten Nebenwirkungen bei hoch wirksamen Substanzen mahnt zur Vorsicht: Seit 2005 verstarben bereits drei MS-Patienten in kontrollierten Therapiestudien mit Immunobiologicals. Dennoch ist zu erwarten, dass einige der hier vorgestellten Substanzen das therapeutische Arsenal mittelfristig erweitern werden.

 

Trotz verbesserter Therapie steht nach wie vor keine Heilung der MS in Aussicht, vor allem für primär progrediente Verläufe. Daher werden derzeit große Anstrengungen zur Erfassung von potenziellen Surrogatparametern für das therapeutische Ansprechen unternommen - mit dem Ziel einer möglichst individualisierten Therapie.

 

Literatur bei den Verfassern

Die Autoren

Ralf A. Linker studierte Medizin an der FU Berlin und wurde 1999 in Freiburg promoviert. Seitdem arbeitete er als Arzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Abteilungen für Neurologie der Universitätskliniken in Würzburg und Göttingen; dort forschte er auch am Institut für MS-Forschung. Seit kurzem ist er am Department für Neurologie, St. Josef-Hospital, der Universität Bochum (Leitung Professor Dr. Gold) tätig. Für seine MS-Forschung erhielt Dr. Linker mehrere Preise.

 

Andrew Chan wurde nach dem Medizinstudium 1997 promoviert und habilitierte sich 2006 an der Universität Göttingen. Er ist Facharzt für Neurologie. Dr. Chan arbeitete als Klinischer Neuroimmunologe in der Abteilung für klinische und experimentelle Neuroimmunologie des Instituts für MS-Forschung in Göttingen und übernahm im August 2005 deren kommissarische Leitung. Für seine Forschungsarbeiten zur MS wurde Dr. Chan mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Habilitationspreis der medizinischen Fakultät der Universität Göttingen für die beste Habilitationsarbeit.

 

Ralf Gold war von 1997 bis 2003 in der Leitung der klinischen Forschungsgruppe für MS und als leitender Oberarzt an der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg tätig. Seit 2004 hatte Professor Dr. Gold den Lehrstuhl für experimentelle und klinische Neuroimmunologie am Institut für MS-Forschung der Universität Göttingen inne. Seit diesem Sommer leitet er als Direktor die Neurologische Klinik des St. Josef-Hospitals in Bochum. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die klinische Versorgung von MS-Patienten, Teilnahme an Therapiestudien sowie Grundlagenforschung zur Verbesserung spezifischer Immuntherapien für die MS. Neuere Arbeiten untersuchen neurobiologische Suszeptibilitätsfaktoren für den Verlauf der Multiplen Sklerose.

 

 

Anschrift der Verfasser:

Professor Dr. Ralf Gold und Dr. Ralf A. Linker

Neurologische Klinik, St. Josef-Hospital

Klinikum der Ruhr-Universität Bochum

Gudrunstraße 56

44791 Bochum

ralf.gold(at)ruhr-uni-bochum.de

 

Privatdozent Dr. Andrew Chan

Institut für Multiple Sklerose Forschung

Georg-August-Universität Göttingen

Waldweg 33

37073 Göttingen

a.chan(at)med.uni-goettingen.de

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