Unverzichtbar bei Anämie |
29.09.2014 14:11 Uhr |
Von Wolfgang Jelkmann / Rekombinantes humanes Erythropoietin (rHuEPO) wird in Deutschland seit mehr als 25 Jahren erfolgreich bei renaler Anämie eingesetzt. Eine andere Indikation ist die Chemotherapie-assoziierte Anämie. Inzwischen sind lang wirksame rHuEPO-Analoga sowie -Derivate verfügbar. Seit 2007 sind zudem Epoetin alfa-Biosimilars auf den Markt gekommen.
Das menschliche Knochenmark bildet pro Sekunde etwa drei Millionen neue Erythrozyten. Für diesen Prozess ist das Glykoprotein-Hormon Erythropoietin notwendig (EPO; altgriechisch erythros: rot, und poiein: machen). EPO hält die Erythrozytenzahl und die Hämoglobin-Konzentration (Hb) des Blutes konstant. Erythropoietin gehört somit zu den sogenannten Erythropoiesis Stimulating Agents, kurz ESA.
Da steigt die Erythropoiese: In großer Höhe sinkt Sauerstoff-Partialdruck in der Atemluft, und dies regt die Erythropoietin-Produktion an.
Foto: Shutterstock/salajean
Die EPO-Konzentration im Blutplasma ist normalerweise sehr niedrig (etwa 10-11 mol/L). Signifikante Gender- oder Altersunterschiede gibt es nicht. Fast das gesamte EPO im Blut stammt aus den Nieren, ein wenig auch aus der Leber. In der Nierenrinde exprimieren spezielle Fibroblasten das EPO-Gen. Sauerstoffmangel (Gewebshypoxie) steigert die EPO-Transkriptionsrate. Zum Beispiel steigt die EPO-Konzentration im Blut bei Nierengesunden Menschen mit abnehmender Hb-Konzentration exponenziell an.
EPO-mRNA ist auch in anderen Organen, beispielsweise in Leber, Milz und Gehirn, nachweisbar. Diese Organe können die endokrine Funktion der Nieren aber nicht ersetzen.
Die EPO-Expression wird durch Hypoxie-induzierbare Transkriptionsfaktoren (HIF-1 und HIF-2) angeregt, die an Enhancer-Elemente des EPO-Gens binden (1–3). HIF sind heterodimere Proteine aus einer O2-labilen α- und einer stabileren ß-Untereinheit. Es gibt strukturell und funktionell unterschiedliche HIF-α-Isoformen, wobei HIF-2α besonders wichtig für die renale EPO-Expression ist.
HIF sind aber nicht nur für die hypoxische EPO-Expression verantwortlich, sondern stimulieren auch die Produktion anderer Proteine, die für die Vitalität des Organismus essenziell sind. Dazu gehören beispielsweise glykolytische Enzyme und Glucosetransporter oder VEGF (vascular endothelial growth factor).
Da die EPO-Produktion von der Sauerstoffversorgung des Organismus abhängt, wird das EPO-Gen auch aktiviert, wenn der Sauerstoff-Partialdruck (pO2) im arteriellen Blut absinkt. Beispielsweise ist die Erythropoiese bei Aufenthalten in großer Höhe gesteigert, weil dort der pO2 in der Atemluft vermindert ist. Daraus kann die »chronische Bergkrankheit« resultieren, bei der die Betroffenen unter Erythrozytose und pulmonaler Hypertonie leiden.
EPO ist neben Calcitriol das wichtigste Hormon, das die Nieren produzieren (4). Bei chronischer Niereninsuffizienz (CKD, Chronic Kidney Disease) ist die EPO-Synthese vermindert. Spätestens wenn die Filtrierfähigkeit der Nieren unter 30 Prozent abfällt, entwickelt sich unbehandelt eine Anämie. Damit wird die O2-Versorgung vieler Gewebe unzureichend (Tabelle 1).
Seit mehr als 25 Jahren ist es möglich, die renale Anämie durch die Injektion von gentechnisch hergestelltem, rekombinantem humanen EPO zu lindern (rHuEPO). Dabei wird das endogene Hormon substituiert. Bevor rHuEPO verfügbar war, benötigte etwa ein Viertel aller Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (Dialysestadium, CKD-5) regelmäßig Erythrozyten-Transfusionen.
Organ | physische Symptomatik | psychische Symptomatik |
---|---|---|
Herz | niedriger Blutdruck, Angina Pectoris, Herzjagen | Angst, Schwindelgefühl |
Muskulatur | allgemeine Schwäche, schnelle Erschöpfbarkeit | Antriebsarmut |
Genitaltrakt | gestörte Menstruation, Erektionsstörungen | |
Haut | Blässe, Kältegefühl | |
Gehirn | Kopfschmerzen, Schwindel | Konzentrationsschwäche, Angst, Depression |
Wirkmechanismus auf zellulärer Ebene
EPO hemmt den programmierten Zelltod (Apoptose) der Erythrozyten-Vorläufer im Knochenmark und fördert deren Proliferation (5). Das Hormon bindet an spezifische Rezeptoren (EPO-R). Dies sind transmembranäre Glykoproteine von etwa 60 kDa (484 Aminosäuren). Nach Bindung eines EPO-Moleküls an ein Rezeptor-Homodimer werden intrazellulär Janus-Kinasen 2 (JAK2) aktiv, die die Phosphorylierung von Tyrosylresten des EPO-R und verschiedener intrazellulärer Enzyme und Transkriptionsfaktoren katalysieren.
Die Grafik (nächste Seite) zeigt die wichtigsten Zelltypen und Differenzierungszeiten von der hämatopoietischen Stammzelle bis zum Erythrozyten. Die EPO-empfindlichsten Zellen sind die »Colony-Forming Units-Erythroid«, kurz CFU-E (BFU-E, Burst-forming unit-erythroid, sind relativ undifferenziert und überleben teilweise auch ohne EPO). Aus CFU-E wachsen unter EPO-Einfluss innerhalb einiger Tage Kolonien (8 bis 64 Zellen) Hb-haltiger Zellen. Aus einer Stammzelle gehen etwa 212 bis 214 (8000 bis 30 000) Erythrozyten hervor.
Die Erythropoiese verläuft langsam, denn sie umfasst viele Zellteilungen (Grafik). Nach einem akuten Anstieg der EPO-Konzentration im Blut dauert es drei bis vier Tage, bis erkennbar mehr junge rote Blutzellen – zunächst als Retikulozyten – aus dem Knochenmark in das Blut gelangen.
Verschiedene Hormone verstärken die EPO-Wirkung. Testosteron fördert die Proliferation der Erythrozyten-Vorläufer, daher haben Männer höhere Erythrozyten-, Hämatokrit- und Hb-Werte im Blut als Frauen.
EPO-Aktivitäten werden traditionell in Internationalen Einheiten (IE) angegeben; dabei hat eine IE in vivo die gleiche Erythropoiese steigernde Wirkung wie 5 µmol Kobalt(II)-Chlorid (6). Die Kalibrierung erfolgt in Mäusen. Die Bioaktivität muss laut European Pharmacopoeia zwischen 80 und 125 Prozent liegen.
Grafik: Zeitschema der Entwicklung von der hämatopoetischen Stammzelle zum ErythrozytenBFU-E: Burst-forming unit-erythroid; CFU-E: Colony-Forming Units-Erythroid
Struktur und Pharmakokinetik
Menschliches EPO ist ein 30 kDa Glykoprotein, das aus einer Peptidkette von 165 Aminosäuren und vier Kohlenhydratseitenketten (Glykanen) aufgebaut ist. Der Proteinanteil (60 Prozent) ist für die biologische Wirkung an den Zielzellen verantwortlich. Der Kohlenhydratanteil (40 Prozent) sichert die Stabilität des Moleküls und bestimmt seine pharmakokinetischen Eigenschaften.
Sowohl das endogene Hormon als auch rHuEPO und seine Analoga sind immer Gemische zahlreicher Isoformen, weil sich die Feinstruktur der Kohlenhydratseitenketten der einzelnen Moleküle unterscheidet. Diese Mikroheterogenität zeigt sich nach isoelektrischer Fokussierung (IEF) von Serum- oder Urinproben bei der Westernblot-Analyse als Bandenmuster. Endogenes EPO hat weniger negativ geladene Isoformen als rHuEPO (7).
Körpereigenes EPO und die herkömmlichen rekombinanten Wirkstoffe sind hinsichtlich ihrer 165 Aminosäuren sowie der Position ihrer zwei Disulfid-Brücken und ihrer vier Glykosylierungsstellen gleich. Solche rHuEPO-Präparate tragen den internationalen Freinamen (INN) »Epoetin«. Unterschiede in der Feinstruktur der Kohlenhydratseitenketten sollten nach WHO-Empfehlung (8) durch unterschiedliche griechische Buchstaben angezeigt werden, beispielsweise Epoetin alfa versus Epoetin beta. Dieser Empfehlung wurde jedoch international nicht gefolgt. Auch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA; www.ema.europa.eu) hat der Zulassung unterschiedlicher Produkte unter demselben Freinamen (Epoetin alfa) nicht widersprochen (Tabelle 2).
Der Verteilungsraum für intravenös gegebenes rHuEPO beträgt etwa 60 ml/kg Körpergewicht (KG), die Bioverfügbarkeit 100 Prozent. Die terminale biologische Halbwertszeit (HWZ) liegt bei sechs bis acht Stunden.
Die rekombinanten Erythropoiese-stimulierenden Agenzien (ESA) der zweiten Generation haben verbesserte pharmakokinetische Eigenschaften. In Darbepoetin alfa wurden durch ortsgerichtete Mutagenese fünf Aminosäuren verändert. Das Produkt hat zwei zusätzliche N-Glykane, sodass die HWZ bei etwa 25 Stunden liegt. Meth- oxy-Polyethylenglykol-Epoetin-beta ist noch länger wirksam (HWZ etwa sechs Tage). Die verabreichte Menge an Wirkstoffprotein der lang wirksamen Produkte ist kaum geringer als die der konventionellen Epoetine, aber die Applikationsfrequenz ist niedriger. Die lang wirksamen ESA können nicht mit den üblichen In-vivo-Bioassays kalibriert werden; ihre Menge wird in μg und nicht in IE angegeben (6).
Wirkstoff | Struktur | Besonderheit |
---|---|---|
Epoetin alfa | körpergleiche Aminosäuren | Original |
Epoetin beta | körpergleiche Aminosäuren | Original |
Epoetin theta | körpergleiche Aminosäuren | Folgeprodukt mit eigenständiger (Stand-alone) Zulassung |
Erythropoiese-stimulierende Agenzien (ESA) | ||
Darbepoetin alfa | Austausch von fünf Aminosäuren | lange Halbwertszeit (etwa 25 h) |
Methoxy-PEG-Epoetin-beta | körpergleiche Aminosäuren, an Polyethylenglykol (PEG) gekoppelt | sehr lange Halbwertszeit (6 Tage) |
Biosimilars | ||
Epoetin alfa, Epoetin zeta | körpergleiche Aminosäuren | Folgeprodukte mit zum Teil eingeschränkten Indikationsgebieten |
Gentechnische Gewinnung
Der dänisch-amerikanische Hämatologe Allan Erslev schrieb bereits 1953 (9): »Die Isolierung und Reindarstellung des erythropoietischen Faktors ergäbe einen nützlichen Wirkstoff für die Behandlung von Erythrozyten-Bildungsstörungen, zum Beispiel bei chronischen Infektionen und Nierenerkrankungen«.
Im Jahr 1977 wurde menschliches EPO erstmals rein dargestellt (10 mg aus 2500 Litern Urin anämischer Patienten). Damit gelang es, die Aminosäurensequenz zu entschlüsseln und – 1985 – das EPO-Gen zur gentechnischen Gewinnung von rHuEPO zu isolieren.
Für den biotechnologischen Produktionsprozess wird die cDNA in Wirtszellen eingeschleust, die heute in großen Bioreaktoren (Fassungsvermögen 30 000 Liter und mehr) gezüchtet werden. Die Wirkstoffe werden dann aus dem Zellkulturmedium gereinigt. Das genetische Codon (DNA-Basen-Tripletts aus den Chiffren von Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin) wird in allen Organismen identisch übersetzt, sodass eine humane DNA-Sequenz in einer fremden Zelle (Bakterien, Hefen, Säugetierzellen) die gleiche Aminosäurensequenz wie in einer menschlichen ergibt. Zu einer adäquaten Synthese von Glykoproteinen, die komplexe Kohlenhydratketten enthalten, sind jedoch nur Säugetierzellen befähigt (10).
Alle in der EU zugelassenen rekombinanten ESA werden in der Zelllinie CHO (Chinese Hamster Ovary) hergestellt. Diese wurde vor circa 60 Jahren aus dem Eierstock eines chinesischen Hamsters angelegt.
Biosimilars: ähnlich, aber nicht identisch
Biosimilars werden von der Europäischen Kommission nach Empfehlung durch die EMA über ein – im Vergleich zu Originalprodukten – vereinfachtes Verfahren zugelassen, wenn die Produkte hinsichtlich Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit einem etablierten Referenzpräparat entsprechen, dessen Patent ausgelaufen ist (10). Biosimilars sind dem Original ähnlich (similar), aber nicht identisch.
Ein in jeder Hinsicht attraktives Glykoprotein: humanes Erythropoietin
Foto: Fotolia/molekuul.de
Mit dem Begriff »Ähnlichkeit« wird akzeptiert, dass die Struktur der Glykane der Produkte kleine, klinisch offenbar unbedeutende Unterschiede aufweist, beispielsweise hinsichtlich des Vorkommens von O-Glykanen und N-Glykolylneuraminsäure. Auch bei Originalprodukten haben sich über die Jahre Änderungen der Glykanstrukturen ergeben. Die Feinstruktur der Glykane hängt von den Eigenschaften der Wirtszelle, den Zellkulturbedingungen und den Reinigungsverfahren ab.
Referenzsubstanz (Original) und Biosimilar können sich außerdem in der pharmazeutischen Zusammensetzung (Beistoffe) und im Applikationsweg unterscheiden. Anders als bei Generika ist daher bei Biosimilars eine Substitution auf Apothekenebene nicht statthaft. Der Apotheker muss das verordnete Fertigarzneimittel abgeben (Aut-simile-Substitution).
Der Arzt muss vor einem geplanten Präparatewechsel Vor- und Nachteile abwägen (Wirtschaftlichkeit, Versorgungs- und Arzneimittelsicherheit). Daten zur Pharmakokinetik, Wirksamkeit und Verträglichkeit der Epoetin- Biosimilars sind in den European Public Assessment Reports (EPAR) der EMA öffentlich einsehbar (www.ema.europa.eu). Die Zulassungsinhaber der Epoetin-Biosimilars haben zudem Programme zur Pharmakovigilanz beziehungsweise zum Risikomanagement entwickelt (10).
Nach Richtlinie 2010/84/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich der Pharmakovigilanz sollten sämtliche biologischen Arzneimittel klar zu identifizieren sein, um Nebenwirkungen nachverfolgen zu können. Dabei sollten der Name des Arzneimittels gemäß Artikel 1 Absatz 20 und die Nummer der Herstellungscharge genau angegeben werden (ABl L 348 vom 31. 12. 2010, S. 84). Leider muss bezweifelt werden, dass diese Richtlinie in Deutschland konsequent eingehalten wird.
Das biosimilare Produkt mit dem INN Epoetin alfa wird unter drei verschiedenen Handelsnamen vermarktet (Bioidenticals: untereinander substituierbar). Das Biosimilar mit dem INN Epoetin zeta ko-vermarkten zwei Firmen als Bioidentical.
Die Konkurrenz durch die Biosimilars hat zu Preisnachlässen bei den Epoetinen geführt. Quoten für Biosimilars sind jedoch abzulehnen, da diese die Präparatewahl von medizinischen auf wirtschaftliche Kriterien verlagern. Beispielsweise ignorieren Quotenvorgaben die pharmakologischen Unterschiede zwischen den unterschiedlichen ESA-Klassen (Epoetine versus lang wirksame ESA).
Mehrere Indikationen
Bei nierenkranken und Dialyse- Patienten kann die EPO-Gabe den Transfusionsbedarf senken.
Foto: Superbild
In der Regel hat die ESA-Therapie das Ziel, die Transfusion von Fremderythrozyten zu verhindern. Die allogene Transfusion ist mit Gefahren wie der transfusionsassoziierten akuten Lungeninsuffizienz, Hämolyse, Infektion, Alloimmunisierung und Eisenüberladung behaftet. Durch die ESA-Therapie lässt sich der Transfusionsbedarf senken. Die in der EU zugelassenen ESA unterscheiden sich teilweise in ihren Indikationen (Tabelle 3).
Die renale Anämie ist das wichtigste Indikationsgebiet (4). Da ESA das Grundleiden nicht beseitigen, muss die Therapie zeitlebens fortgesetzt werden, wenn keine Nierentransplantation erfolgt. Bei der Therapie sind wichtige Grundsätze zu beachten (11):
Die zweitwichtigste Indikation ist die Chemotherapie-assoziierte Anämie. Bestimmte Epoetine und Darbepoetin alfa sind als Anti-Anämika für Patienten mit nicht-myeloischen malignen Erkrankungen unter Chemotherapie zugelassen. Anders als bei der renalen Anämie handelt es sich hier nicht um eine Substitution; die ESA-Dosen sind vergleichsweise hoch. Auch hier hat die Therapie das Ziel, die Transfusion von Fremderythrozyten zu verhindern. Sie verbessert nicht das Gesamtüberleben und vermindert nicht das Risiko einer Tumorprogression. Umgekehrt haben jüngere Metaanalysen gezeigt, dass ESA die Tumorprogression nicht generell steigern (12). Allerdings blieb ungeklärt, ob sie das Fortschreiten der Erkrankung und/oder die Mortalität bei bestimmten Krebspatienten, zum Beispiel Menschen mit Kopf-Hals- Tumoren unter Strahlentherapie, beeinflussen (12). Präklinische Untersuchungen deuten darauf hin, dass Tumorzellen im Allgemeinen keine funktionell aktiven EPO-R-Moleküle auf ihrer Oberfläche tragen (5). Auch für eine klinisch relevante Stimulation der Tumor-Angiogenese durch ESA gibt es keine Belege (13).
Für die operative Medizin bieten ESA eine interessante Option (Tabelle 3). Bei längerfristig geplanten chirurgischen Eingriffen können sie verabreicht werden, um eigene Blutkonserven der Patienten zur autologen Transfusion zu gewinnen. Einer breiten Anwendung stehen vorwiegend wirtschaftliche Gründe entgegen.
Wirkstoff-Freiname (INN) | Handelsname | Indikationen |
---|---|---|
Epoetin alfa | Erypo® | renale Anämie; solide Tumoren, multiples Myelom, Non-Hodgkin-Lymphom, chronisch lymphatische Leukämie und jeweils Chemotherapie- assoziierte Anämie; autologe Transfusion; elektive orthopädische Eingriffe |
Epoetin beta | NeoRecormon® | renale Anämie; nicht-myeloide maligne Erkrankungen und jeweils Chemotherapie-assoziierte Anämie; autologe Transfusion; Frühgeborenen-Anämie |
Darbepoetin alfa | Aranesp® | renale Anämie; solide Tumoren und jeweils Chemotherapie-assoziierte Anämie |
PEG-Epoetin beta | Mircera® | renale Anämie |
Epoetin alfa (Biosimilar) | Epoetin alfa Hexal® Abseamed® Binocrit® | renale Anämie (nur i. v.); solide Tumoren, multiples Myelom, maligne Lymphome und jeweils Chemotherapie-assoziierte Anämie; elektive orthopädische Eingriffe |
Epoetin zeta (Biosimilar) | Silapo® Retacrit® | renale Anämie; solide Tumoren, multiples Myelom, maligne Lymphome und jeweils Chemotherapie-assoziierte Anämie; autologe Transfusion |
Epoetin theta | Biopoin® Eporatio® | renale Anämie; nicht-myeloide maligne Erkrankungen und jeweils Chemotherapie-assoziierte Anämie |
Vorsicht bei nierenkranken Patienten
ESA werden in der Regel sehr gut vertragen. Ihre therapeutische Breite ist sehr groß. Toxische Schäden sind nicht beschrieben. Das Immunogenitätspotenzial der in der EU vermarkteten Produkte ist sehr gering (10).
Bei Nierenkranken kann es zu einer Blutdruckerhöhung kommen. Daher sind engmaschige Blutdruckmessungen und eventuell eine medikamentöse Neueinstellung des Blutdrucks notwendig. Der Blutdruckanstieg beruht zum Teil auf der Anhebung des Hämatokrits und der damit verbundenen Zunahme der Blutviskosität.
Interessant ist die Verkürzung der Blutungszeit. Dieser Nebeneffekt kann günstig sein, da Dialysepatienten nicht selten unter einer erhöhten Blutungsneigung leiden. Andererseits kann es erforderlich werden, die Thrombozyten-Aggregation und die Plasmagerinnung medikamentös zu senken, um einen Verschluss des Dialyse-Shunts zu verhindern.
Mit der Hb-Synthese steigt der Eisenbedarf. Tatsächlich ist eine inadäquate Eisensupplementation die häufigste Ursache für das gelegentliche Therapieversagen der ESA. Viele Nephrologen empfehlen intravenöse Eisengaben (11). Zur Kontrolle sollten regelmäßig Serumeisen, Transferrinsättigung und Ferritinspiegel bestimmt werden.
Die Kaliumkonzentration im Plasma kann zunehmen. Ursache ist möglicherweise eine vermehrte orale Kaliumzufuhr durch den gesteigerten Appetit der Patienten. Kontrollen des Kaliumspiegels sowie diätetische Hinweise sind angebracht.
Das Thema »Tumorwachstum durch ESA?« ist in der Nephrologie erst spät auf Interesse gestoßen, nämlich mit der TREAT-Studie (Trial to Reduce Cardiovascular Events with Aranesp Therapy). In den TREAT-Daten findet sich der Hinweis auf mehr tumorassoziierte Todesfälle bei denjenigen ESA-behandelten Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, die eine Tumorvorgeschichte hatten (14). Epidemiologische Untersuchungen sprechen jedoch gegen einen ESA-Einfluss auf Tumormorbidität und -mortalität (15).
Neue Anti-Anämika in klinischer Prüfung
Die Epoetine und Darbepoetin alfa sind effektiv und nebenwirkungsarm, aber teuer, sodass Alternativen geprüft werden:
Die endogene EPO-Produktion lässt sich durch peroral applizierbare Stoffe steigern, die HIF-α stabilisieren. HIF-Stabilisatoren aktivieren zahlreiche Gene; eine Gefahr ist die Förderung von Tumorwachstum. Der Wirkstoff FG-4592/ASP 1517 war in Phase-II-Studien erfolgreich; chronisch Nierenkranke (Stadium 3 bis 4) zeigten dosisabhängig einen Hb-Anstieg. Weitere HIF-Stabilisatoren (GSK1278863, AKB-6548, BAY 85-3934) sind in der klinischen Prüfphase.
Bestimmte zyklische Peptide (EPO-mimetische Peptide, EMP; etwa 20 Aminosäuren lang) binden an den EPO-Rezeptor und induzieren dieselben intrazellulären Signale wie EPO. Der Prototyp war Peginesatide, ein pegyliertes EMP-Dimer. Das in den USA im März 2012 für Dialysepatienten zugelassene (und verbreitete) Präparat wurde ein Jahr später wegen Unverträglichkeitsreaktionen mit teilweise tödlichem Ausgang zurückgerufen. Zwei andere, an Human-Immunglobulin (Ig)-Fc-G4 gekoppelte EMP (CNTO 530 und CNTO 528) sind noch in der klinischen Prüfung.
Sotatercept (ACE-011) ist ein rekombinantes chimäres Protein aus der extrazellulären Aktivin-Rezeptor-2A- und der Ig-Fc-G1-Domäne. Aktivine sind Dimere von Transforming Growth Factor-(TGF-ß)-Proteinen. Sotatercept bindet Aktivine und verhindert deren Erythropoiese hemmende Wirkung. Es wird derzeit in Phase-II-Studien an Nierenkranken unter Hämodialyse und Tumorpatienten unter Chemotherapie geprüft (16). Der Wirkstoff könnte insbesondere bei ESA-resistenten Hämodialysepatienten therapeutisch wichtig werden.
Abschließend ist klar festzustellen, dass rHuEPO und seine Analoga – unterstützt durch eine adäquate Eisentherapie – auch in den kommenden Jahren das Standbein der antianämischen Therapie bleiben werden. /
Literatur
Interessenkonflikt:
Der Autor war Berater und Referent für verschiedene ESA-vermarktende Firmen.
Durch ESA-Missbrauch lässt sich die Leistungsfähigkeit in aeroben Sportarten zweifelsfrei steigern. Mit der Zunahme des Hämatokrits nehmen aber auch die Blutviskosität, der periphere Strömungswiderstand (cardiac afterload) und die Herzarbeit zu. Ausgeprägte Erythrozytosen stören zudem die Mikrozirkulation (Thrombosegefahr).
Leider hat das EPO-Doping schon Eingang in den Freizeitsport gefunden. Der direkte Nachweis von rHuEPO und seinen Analoga erfolgt mittels isoelektrischer Fokussierung (IEF) und Immunblotting in Urinkonzentraten. Zu beachten: rHuEPO ist dosisabhängig nach zwei bis sechs Tagen eliminiert, lang wirksame ESA sind länger nachweisbar. Neugebildete Erythrozyten haben dagegen eine Lebenserwartung von etwa 120 Tagen. Daher ist es wichtig, dass Proben nicht nur bei Wettkämpfen, sondern auch unangekündigt dazwischen (Out-of-Competition) abgenommen werden.
Nachweisprobleme ergeben sich zudem durch gezielte Vertuschungsversuche: Austausch von Urinproben, Nutzung von mit vorbereitetem Urin gefüllten Schläuchen, Auffüllen des Urins mit Wasser, Einnahme chemischer Substanzen, die die Analyse stören, und Zugabe von proteinabbauenden Stoffen (Proteasen, im einfachsten Fall Waschpulver) zu den Urinproben.
Wolfgang Jelkmann studierte Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Nach der Promotion war er von 1974 bis 1984 Postdoktorand in der klinischen Biochemie in Hannover, der Physiologie in Regensburg und der Pharmakologie in New Orleans, USA. 1980 habilitierte er sich im Fach Physiologie. 1984 wurde er Arbeitsgruppenleiter am Institut für Physiologie der damaligen Medizinischen Hochschule Lübeck, 1990 C3-Professor für Physiologie an der Universität Bonn. Seit 1995 ist Jelkmann C4-Professor und Direktor des Instituts für Physiologie der Universität zu Lübeck. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind Gastransport im Blut, Anpassung des Gewebes an Hypoxie und hämatopoietische Wachstumsfaktoren.
Professor Dr. med. Wolfgang Jelkmann, Institut für Physiologie, Universität zu Lübeck, Ratzeburger Allee 160, 23562 Lübeck jelkmann(at)physio.uni-luebeck.de