Pfizer schafft Fakten |
02.10.2006 11:14 Uhr |
Pfizer schafft Fakten
Von Patrick Hollstein
Nachdem Pfizer in Deutschland und Spanien mit seinen Plänen zur Umstellung des Vertriebsweges vorerst am Widerstand der Marktpartner gescheitert ist, hat der weltgrößte Pharmakonzern nun in Großbritannien einen Komplizen gefunden: Ab März 2007 soll der britische Pharmagroßhändler UniChem den Exklusivvertrieb für Pfizer-Produkte übernehmen.
Aus seinen Plänen, in ganz Europa den Vertriebsweg mittelfristig auf ein von Pfizer komplett kontrolliertes System umzustellen, macht der Konzern mittlerweile kein Geheimnis mehr. Nur das Modell werde sich je nach Land unterscheiden, so der Weltmarktführer in seinen knappen Erklärungen. Vor einem Jahr hatte Pfizer in Deutschland versucht, im Rahmen einer geheimen Ausschreibung Großhändler zum Einstieg in eine Welt exklusiver Liefer- und Informationsbeschaffungsverträge zu bewegen (siehe PZ 29/05). Weil er hierzulande bislang jedoch keinen Partner gefunden hat, der sich zum reinen Logistiker degradieren lassen will, stellt der Konzern seitdem die Geduld von Großhandel, Apotheken und selbst Patienten durch eine Strategie der künstlichen Verknappung auf die Probe. Auch in Spanien war Pfizer zuvor am Widerstand der Marktpartner gescheitert.
Vorgeschobene Motive
In Großbritannien ist der Konzern nun auf der Suche nach einem Verbündeten fündig geworden. Ab März 2007 soll der britische Großhändler UniChem exklusiv alle verschreibungspflichtigen Pfizer-Produkte vertreiben. Wie zuvor in Deutschland hatte der Konzern mit Sitz in New York das Thema Arzneimittelfälschungen vorgeschoben, um die Kontrolle über den Vertrieb der eigenen Produkte in die eigene Hand zu nehmen. Dabei gehören auch in Großbritannien gefälschte Medikamente innerhalb des regulären Vertriebsweges zu den extremen Ausnahmen.
Nun ist Pfizer also auf der Insel dabei, Fakten zu schaffen. Im Vorfeld sollen die britischen Patienten im Rahmen einer umfassenden PR-Kampagne zunächst auf die Pfizer-Philosophie eingenordet werden - und damit eventueller Widerstand aus den Apotheken gebrochen werden.
Ob sich die Pläne tatsächlich umsetzen lassen, ist vorerst offen. UniChem gehört zwar neben der Celesio-Tochter AAH und Phoenix tatsächlich zu den Marktführern im britischen Pharmagroßhandel, deckt jedoch derzeit nur ein Drittel des Marktes ab. Wie der Alliance-Boots-Ableger kurzfristig seine Lieferkapazitäten flächendeckend erweitern will, ist offen. Dass UniChem überhaupt seine bestehenden Kundenkontakte riskiert, um dem Pfizer-Vertriebsdiktat Schützenhilfe zu gewähren, hängt wahrscheinlich mit der jüngsten Firmengeschichte zusammen.
Erst im Juli hatten Alliance UniChem und die Drogeriekette Boots ihre Unternehmen zusammengelegt, um ihrem Geschäft mehr Gewicht zu verleihen. Mit rund 2600 Filialen ist Alliance Boots im britischen Arzneimitteleinzelhandel breiter aufgestellt als die anderen Mitbewerber. Die Celesio-Tochter Lloydspharmacy bringt es im Vergleich auf rund 1500 Apotheken. Möglicherweise will Firmenmagnat Stefano Pessina, der 16 Prozent des Aktienkapitals hält, nicht nur Exklusivgroß-, sondern auch -einzelhändler für Pfizer-Ware werden.
Kritik am Dammbruch
Die Konkurrenz hielt sich in ihrer Kritik am Dammbrecher nicht zurück. »Pfizer und UniChem werden erst dann einsehen, dass das System nicht funktioniert, wenn es zu spät ist und den Patienten die Arzneimittel ausgehen«, sagte Justin Ash, Manager der Celesio-Apothekenkette Lloydspharmacy. Ash befürchtet außerdem unzumutbare bürokratische Hürden für alle Beteiligten und sogar eine höhere Anfälligkeit für Arzneimittelfälschungen. »Wir glauben nicht an Pfizers Argument der Arzneimittelsicherheit«, unterstrich Ash den Vorwurf der Arzneimittelaufsichtsbehörde MHRA, die Pfizer kommerzielle Motive unterstellt hatte. »Es fällt schwer einzusehen, dass der weltgrößte Pharmakonzern der Branche Lieferwege und -konditionen diktieren kann«, so Ash.
Auch der Vorsitzende des Apothekerverbands NPA, John D‘Arcy, übte harsche Kritik am Vorgehen des Giganten aus den USA und unterstrich die Folgen für die gesamte Branche: Falls Pfizer seine Produkte, die immerhin 15 Prozent des rezeptpflichtigen Bereichs ausmachten, aus dem regulären Vertriebssystem zurückziehe, habe dies Konsequenzen für das Liefer- und Konditionenverhalten der gesamten Branche.
Inwiefern Pessina auch in anderen Ländern bereit ist, den einschlägigen Verweigerungskurs des pharmazeutischen Großhandels in Sachen Pfizer zu durchbrechen, ist offen. Alliance Boots betreibt Großhandlungen in den Niederlanden, Norwegen, Russland, Frankreich, Italien und Spanien und hält Beteiligungen in Portugal, der Schweiz und der Türkei. Auch Deutschland könnte dann erneut ins Visier der Pfizer-Vertriebsexperten geraten ob im Rahmen einer grenzüberschreitenden Belieferung durch die niederländische Alliance Boots-Tochter Interpharma oder durch weitere Zukäufe bei der Anzag.