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Bundestagswahl

Der soziale Aspekt wird nicht vergütet

16.09.2013  16:17 Uhr

Von Daniel Rücker / Jutta Paulus ist Apothekerin und Bundestagskandidatin der Grünen im Wahlkreis Neustadt-Speyer-Bad Dürkheim. Im Gegensatz zu ihrer Parteispitze hält sie wenig von der Deregulierung des Arzneimittelmarktes. Dieses Thema sei innerparteilich auch noch gar nicht ausdiskutiert, sagt sie im Interview mit der PZ.

 

PZ: Sie sind Apothekerin und haben selbst in einer Apotheke gearbeitet. Warum haben Sie damit aufgehört?

Paulus: Mein Berufsziel war immer die Forschung. Dass ich nicht Chemie, sondern Pharmazie studiert habe, ist dem Umstand zuzuschreiben, dass die Situation für berufstätige Mütter vor 27 Jahren deutlich anders war als heute. Da mir bereits zu Studienbeginn klar war, dass ich irgendwann Familie haben wollte, bot sich die Pharmazie an – hier schien mir eine Teilzeitbeschäftigung in der Familienphase möglich, was Mitte der Achtziger in der Industrie nicht denkbar war. Tatsächlich war meine Apothekentätigkeit dann auf die Zeit beschränkt, in der der eigene Betrieb (Auftragsforschungsinstitut) im Aufbau befindlich war und eine vierköpfige Familie ernährt werden musste.

 

PZ: Die Grünen stehen bei den meisten Fragen der Daseinsvorsorge staatlichen Regelungen eher aufgeschlossen gegenüber. In der Arzneimittelversorgung setzt zumindest die Parteispitze stärker als alle anderen Parteien auf Deregulierung. Was ist der Grund für diese Haltung?

 

Paulus: Hier hat die Parteispitze Positionen geäußert, die innerparteilich noch nicht ausdiskutiert sind. Ich bin gespannt auf die nächsten Parteitage. Ich denke, nicht nur die Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit, Soziales, Gesundheit wird hier Gesprächsbedarf anmelden. Persönlich bin ich der Ansicht, dass die Auswirkungen von Deregulierung in diesem Bereich zunächst untersucht werden sollten, bevor man dieses Experiment beginnt. Mit einer Öffnung des Arzneimittelvertriebs an Endkunden für große Kapitalgesellschaften Einsparungen erwirken zu wollen, halte ich für wenig zielführend. Aus anderen Branchen ist bekannt, dass sich die Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter in Ketten häufig verschlechtern. Der jahrelange Gebrauch und Missbrauch von bestimmten freiverkäuflichen Arzneimitteln kann zu Gesundheitsschäden führen. Sollen diese Arzneimittel von nun an über Sonderangebote und aggressives Marketing verstärkt unters Volk gebracht werden? Zudem ist die Arzneimittelversorgung gerade im ländlichen Raum ohnehin gefährdet, weil eine zufriedenstellende Wirtschaftlichkeit bei Landapotheken oft nicht gegeben ist.

 

PZ: Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Aufgabe der öffentlichen Apotheken?

 

Paulus: Arzneimittelversorgung rund um die Uhr und Beratung der Patienten für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Was mir auffällt: Der soziale Aspekt wird bislang weder benannt noch vergütet. Aus meiner eigenen Arbeit kann ich mich gut an die meist älteren Patienten erinnern, die primär zum Gespräch und nicht aus gesundheitlichen Gründen in die Apotheke kamen.

 

PZ: Die Vergütung der Apotheker ist in diesem Jahr erstmals seit 2004 leicht angehoben worden. Halten Sie die Honorierung der Apotheker für gerecht?

 

Paulus: Im Vergleich zu anderen akademischen Berufen ist die Vergütung für Apotheker sehr moderat. Gerechtigkeit ist ein sehr umfassender Begriff, es kommt immer darauf an, was verglichen wird. Die diesjährige Anhebung liegt ja weit unterhalb der Inflationsrate, dennoch gibt es Berufsgruppen, die mit sehr viel weniger Geld auskommen müssen.

 

PZ: Die Apotheker wollen für umfassende Beratungsleistungen – also nicht für die Standardberatung bei der Arzneimittelabgabe – zukünftig vergütet werden. Was halten Sie davon? 

 

Paulus: Das zugrundeliegende Gesamtkonzept ist mir noch nicht bekannt. Grundsätzlich halte ich den eingeschlagenen Weg, die Arzneimittelabgabe mit Fixpreisen zu vergüten, für richtig. Die bloße Abgabe von Arzneimitteln oder die Beratung von Patienten über Neben- und Wechselwirkungen bei Multimedikation ist durch den Fixzuschlag abgedeckt. Wenn jetzt zusätzliche Leistungen außerhalb der direkten Patientenbetreuung wie beispielsweise eine Stationsbegehung in Seniorenheimen vergütet werden sollen, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen. /

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