Berufsbild weltweit im Wandel |
16.09.2013 16:38 Uhr |
Von Christina Hohmann-Jeddi, Dublin / Weg von der Packung, hin zum Patienten: Das Berufsbild der Pharmazeuten befindet sich weltweit im Wandel. Aufgaben wie Adhärenz steigern, Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern und die Zusammenarbeit mit Ärzten werden immer wichtiger. Das wurde auf dem diesjährigen Kongress des Weltapothekerverbands FIP (Fédération Internationale Pharmaceutique) in Dublin deutlich.
Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich und immer mehr Menschen erreichen ein hohes Lebensalter. Damit nimmt aber auch die Prävalenz von chronischen Erkrankungen zu. Statistiken zufolge ist bereits jeder vierte Hausarztpatient ein sogenannter komplexer Patient, der sich durch verschiedene Faktoren wie hohes Lebensalter, mehrere chronische Erkrankungen, Polymedikation oder ungewöhnliche Reaktionen auf Medikamente auszeichnet. Die Arzneimitteltherapie dieser Patientengruppe stand im Mittelpunkt des diesjährigen FIP-Kongresses.
Der Kongress des Weltapothekerverbandes FIP fand vom 31. August bis zum 5. September im Dubliner Covention Centre statt.
Fotos: PZ/Hohmann-Jeddi
Die Betreuung ist sehr anspruchsvoll und wird noch durch die individuellen Hintergründe der Patienten, die sich genetisch und medizinisch, aber auch sozioökonomisch, von ihrem Bildungsstand und in ihren kulturellen und religiösen Überzeugungen unterscheiden, zusätzlich verkompliziert. Ein wichtiger Aspekt für eine sichere und effiziente Arzneimitteltherapie ist die Therapieadhärenz, über die Rob Horne, Professor für Verhaltensmedizin an der University College London School of Pharmacy, referierte. Nur 50 Prozent der Medikation für chronische Erkrankungen wird Statistiken zufolge so genommen, wie sie verschrieben wurde. »Nicht-Adhärenz ist die Regel, nicht die Ausnahme«, so der Pharmazeut. Selbst potenziell tödliche Erkrankungen wie Krebserkrankungen seien kein Garant, dass die Therapie wie verordnet eingehalten wird.
Zum Teil kann die Nicht-Adhärenz unbeabsichtigt sein, wenn Patienten wie in Entwicklungsländern keinen Zugang zu Medikamenten haben (was in der westlichen Welt häufig übersehen wird), das Regime zu kompliziert ist oder die Tabletteneinnahme vergessen wird. Häufig sei die Nicht-Adhärenz aber beabsichtigt, erklärte Horne. »Die Patienten können, sie wollen ihre Medikation aber nicht einnehmen.« Hier kommen die Gefühle und Überzeugungen der Patienten ins Spiel. »Klare Instruktionen und Informationen bezüglich der Medikation zu geben, ist nicht ausreichend.« In die Tat umgesetzt würden diese Instruktionen nur, wenn sie mit den Ansichten des Patienten bezüglich der Erkrankung und dem verschriebenen Arzneimittel übereinstimmen. Hier stünden sich die Einschätzung des Nutzens des Präparates (seine medizinische Notwendigkeit) und seiner Gefährlichkeit gegenüber. Dem Apotheker käme dabei die Aufgabe zu, die Risiken in den Kontext des Benefits zu stellen.
Apotheke in Dublin
Wie wichtig die Rolle des Pharmazeuten für die Therapieadhärenz ist, ist in Studien belegt. In Großbritannien hat man ein Pilotprojekt gestartet, in dem Apotheker zehn Tage nach einer neuen Verschreibung den Patienten telefonisch kontaktierten und in einem zehn- bis zwölfminütigen Gespräch noch einmal den Nutzen des Medikaments verdeutlichen. Dadurch konnte die Adhärenz deutlich gesteigert und die Zahl der Therapiefehler gesenkt werden, berichtete Horne. Ob dieser Service landesweit implementiert werde, sei noch unklar. Für ihn stehe jedoch fest, dass ein Umdenken bezüglich des Berufsbilds des Apothekers stattfinden müsse. Leistungen wie Medikationsmanagement und eben Therapieadhärenz-Steigerungen seien Werte, für die Apotheker auch bezahlt werden müssten.
Apotheke in Dublin
Eine wichtige Aufgabe des Apothekers ist, die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) sicherzustellen, insbesondere bei älteren Patienten mit Polymedikation. Welche Probleme hier auftreten können, berichtete Professor Dr. Ulrich Jaehde, Leiter des Bereichs Klinische Pharmazie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, anhand von Studiendaten aus dem Jahr 2009. In einer Untersuchung mit 1046 Bewohnern von elf Altenheimen in Deutschland zeigte sich, dass unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) nicht selten waren: Pro 100 Bewohner-Monaten traten etwa acht solcher UAW auf. Davon waren fast 60 Prozent vermeidbar, berichtete Jaehde. 27,3 Prozent der UAW führten zu einer Krankenhauseinweisung. Die meisten Fehler entstanden aufgrund mangelnder Kommunikation zwischen den einzelnen Heilberuflern, mangelnder Dokumentation der Medikation oder möglicher Änderungen sowie fehlendes Monitorings und fehlender individueller Dosisanpassungen.
Apotheke in Dublin
Um die AMTS in Altenheimen zu verbessern, wurde in zwei Regionen Deutschlands 2012 ein Pilotprojekt gestartet, das über drei Jahre laufen soll. Dies beinhaltet Schulung der verschreibenden Ärzte, der heimbeliefernden Apotheker und des Pflegepersonals und die Bildung eines AMTS-Teams aus jeweils einer Pflegerin und einem Apotheker, das regelmäßig alle Patienten einzeln betrachtet und die Medikation evaluiert. Die Effizienz der Intervention soll nach sechs Monaten und die Nachhaltigkeit nach weiteren sechs Monaten untersucht werden, berichtete Jaehde. Solche Forschungsprojekte könnten dazu beitragen, spezifische Risiken für komplexe Patienten zu erkennen und standardisierte Behandlungsmodule zu entwickeln. Die einzelnen Module könnten dann auf jeden Patienten individuell je nach Erkrankung zusammengestellt werden.
Apotheke in Dublin
Gefahrenstelle Transition
Eine Gefährdung für die AMTS stellen Transitionen dar, erklärte Tamasine Grimes vom Trinity College Dublin auf dem Kongress. Darunter sind nicht nur Krankenhauseinweisungen und -entlassungen, sondern auch Wechsel zwischen verschiedenen Stationen einer Institution zu verstehen. Solche Brüche in der Behandlung erhöhen das Risiko für Medikationsfehler. Einer Untersuchung zufolge wird bei etwa 67 Prozent der Fälle bei der Einweisung in ein Krankenhaus die bestehende Medikation falsch aufgenommen. Eine weitere Studie ergab, dass bei etwa 26,3 Prozent von zufällig ausgewählten Patienten einer Universitätsklinik eine UAW vorlag. In 66 Prozent der Fälle ging diese auf Medikationsfehler bei der Krankenhauseinweisung zurück, berichtete Grimes.
Bei der Entlassung sieht es kaum besser aus. Einem Teil der Entlassungsbriefe von 2 bis 40 Prozent fehlen wichtige Informationen zur Medikation. Zudem besuchen Patienten häufig ihren niedergelassenen Arzt noch bevor der Entlassungsbrief bei diesem angekommen ist. »Besonders in diesen sensiblen Phasen der Transition ist eine wichtige Aufgabe von Pharmazeuten, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu wahren«, sagte Grimes.
Medikationsliste als Serviceleistung
Eine Möglichkeit, hierzu beizutragen, ist eine korrekte Arzneimittelanamnese (im englischen Sprachraum »Medication Reconciliation«). Darunter ist der Prozess zu verstehen, eine akkurate und vollständige Liste aller verschriebenen und nicht verschriebenen Medikamente, die ein Patient aktuell einnimmt, zu erhalten, inklusive Dosierung, Frequenz, und Applikationsart, und diese Liste bei einer Transition weiterzugeben, erklärte Grimes. Dadurch lässt sich nachweislich die Zahl der Medikationsfehler und der UAW senken. Wichtig für den Erfolg dieser Maßnahme sei Studien zufolge die intensive Mitarbeit von Pharmazeuten. Viele internationale Entscheidungsträger sprächen sich derzeit für die Einführung von Medication Reconciliation aus, berichtete Grimes. In einigen Ländern sind solche Systeme schon etabliert.
Auch in den Niederlanden gebe es ein entsprechendes Positionspapier, berichtete Fatma Karapinar, Klinische Pharmazeutin am Sint Lucas Andreas Hospital in Amsterdam. »Doch dieser Prozess ist mehr als ein Abgleich von Listen«, sagte Karapinar. »Er beinhaltet auch Kollaboration und Kommunikation mit dem Patienten, Ärzten und Pflegern.«
In ihrem Haus umfasse der Prozess vier Schritte: Zuerst wird die aktuelle im Krankenhaus verwendete Medikation gelistet und diese Liste mit einer früheren aus dem ambulanten Bereich abgeglichen. Hierfür wird Rücksprache mit dem Apotheker des Patienten gehalten, was in den Niederlanden unproblematisch ist, weil jeder Patient nur einen Apotheker hat. Im zweiten Schritt prüfen die Krankenhausapotheker in Zusammenarbeit mit den Ärzten die Medikation: Sind die Dosierungen angebracht? Gibt es Wechselwirkungen? Sind alle Medikamente notwendig? Danach werden vorgenommene Änderungen der Medikation und deren Gründe dokumentiert. Im letzten Schritt werden die Änderungen dem Patienten und dem Hausarzt sowie dem Apotheker mitgeteilt, berichtete Karapinar.
Häufig gingen Medikationsfehler auf mangelnde Kommunikation zurück. So zum Beispiel bei einem Patienten, der wegen einer Simvastatin-Therapie eine Pankreatitis entwickelte, was im Krankenhaus erkannt wurde. Simvastatin wurde abgesetzt, der Zustand besserte sich und der Patient wurde entlassen. Da die Gründe für den Therapieabbruch nicht dokumentiert wurden, setzte der Hausarzt des Patienten die Therapie wieder ein. »Dreimal wurde dieser Patient wegen einer Pankreatitis hospitalisiert«, sagte Karapinar. Solche Fälle gelte es zu verhindern. Ein wichtiger Aspekt dabei sei die Kommunikation, vor allem auch mit dem Patienten. »Der Patient ist der einzige konstante Faktor in diesem System«, so die Referentin. Ihn müsse man befähigen, für sich selbst zu sorgen. Daher erhält der Patient bei der Entlassung nicht nur eine Medikationsübersicht, sondern der Krankenhausapotheker bespricht diese auch ausführlich mit ihm. Zusätzlich werden der Arzt und der betreuende Offizinapotheker über die aktuelle Medikation informiert.
Größte Hürde Datenschutz
Medication Reconciliation sei ein wichtiges Instrument, die Zahl der Medikationsfehler zu verringern und die AMTS zu verbessern. Einige Hürden gebe es aber noch. Die größte sei derzeit der Datenschutz. Um an die dem Offizinapotheker vorliegenden Daten des Patienten zu gelangen, müsse man von jedem Patienten die Erlaubnis einholen. Eine weitere Schwierigkeit sei die Finanzierung. Derzeit finanziert das Krankenhaus die Arbeit von Karapinars Team, einen Teil der Kosten übernehmen die Krankenkassen. Die Maßnahme benötigt etwa 60 Minuten pro Patient und kostet 41 Euro, sagte die Pharmazeutin. Innerhalb von sechs Monaten nach der Intervention spare man pro Patient durchschnittlich 97 Euro Therapiekosten ein, vor allem durch Absetzen von überflüssigen Arzneimitteln und durch Wechsel auf preiswertere Alternativen. /