Letzte Dinge |
18.09.2012 14:02 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek, Kassel / Der Tod scheint aus dem Alltag verschwunden zu sein. Die meisten Menschen tun sich schwer mit dem Gedanken an die eigene Endlichkeit. Das Museum für Sepulkralkultur in Kassel arbeitet seit 20 Jahren mit beeindruckenden Ausstellungen daran, das schwierige Thema Sterben wieder stärker ins Leben zu integrieren.
»Werden Sie da nicht depressiv?« Diese Frage hört Jutta Lange häufig, wenn es um ihren Arbeitsplatz geht. Lange ist verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Kasseler Museum für Sepulkralkultur, das in der deutschen Museumslandschaft eine besondere Stellung einnimmt. Hier geht es um den Tod mit all seinen Facetten – ein Thema, das vielen Menschen Angst macht, obwohl, oder vielleicht gerade weil es jeden unausweichlich betrifft. Besuchermangel gibt es dennoch nicht in dem denkmalgeschützten Altbau mit dem einladend hellen, modernen Flügel aus Beton und Glas auf dem Kasseler Weinberg. Die architektonische Kombination aus Alt und Neu weist schon darauf hin, worum es in dem deutschlandweit einzigartigen Museum geht: eine Auseinandersetzung mit der Sterbe- und Trauerkultur von einst und heute.
Farbig ins Jenseits: Figurensärge erfreuen sich in Ghana/Westafrika bis heute großer Beliebtheit. Der »Hahn« von Paa Joe stammt aus dem Jahr 1996 und ist seit 2008 in Besitz des Museums für Sepulkralkultur.
Unten: Fürstlicher Leichenwagen, ein sogenannter Glaswagen, aus dem 19. Jahundert
Fotos: Frank Hellwig, Museum für Sepulkralkultur, Kassel
Der Tod hat eine enorme mediale Präsenz, in Nachrichten oder Krimis sind wir täglich mit ihm konfrontiert. »Aber privat ist er so gut wie nicht mehr existent«, so die Kunstwissenschaftlerin. Die Gründe dafür sind zahlreich: Die meisten Menschen sterben in Institutionen und nicht von der Familie betreut zu Hause. Es fehlen Orte des Abschiednehmens, es fehlt die Zeit, sterbende Angehörige bis zum Ende zu begleiten. Nur wenige Menschen hätten in ihrem Leben überhaupt schon einmal einen Verstorbenen gesehen, weiß Lange aus vielen Gesprächen mit Besuchern.
Sterben und Tod, Trauern und Gedenken – das sind die zentralen Themen des Museums für Sepulkralkultur (lat. sepulcrum: Grabstätte). Historisches Totenbrauchtum wird in der Dauerausstellung mit gegenwärtigen Entwicklungen der Bestattungskultur in Beziehung gesetzt. Wie bereitet man sich auf den Tod vor, welche Bräuche und Rituale gibt es im Umgang mit dem Sterben, wie wird Trauer gezeigt? Exponate aus der sogenannten Hochkultur stehen neben Alltagsgegenständen, zu sehen sind aber auch künstlerische Sichtweisen auf das Leben und die Vergänglichkeit. Grabstätten und -steine, Trauertrachten, Fotografien oder Videoinstallationen – die Sammlung konzentriert sich geografisch auf den mitteleuropäischen Raum und zeitlich auf die Epoche zwischen ausgehendem Mittelalter und der Gegenwart.
Wirft die Dauerpräsentation einen eher allgemeinen Blick auf Bestattungs- und Trauerriten, stellen die zahlreich wechselnden Sonderausstellungen spezielle Themen in den Mittelpunkt. In den ersten Jahren seit Eröffnung des Museums ging es um Themen wie die Kulturgeschichte des Sarges, des Trauerschmucks oder des Bestatterberufs. Aber das Konzept hat sich im Laufe der Jahre geändert. Spätestens seit der äußerst erfolgreichen, aus der Schweiz übernommenen Ausstellung »Last minute« im Jahr 2000 wurde klar: Besucher interessieren sich weniger für schöne alte Särge, sondern mehr für das, was sie selbst betrifft. Die Ausei-nandersetzung mit dem Ende ist für die meisten Menschen im Hier und Jetzt angesiedelt. So ging es in »Last minute« vor allem um die Weitergabe heutiger Erfahrungen, Erfahrungen von Sterbenden, ihren Begleitern und Trauernden und die Frage: Wie geht man eigentlich um mit Tod und Abschied in einer säkularisierten Gesellschaft? »Die Menschen suchen die Beratung, auch hier im Museum«, weiß Lange. Tag für Tag hört sie sehr persönliche Geschichten. Jeder ist in seinem Leben mit dem Sterben und Abschiednehmen konfrontiert, aber es wird zu wenig darüber gesprochen.
Bis in die 60er-Jahre war das Reden über den Tod ein Tabu. Erst mit der Hospizbewegung Mitte der 1980er-Jahre bekam das Sterben wieder einen Platz in der öffentlichen Diskussion. Nicht zuletzt die vielen HIV-Kranken, die vor 30 Jahren nur geringe Chancen hatten, das Virus zu überleben, machten den Tod zum Thema. Sie planten schon zu Lebzeiten ihre Beerdigung und sprachen mit Freunden und Verwandten über die Abschiedsrede auf der Trauerfeier. »Trauernde werden heute wieder stärker in den Abschiedsprozess integriert«, berichtet Lange. Krankenhäuser richten hierfür beispielsweise spezielle Räume ein, Hospize bieten über den Tod hinaus Gespräche für Hinterbliebene an, es gibt sogar Kochkurse für Trauernde. Kümmerten sich früher ausschließlich die Kirchen um den Tod, gilt es nun, die Lücken zu schließen, die fehlender Glaube und Kirchenaustritte hinterlassen haben.
Das Museum für Sepulkralkultur in Kassel ist kulturhistorische Ausstellungshalle, Diskussionsplattform, aber auch Veranstalter von Vorträgen, Seminaren, Kabarett- und Liederabenden. Kindergeburtstage werden hier gefeiert und der mexikanische Día de los Muertos am 2. November mit seinen traditionellen kleinen gezuckerten Totenköpfen. Die Veranstaltungen nehmen Jung und Alt nicht nur die Scheu vor dem Museum mit seiner speziellen Thematik. »Wir haben hier auch viel Spaß«, sagt Lange. /
... gilt als klassische Todes- und Trauerfarbe. Warum das so ist und welche Verbindungen es zwischen Schwarz und den »Letzten Dingen« gibt, ist Thema der Jubiläums-Ausstellung zum 20-jährigen Bestehen des Museums für Sepulkralkultur. In acht Abteilungen gibt die Sonderausstellung Einblick in die dunkle Welt zwischen Kunst und Karikatur, Brauchtum und Mode, Wissenschaft und Magie. Zur Ausstellung, die noch bis zum 27. Januar 2013 zu sehen ist, gibt es ein Begleitprogramm, darunter Vorträge, Dinner-in-the Dark-Veranstaltungen, Filmvorführungen im Zeichen des »Schwarzen Humors« sowie ein Schwarzlicht-Theater-Workshop für Kinder.
Museum für Sepulkralkultur, Weinbergstraße 25-27, 34117 Kassel.
Öffnungszeiten: Di. bis So. – 10 bis 17 Uhr, Mi: 10 bis 20 Uhr.