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Anwendungsbeobachtung

Wertvolle Daten aus der Apotheke

13.09.2007  11:49 Uhr

Anwendungsbeobachtung

Wertvolle Daten aus der Apotheke

Von Anna Laven

 

Anwendungsbeobachtungen sind keineswegs den Ärzten vorbehalten. Laut Gesetz können diese Studien auch in Apotheken laufen. Sie liefern wertvolle Daten zur Anwendungs- und Arzneimittelsicherheit in der Selbstmedikation. Eine große Chance für Apotheker, sich als Heilberufler zu positionieren.

 

Die Selbstmedikation hat in den vergangenen Jahren im deutschen Gesundheitssystem stark an Bedeutung gewonnen und dieser Trend wird sich fortsetzen. Die Apotheke wird als erste Anlaufstelle für die Patienten zunehmend wichtiger: 22 Prozent der über 55-Jährigen gehen seit Einführung der Praxisgebühr zunächst in die Apotheke, bevor sie einen Arzt aufsuchen (1). Damit sind Apotheker gefordert, bei Fragen zu helfen, die bislang Ärzten vorbehalten waren. Neben der Beratung empfehlen sie dabei oft auch rezeptfreie, aber apothekenpflichtige Arzneimittel (Over-the-counter-Arzneimittel, OTC). Daher werden Apotheken als Ausgangspunkt für Anwendungsbeobachtungen (AWB) immer interessanter.

Definition des BfArM

Anwendungsbeobachtungen sind Beobachtungsstudien, die dazu bestimmt sind, Erkenntnisse bei der Anwendung verkehrsfähiger Arzneimittel zu sammeln. Ihr besonderes Charakteristikum ist die weitgehende Durchführung der Therapie im Einzelfall. Ziel ist die Beobachtung von Behandlungsmaßnahmen in der routinemäßigen Anwendung durch Arzt und Patient. Eine AWB kann ohne Vergleichsgruppe, zum Beispiel arzneimittelorientiert, oder mit zwei oder mehr zu vergleichenden Gruppen, zum Beispiel indikationsorientiert, angelegt sein. Sie wird mit Handelsware durchgeführt (2).

Eine AWB im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG) ist eine Sammlung von Erkenntnissen, die Arzt oder Apotheker zur Anwendung eines zugelassenen oder registrierten Arzneimittels gewinnen. Ziel ist es, die Erkenntnisse zur Verträglichkeit und Wirksamkeit des betroffenen Arzneimittels zu erweitern. Vom methodischen Ansatz her kommt die AWB einer Kohortenstudie am nächsten. In Deutschland ist es unter bestimmten Bedingungen auch Nicht-Ärzten erlaubt, eine AWB durchzuführen. Beispielsweise dürfen Apotheker solche Studien zu nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln vornehmen. AWB mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln sind Ärzten vorbehalten.

Tabelle 1: Unterschiede zwischen der klinischen Prüfung Phase IV und der Anwendungsbeobachtung; modifiziert nach (17)

Parameter Klinische Prüfung Phase IV AWB
Rechtliche Regelung nach AMG §§ 10, 40, 41, 42 § 28 (3a), § 67 (6)
Definition Richtlinie 2001/20/EG Artikel 2a; § 4 (23) AMG Richtlinie 2001/20/EG Artikel 2c; § 4 (23) AMG; NtA Vol. 9 [NtA: Notice to Applicants]
Vorgehen nach Good Clinical Practise (GCP) ja nein
Votum der Ethikkommission erforderlich nicht erforderlich
Patientenversicherung erforderlich nicht erforderlich
Genehmigung durch die Bundesoberbehörde ja nein
Meldung bei der Bundesoberbehörde nein ja
Meldung bei der Landesbehörde ja nein
Meldung bei der kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen nein ja
Ziel Hypothesenprüfung: Nachweis von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von zugelassenen und nicht zugelassenen Arzneimitteln (intervenierend) Beobachtung und Dokumentation der Anwendung zugelassener Arzneimittel, Sammeln von Erkenntnissen über den Gebrauch des Arzneimittels gemäß Fachinformation im „leitlinienkonformen“ Routineeinsatz (nicht intervenierend)
Arzneimittel Prüfmuster nach § 5 GCP-V; zugelassene und nicht zugelassene Arzneimittel Handelsware; zugelassene Arzneimittel
Durchführung nur Ärzte Ärzte und Nicht-Ärzte

Charakteristisches Merkmal, das eine AWB eindeutig von der klinischen Interventionsstudie der Phase I bis IV unterscheidet, ist die »Nicht-Intervention«. Dies regelt § 67 AMG. Diese Nicht-Intervention (Tabelle 1) lässt sich generell an folgenden Kriterien erkennen:

 

Das Medikament wird auf übliche Weise in den Verkehr gebracht, das heißt, es handelt sich immer um ein zugelassenes Arzneimittel.

Die Anwendung entspricht den Indikationen laut Zulassung.

Die Behandlungsstrategien entsprechen der üblichen Praxis. Es werden keine besonderen Maßnahmen durchgeführt, die nicht auch außerhalb der Studie erfolgt wären.

Die Entscheidung zur Empfehlung oder Verordnung des Arzneimittels erfolgt getrennt von der Entscheidung zur Einbeziehung in die AWB.

Im Gegensatz zu klinischen Studien der Phase IV gibt es keine grundsätzlich geforderten Ein- oder Ausschlusskriterien (abgesehen von bekannten Überempfindlichkeiten und Kontraindikationen, die in der Fachinformation aufgeführt sind). Zum Beispiel können Schwangere, Kinder oder ältere Menschen, sofern in der Gebrauchsinformation erlaubt, auch an einer AWB teilnehmen. So spiegeln die erhobenen Daten eher den Behandlungsalltag wider. Selbstverständlich sind auch Teilbetrachtungen möglich, zum Beispiel einer bestimmten Zielpopulation wie Menschen über 50 oder mit Bluthochdruck.

Es sind keine zusätzlichen Diagnosen oder Überwachungsverfahren am Kunden/Patienten notwendig, von der Auflistung eventuell auftretender unerwünschter Arzneimittelwirkungen abgesehen.

Die gesammelten Daten werden anonymisiert nach epidemiologischen Methoden ausgewertet und analysiert.

 

Kurz gesagt: In einer AWB beobachten Arzt oder Apotheker die Anwendung eines zugelassenen Medikaments durch den Patienten und erheben Daten über Wirkung und Verträglichkeit.

 

Warum AWB immer wichtiger werden

 

Das Arzneimittelgesetz verpflichtet den Hersteller eines Arzneimittels, auch nach der behördlichen Zulassung die Verantwortung für die Sicherheit seines Produkts zu übernehmen, obwohl in den Zulassungsstudien Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit bereits nachgewiesen wurden. Denn mit dem Markteintritt steigt die Zahl der behandelten Patienten erheblich und überwiegt bei Weitem die Zahl der Patienten in den Zulassungsstudien. Daher kann es sein, dass unerwünschte Arzneimittelwirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen Arznei- oder Nahrungsmitteln erst jetzt offensichtlich werden.

 

Darüber hinaus sind die kontrollierten Bedingungen klinischer Prüfungen nur bedingt vergleichbar mit den Alltagssituationen, in denen ein Medikament verwendet wird. Oftmals zeigt sich der therapeutische Stellenwert eines neu eingeführten Arzneimittels erst nach jahrelanger breiter Anwendung im Markt.

 

Laut EU-Regulation 2309/93, Artikel 21 und 22, und EU-Directive 75/319/EEC, Artikel 29c und 29d, müssen pharmazeutische Unternehmer in der EU periodische Berichte erstellen. Das geschieht nach der Neueinführung eines Medikaments zunächst halbjährlich und dann, zwei Jahre nach der Einführung, jährlich mit der Abgabe sogenannter PSUR (Periodic Safety Update Reports). Hier fließen Erkenntnisse aus unterschiedlichen Quellen ein, zum Beispiel aus gemeldeten Neben- oder Wechselwirkungen, aus klinischen Studien der Phase IV oder aus AWB.

 

In Deutschland wird dieses Vorgehen in der 3. Bekanntmachung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lediglich empfohlen. Allerdings kann das BfArM nach § 28 Absatz 3a AMG anordnen, dass nach der Zulassung eines Arzneimittels Erkenntnisse zur Anwendung systematisch gesammelt, dokumentiert und ausgewertet werden. Dies kann zum Beispiel mit einer AWB geschehen. In der Regel werden diese jedoch vom Hersteller initiiert, der an neuen Erkenntnissen über sein Arzneimittel interessiert ist.

 

Das Design einer AWB orientiert sich an der Zielsetzung. So liefern AWB wichtige Erkenntnisse zum betreffenden Arzneimittel, unter anderem über

 

dessen Verwendung sowie über Konsequenzen bei der Abweichung von vorgeschriebenen Einnahme- oder Anwendungsvorschriften (Beispiel: Vergessen der Einnahme oder Anwendung, Off-Label-Use), in diesem Fall ist eine arzneimittelorientierte AWB sinnvoll;

die Langzeitsicherheit, die über die Dauer klinischer Zulassungsstudien hinausgeht, und das Auffinden von seltenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen sowie Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und/oder Nahrungsbestandteilen, hier können auch vergleichende indikationsorientierte Designs sinnvoll sein.

 

Darüber hinaus kann eine AWB begrenzt auch Ergebnisse zur Wirksamkeit eines Arzneimittels liefern, insbesondere in Verbindung mit Aussagen aus klinischen Studien. Auch hier werden häufig vergleichende indikationsorientierte Designs verwendet. Diese Ergebnisse sind zwar im Evidenzgrad nicht mit kontrollierten klinischen Studien vergleichbar, jedoch können sie dem Hersteller Ideen für neue klinische Studienprojekte oder Indikationen liefern. So gab eine AWB mit Acetylsalicylsäure erste Hinweise auf eine Thromboseprophylaxe. Dies war und ist derzeit Gegenstand weiterer klinischer Forschung (3). Zudem ermöglicht eine AWB Einblicke, wie gut ein Arzneimittel von Ärzten, Apothekern und Patienten akzeptiert wird.

 

Gemäß § 67 Absatz 6 AMG muss jede AWB (einschließlich einer Liste der daran beteiligten Ärzte) dem BfArM, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen gemeldet werden. Das ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass eine AWB üblicherweise in der Arztpraxis oder in der Klinik ausgeführt wird und der Gesetzgeber sicherstellen will, dass die Studie nicht zum Generieren neuer Verordnungen missbraucht wird. Daher wird der Kassenärztlichen Bundesvereinigung die Höhe der Entschädigungsleistungen mitgeteilt, um klarzustellen, dass für eine bevorzugte Verordnung kein Anreiz besteht.

 

Da eine AWB mit Handelsware ausgeführt wird, die nicht zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet wird, ist eine Meldung der teilnehmenden Apotheken nicht erforderlich.

 

Auch für die Apotheke geeignet

 

Während die Ausgaben in der Selbstmedikation in der EU stetig zunehmen, steht die Anwendungsforschung bei verschreibungsfreien Arzneimitteln noch am Anfang. Hier nimmt Deutschland eine Vorreiterrolle ein. So dürfen nicht nur Ärzte, sondern auch Apotheker und andere Berufsgruppen eine AWB vornehmen.

 

Durch den Einsatz von standardisierten Erhebungsbögen kann der Apotheker wichtige Daten direkt vom Apothekenkunden strukturiert und auswertbar gewinnen. Aus dessen Angaben zum Einsatz des Arzneimittels lassen sich Aussagen über den bestimmungsgemäßen Gebrauch und die Fähigkeit zur Eigendiagnose ableiten, die für die Bewertung der Sicherheit der Selbstmedikation bedeutend sind.

 

Eine wissenschaftlich korrekt geplante und sorgfältig durchgeführte apothekenbasierte AWB trägt außerdem dazu bei, die Ergebnisse klinischer Prüfungen unter Alltagsbedingungen zu validieren. Das gelingt insbesondere, wenn es möglich ist, die gleichen Zielparameter einzusetzen wie in klinischen Studien.

 

Apothekenbasierte AWB sind ein valides Instrument der Arzneimittelforschung. Sie ergänzen die Ergebnisse klinischer Prüfungen sinnvoll und tragen als pharmakoepidemiologische Beobachtungsstudien zum Erkenntnisgewinn über Gebrauch, Wirksamkeit und Sicherheit der Arzneimittelanwendung in der Selbstmedikation bei.

 

Die Nachteile bestehen, je nach Studiendesign, in der fehlenden Rückfragemöglichkeit. Da die Daten anonymisiert gespeichert werden, kann ein Zusammenhang zwischen unerwünschten Ereignissen und Arzneimittelanwendung nicht oder nicht ausreichend geprüft werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Apotheker den Patienten bei der Dokumentation unterstützen und nur für den Zweck der Wiederzuordnung bei eventuell auftretenden unerwünschten Ereignissen die anonym dokumentierten Ergebnisse wieder dem Patienten zuordnen können, da möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt weiterer Handlungs- oder Klärungsbedarf besteht.

 

Zur Wahrung des Datenschutzes dürfen nur anonymisierte Daten an den pharmazeutischen Unternehmer weitergegeben werden. Es sei denn, der Patient hat seine schriftliche Erklärung auch dafür erteilt.

 

Die Apotheke muss unterscheiden, ob es sich bei der geplanten Studie tatsächlich um eine AWB handelt oder vielmehr um eine Marketingstudie. Beide Studientypen haben ihre Berechtigung, aber zum Sammeln von erweiterten medizinisch-pharmazeutischen Erkenntnissen zu Wirkung und Nebenwirkung eines Arzneimittels eignet sich nur die AWB. Die Marketingstudie ist ein betriebswirtschaftliches Instrument mit dem Ziel, Näheres über die Wünsche der Verwender oder deren Meinung zu erfahren sowie um deren Kontaktdaten zwecks Direktmarketing zu sammeln.

 

Um die Datenweitergabe zu kontrollieren, kann der Apotheker bei einer AWB die Erhebungsbögen an den Patienten nicht nur ausgeben, sondern auch einsammeln und an den Studienleiter senden. In der Praxis ist es notwendig, die Patienten in der Beratungsecke oder im Beratungszimmer zu befragen, um eine Beeinflussung von oder durch andere Apothekenkunden auszuschließen.

 

Patient sollte einwilligen

 

Der Apothekenkunde sollte in die Teilnahme an einer AWB einwilligen. Dies kann mündlich erfolgen und muss im Erhebungsbogen dokumentiert werden. Erhebt man personenbezogene Daten, die der Apotheke ermöglichen, auf den befragten Patienten zurückzuschließen, muss der Patient aus Datenschutzgründen schriftlich einwilligen. Das gilt auch für den Fall, dass der pharmazeutische Hersteller nur anonymisierte Daten erhält. Die Weitergabe von anonymisierten Daten, die eine Rückführung auf die betreffende Person nicht ermöglichen, ist erlaubt und bedarf keiner weiteren Erlaubnis durch den Patienten oder andere Instanzen.

 

Die Daten gelten als anonym, wenn sie lediglich Initialen und Alter beinhalten. Die Weitergabe von Initialen und Geburtsdatum hingegen ist nicht mehr anonym, da Initialen plus Geburtsdatum plus Apotheke in der Regel eine Identifikation des Patienten ermöglichen. Sollte es im Rahmen einer AWB notwendig sein, weiterführende Daten über den Patienten an einen Dritten weiterzugeben, so muss der Patient hierzu schriftlich einwilligen. Die Bedingungen des Datenschutzes sind einzuhalten.

 

Bei den Prüfpräparaten muss es sich um zugelassene Handelsware handeln, die der Kunde in der Apotheke erwirbt. Es darf kein Preisunterschied gemacht werden zwischen Kunden, die an der AWB teilnehmen, und solchen, die dies nicht tun.

 

Da es sich um Handelsware handelt, ist der Abschluss einer speziellen Versicherung, wie sonst bei klinischen Prüfungen notwendig, nicht erforderlich. Für den Versicherungsschutz reichen die bereits vorhandenen Regelungen.

 

Alle im zeitlichen Zusammenhang mit der Anwendung des Prüfpräparats aufgetretenen unerwünschten Ereignisse werden, unabhängig von einem möglichen ursächlichen Zusammenhang dokumentiert. Dies betrifft beispielsweise auch Unfälle. Besteht ein Verdacht oder Hinweis, dass es sich bei dem unerwünschten Ereignis um eine durch das Prüfpräparat verursachte oder mitverursachte unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) handelt, wird diese unbedingt gesondert dokumentiert, bewertet und innerhalb von 24 Stunden mit anonymisierten Patientendaten dem Studienplan entsprechend der verantwortlichen Person mitgeteilt.

 

In der Regel sind AWB Hypothesen generierende Studien, in denen keine formalen Hypothesen getestet werden. Das bedeutet, dass eine AWB keinen Beweis geben kann, ob Arzneimittel x in der Dosierung y wirkt oder nicht. Vielmehr können nur Effekte beobachtet werden, beispielsweise wie Arzneimittel x in der Dosierung y wirkt oder dass eine bestimmte Zahl von Patienten die Dosierung des Beipackzettels nicht einhält. Die gewonnenen Daten werden daher deskriptiv analysiert. Eine statistische Fallzahlplanung ist in der Regel nicht möglich.

 

Eine AWB als Beispiel

 

In den letzten Jahren gab es bereits einige AWB in Apotheken, aber nicht alle wurden veröffentlicht. Es gibt keine öffentlich zugängliche Datenbank, die diese Daten vorhält.

 

Als Beispiel einer apothekenbasierten AWB wird hier eine Untersuchung vorgestellt, die von November 2006 bis einschließlich Februar 2007 in 15 Apotheken unter Leitung der Autorin dieses Titelbeitrags lief. Beobachtet wurde die Anwendung von Hametum® Wund- und Heilsalbe bei älteren Menschen mit Hautproblemen, die etliche Dauermedikamente einnahmen.

 

Insgesamt zeigte sich eine hohe Bereitschaft bei Apothekern und Apothekenkunden, an dieser apothekengestützten AWB teilzunehmen. So nahmen lediglich drei der angesprochenen Apotheken nicht teil, da sie einen hohen Zeitaufwand befürchteten. Insbesondere die Stammkunden der Apotheken zeigten sich erfreut über den Einsatz »ihrer« Apotheke und empfanden die Teilnahme als besondere Zuwendung, bei der sie aktiv an neuen Erkenntnissen mitarbeiten konnten.

 

Die Arbeit lieferte einerseits dem Hersteller wertvolle Erkenntnisse über die routinemäßige Anwendung des Medikaments in der Praxis. Andererseits wurden die Apotheken in ihrer zunehmend bedeutenderen Rolle als medizinisch-pharmazeutische Kompetenzzentren für Apothekenkunden bestärkt und hatten Gelegenheit, sich mit einem besonderen Kundenkreis zu beschäftigen.

 

Medizinischer Hintergrund

 

Bei den meisten älteren Menschen verändert sich die Haut. Sie klagen über eine spannende, trockene und schuppende Haut. Dies wird mit dem Begriff »Altershaut« beschrieben. Ein bestehender Juckreiz wird durch oberflächliche Hornschichteinrisse verstärkt, es kann zum Austrocknungsekzem kommen.

 

Belastend kommt hinzu, dass viele Ältere eine Reihe von Arzneimitteln dauerhaft einnehmen, die Nebenwirkungen an der Haut auslösen oder die Symptome der Altershaut verstärken können. Diese dermalen Auswirkungen sind meist nicht substanzbezogen, sondern betreffen die Arzneistoffgruppe. Daher bringt die Umstellung auf ein anderes Präparat derselben Gruppe keine Besserung.

 

Bei den Arzneistoffen mit dermatologischen Nebenwirkungen stehen aufgrund ihrer Verordnungshäufigkeit Arzneimittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, also Diuretika, Beta-Adrenozeptoren-Blocker (Betablocker), Calciumantagonisten, ACE-Hemmer, AT1-Blocker, Herzglykoside und Antiarrhythmika ganz im Vordergrund (4, 5). Außerdem sind Arzneimittel gegen Stoffwechselstörungen wie orale und parenterale Antidiabetika, Thyreostatika, Lipidsenker und die große Gruppe der Steroide und Antirheumatika zu nennen. Diese Arzneimittel haben ein erhebliches dermatologisches Nebenwirkungspotenzial (Tabelle 2).

Tabelle 2: Arzneimittel, die schwerpunktmäßig im Alter verabreicht werden, und ihre dermalen Nebenwirkungen

Indikation, Arzneistoffe Rötung Juckreiz Schuppung Trockenheit Blutungen Störungen der Wundheilung Infektionsneigung Ausschlag Photosensibilisierung
Betablocker X X X
Diuretika X X X
Glycoside X X X X
Antiarrythmika X X X X X
Lipidsenker X X X X
Corticoide X X X X
Antidiabetika X X X X
NSAR X X X X
Thyreostatika X X X X

Quelle: Fachinformationen

Studienaufbau und Ergebnisse

 

Prüfpräparat der AWB war die konservierungsmittelfreie Wasser-in-Öl-Emulsion Hametum® Wund- und Heilsalbe. Als arzneilich wirksamen Bestandteil enthält dieses zugelassene Arzneimittel ein Destillat aus frischen Hamamelisblättern und -zweigen, dessen Wirksamkeit bereits in zahlreichen Untersuchungen belegt wurde.

 

Die Apotheker sprachen ältere Kunden an, die ein OTC-Arzneimittel gegen ihre trockene Haut wünschten und eine Verordnung über einen der in Tabelle 2 genannten Arzneistoffe vorlegten, und fragten sie, ob sie zusätzlich zum Kauf des OTC-Arzneimittels auch an der AWB teilnehmen wollten. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Arzneimitteleinnahme und Hautsymptomatik musste nicht nachgewiesen, wohl aber der Bedarf einer ärztlichen (Mit-)Behandlung im Vorfeld ausgeräumt werden.

 

Die AWB erfasste einen Selbstbehandlungszeitraum von 14 Tagen. Befragungen zum Hautzustand fanden immer in der Apotheke und zwar zu Beginn und nach 14 Tagen statt. Insgesamt sollten 400 Apothekenkunden teilnehmen. Diese Zahl wurde aufgrund des engen Zeitplans nicht ganz erreicht. Mit den aufgenommenen 314 Teilnehmern konnten jedoch hinreichend Daten generiert werden.

 

Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei nahezu 67 Jahren. Es handelte sich um 223 Frauen (71 Prozent) und 91 Männer (29 Prozent). An erster Stelle der eingenommenen Präparate standen Betablocker, gefolgt von Diuretika, Lipidsenkern und Antidiabetika. Die von den Patienten genannten Symptome entsprachen den typischen Auswirkungen dieser Substanzen auf die Haut (6).

 

Insgesamt verwendete etwa ein Viertel der Studienteilnehmer das Prüfpräparat einmal täglich, knapp die Hälfte zweimal täglich, jeder Siebte dreimal täglich und jeder Zehnte noch häufiger. Nur wenige machten keine Angaben und zwei Teilnehmer brachen die Anwendung ab. Dies stimmt weitestgehend mit der Anwendungshäufigkeit des Prüfpräparats überein, die in zwei Phase-IV-Studien bei Menschen mit Altershaut und Arzneimittel-belasteter Haut beschrieben wurde (7, 8).

 

Die Symptome Trockenheit, Risse, Spannungsgefühl der Haut, Rötung, Pusteln, Krusten, und Juckreiz wurden jeweils auch in ihrem Ausprägungsgrad abgefragt (0 = keine, 4 = maximale Symptome). Das Prüfpräparat beeinflusste alle Einzelsymptome positiv. Mehr als drei Viertel der Teilnehmer gaben an, dass sich ihre Beschwerden verbessert haben. Lediglich bei knapp 1 Prozent (n = 3) trat eine Verschlechterung auf. Apotheker und Apothekenkunden stimmten in der Beurteilung des Behandlungseffekts weitgehend überein.

 

Außerdem bewerteten die Anwender die Veränderung des Gesamtscores aus Hautzustand, Hautjucken, Hautrissen und Hautspannung (0 = keine, 16 = maximale Symptome, da ein Gesamtscore aus den vier Symptomen gebildet wurde). Nach 14-tägiger Anwendung wurde ein durchschnittlicher Rückgang um 3,54 Punkte dokumentiert, was einer deutlichen klinischen Verbesserung entspricht.

 

Betrachtet man die Ergebnisse zu Symptomverbesserung, Wirksamkeit und Bereitschaft zur Wiederverwendung, fällt auf, dass die Kunden unterschiedlich positive Bewertungen trafen. So beschrieben 78 Prozent eine Verbesserung ihrer Symptome und 86 Prozent berichteten von einer Wirksamkeit des Prüfpräparats. Drei Viertel der Verwender würden das Präparat erneut kaufen. Dies lässt auf den Leidensdruck der Patienten schließen, denn die Salbe ist für Erwachsene in der GKV nicht erstattungsfähig.

 

Für die Akzeptanz und somit den Erfolg einer topischen Hautbehandlung sind weitere Faktoren wichtig. Gerade bei Dermatika sind Duft und Hautgefühl nach dem Auftragen entscheidend. Acht von zehn AWB-Teilnehmern hatten ein sehr gutes bis gutes Hautgefühl, sieben von zehn beurteilten den Duft als sehr gut bis gut.

 

Auch die beteiligten Apotheker bestätigten die Wirksamkeit des Prüfpräparats. So gaben 93 Prozent an, die Salbe bei älteren Arzneimittelanwendern mit Hautsymptomen erneut zu empfehlen, während es unabhängig von der Indikation 100 Prozent waren. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Salbe auch bei Kindern und in anderen Indikationen wie Windeldermatitis und Neurodermitis klinisch geprüft ist und Apotheker diese Untersuchungen kennen (9, 10).

 

Erwartungsgemäß war die Verträglichkeit des Dermatikums gut. Jeweils 90 Prozent der Apotheker und der Kunden bewerteten die Verträglichkeit als sehr gut bis gut. Bei einer Kundin trat während der Behandlung ein kleinpusteliger Hautausschlag an der rechten Handinnenfläche auf. Sie berichtete jedoch, die Salbe mit beiden Händen aufgetragen zu haben. Ein kausaler Zusammenhang mit der Anwendung des Präparats wurde ausgeschlossen.

 

Apotheker als Problemlöser

 

Ältere Menschen nehmen besonders häufig Medikamente ein, die zu Nebenwirkungen an der Haut führen können. Dies kann ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Die Auswahl von gut verträglichen Arzneistoffen ist daher ein wichtiger Baustein in der Behandlung älterer Patienten (11, 12). Dies ist auch pharmakoökonomisch wichtig, denn Arzneimittelnebenwirkungen zählen zu den wichtigsten Gründen für Non-Compliance und in der Folge für die Verschlechterung des Allgemeinzustands nach Beginn der Medikation (13- 16).

 

Da viele Menschen zunehmend die Apotheke als erste Anlaufstelle bei Gesundheitsproblemen nutzen, wachsen die Anforderungen an die Apotheker: Sie müssen solche Probleme erkennen, aktiv ansprechen und mit dem Patienten nach Lösungswegen suchen.

 

Die Tatsache, dass in der beschriebenen AWB innerhalb von vier Monaten in 15 Apotheken 314 Apothekenkunden zur Teilnahme bereit waren, zeigt einerseits, wie verbreitet das Problem der trockenen, juckenden und schuppigen Altershaut ist und andererseits, wie schnell es in Apotheken erkannt wird. Die Ergebnisse belegen auch, wie oft die Apotheke helfen kann, Hautsymptome wirksam zu behandeln. Diese apothekengestützte AWB war geeignet, ein häufiges medizinisches Problem sichtbar zu machen und zeigte eine gut verträgliche Behandlungsoption auf.

 

Aufgaben als »Prüfapotheker«

 

Die Anfrage, ob die Apotheke an einer AWB teilnehmen möchte, kann auf unterschiedlichen Wegen kommen:

 

vom Außendienst des pharmazeutischen Unternehmens, das das Produkt vertreibt,

vom Studienleiter, der ein Mitarbeiter des Pharmaunternehmens oder des mit der Durchführung der Studie beauftragten Instituts sein kann,

von einer Krankenkasse oder ähnlichen Institution,

von einer Universität.

 

Bevor eine Teilnahme bejaht oder verneint wird, sollte man sich in der Apotheke verschiedene Fragen stellen:

 

Hat eine ausreichende Zahl von Mitarbeitern die pharmazeutische Kompetenz, mit dem Thema umzugehen, und hat die Apotheke die Patientenklientel, die als Teilnehmer infrage kommt? Beispiel: Nimmt man an einer AWB zur Homöopathie bei Kindern teil, sollten ausreichend viele Mitarbeiter eine Zusatzausbildung in Homöopathie haben. Darüber hinaus sollte die Apotheke ausreichend Kinder als Kunden haben.

Wird das gesamte pharmazeutische Personal mitwirken oder bleibt die Aufgabe an einer einzigen Person hängen, die auch ihre normalen Alltagstätigkeiten erfüllen muss? Denn auch wenn es einen hauptverantwortlichen Ansprechpartner in der Apotheke für die AWB gibt, so sollten ihm dennoch die Kollegen zuarbeiten.

Sind die vertraglichen Bedingungen klar und werden sie vom kompletten Team respektiert? Wer eine AWB ausführen will, muss üblicherweise eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreiben.

Gibt es einen ruhigen Ort für die Befragungen? So ist zum Beispiel die Beratungsecke sehr gut geeignet.

 

Üblicherweise erhält man von der Studienleitung einen Beobachtungsplan, aus dem Ziel und Ablauf sowie die geplante Auswertung der Studie genau ersichtlich sind. Die Wege für die Meldung unerwünschter Arzneimittelwirkungen müssen klar angegeben sein, denn die Meldung hat innerhalb 24 Stunden zu erfolgen. Ebenfalls muss definiert werden, ob und bei welchen Ereignissen die Anwendung zu unterbrechen ist.

 

Auch wenn sie nicht zwingend vorgeschrieben sind, so bieten strukturierte Fragebögen doch die beste Möglichkeit, reproduzierbare Ergebnisse zu bekommen. Diese Fragebögen liefert ebenfalls der Studienleiter. Je nach Studiendesign verzichtet die Apotheke auf das Ausfüllen der Bögen an Ort und Stelle und lässt dies von den Patienten zu Hause erledigen. Von diesem Vorgehen möchte die Autorin Abstand nehmen. Denn trotz sorgfältigster Vorbereitung sind die gestellten Fragen für den ungeübten Leser manchmal nicht verständlich. Dann sind auch die Antworten unbrauchbar. Zum anderen sollte die Apotheke die Gelegenheit nutzen, sich als pharmazeutische Beratungsstelle, die »mehr« tut, zu positionieren. Insofern ist es für beide, Apotheker und Patient, vorteilhaft, wenn die Bögen in der Apotheke ausgefüllt werden.

Literatur

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Ipsos GmbH Germany, Ein Jahr Praxisgebühr: Arzt oder Apotheke ­ für junge Deutsche eine Frage. Ipsos GmbH, public educ. 2007.

BfArM, Das BfArM im Dialog: Die Bedeutung nicht interventioneller Studien für die Bewertung der Wirksamkeit und der Sicherheit von Arzneimitteln. Pressemitteilung 09/06.

VFA, AWBen: Instrument für die Arzneimittelsicherheit. public educ., 2007.

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Die Autorin

Anna Laven studierte Pharmazie in Münster und erhielt 1990 die Approbation. Sie absolvierte die Weiterbildung Gesundheitserziehung, Ernährungsberatung sowie Naturheilmittel und Homöopathie der Apothekerkammer Nordrhein. Seit 2000 leitet sie als Geschäftsführerin die LavenSeminare GmbH. 2007 schloss sie das Studium der Pharmazeutischen Medizin in Essen als Master of Science ab. Die Apotheker kennen Frau Laven als Referentin und Moderatorin bei Kongressen, Messen, Weiterbildungs- und Fortbildungsveranstaltungen, wobei ihr die Verknüpfung von medizinisch-pharmakologischem Fachwissen mit Kommunikation und Praxisrelevanz ein besonderes Anliegen ist. Frau Laven ist Herausgeberin des Buches »Hilfe, ein Kunde«, das 2006 im Govi-Verlag erschienen ist.

 

Anschrift der Verfasserin:

Anna Laven, M. Sc.

Gut Brandenburg

Baumgartsweg 24

52076 Aachen

anna.laven(at)lavenseminare.de

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