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Kopfläuse

Parasiten als Krankheitsüberträger

10.09.2013  15:14 Uhr

Von Hermann Feldmeier / Als lokale Erkrankung der Kopfhaut hatte die Pediculosis capitis in der Forschung lange Zeit nur einen geringen Stellenwert. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Neue Erkenntnissen zufolge können Kopfläuse Krankheitserreger übertragen und sind eventuell für die Ausbreitung der Pest im Mittelalter verantwortlich.

Kopfläuse sind hoch spezialisierte Insekten, die sich nur auf menschlicher Haut vermehren können. Sie können weder fliegen noch springen und ernähren sich ausschließlich von menschlichem Blut. Wie Untersuchungen an mitochondrialer DNA gezeigt haben, gehen die heutigen Kopf- und Kleiderläuse auf eine Urform zurück, die sich vor rund 5,5 Millionen Jahren in zwei Formen trennte [1]. Seitdem haben sich die Parasiten gemeinsam mit unseren Vorfahren weiter entwickelt und an unterschiedliche »Biotope« angepasst, als Homo sapiens im Verlauf von Jahrtausenden seine Körperbehaarung verlor.

Seit Kurzem ist bekannt, dass Kopfläuse Vektoren für wichtige Krankheitserreger sind. Bislang wusste man das nur für Kleiderläuse, weshalb auch ein Befall mit Kleiderläusen meldepflichtig ist. Wissenschaftler der Universität Marseille konnten nachweisen, dass Kopfläuse Rickettsia prowazekii (Erreger des klassischen Fleckfiebers) und Bartonella quintana (Erreger des Fünf-Tage-Fiebers) übertragen können [2]. Beide Bakterienspezies sind in Mitteleuropa sehr selten, kommen aber in Entwicklungsländern häufig vor. Prinzipiell ist es denkbar, dass diese Erreger nach Mitteleuropa eingeschleppt werden und sich hier möglicherweise ausbreiten [3].

 

Erreger der Pest in Läusen

 

Aus infektionsmedizinischer Sicht gleichermaßen interessant ist die Entdeckung, dass Kopfläuse den Erreger der Pest, Yersinia pestis, in ihrem Blut beherbergen und beim Blutsaugen übertragen können [4]. Diese Erkenntnis ermöglicht es erstmals, die Ausbreitung der Pest im Mittelalter plausibel zu erklären. Medizinhistoriker gingen bislang davon aus, dass die Pestbakterien ausschließlich durch den Rattenfloh Xenopsylla cheopis übertragen wurden. Nach dieser Theorie hätten an Pest erkrankte Ratten innerhalb eines Jahrzehnts von Süditalien bis nach Trondheim in Norwegen wandern müssen. Das halten Zoologen für unwahrscheinlich. Ein kontinuierliches Vordringen von Pestbakterien – versteckt als blinde Passagiere in Kopf- und Kleiderläusen – von Dorf zu Dorf ist dagegen wesentlich wahrscheinlicher, denn im Mittelalter waren die Ektoparasiten in allen Altersgruppen und in allen Bevölkerungsgruppen weitverbreitet.

 

Inzidenz nimmt zu

 

Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Zahl der Neuerkrankungen seit den 1990er-Jahren weltweit zugenommen hat [5]. Die wahrscheinliche Ursache ist die Entwicklung von Parasitenpopulationen, die gegen die klassischen – also auf das Nervensystem der Laus toxisch wirkenden – Insektizide resistent geworden sind [5].

 

Kopfläuse sind weltweit verbreitet. Sie kommen bei allen Ethnien und in allen Kulturkreisen vor. In Mitteleuropa liegt die Prävalenz bei Kindern zwischen 2 und 20 Prozent. Allerdings wurden nicht alle Studien an repräsentativen Kinderpopulationen durchgeführt. Deshalb ist es fraglich, ob die Häufigkeit der Pediculosis capitis in Europa tatsächlich um einen Faktor 10 schwankt. Vermutlich sind Unterschiede im Studiendesign und die Anwendung von Diagnosetechniken mit unterschiedlicher Empfindlichkeit für die stark divergierenden Prävalenzen verantwortlich. Obwohl Kopflausbefall eine der häufigsten Infektionserkrankungen bei Kindern ist, sind gute epidemiologische Daten selten. Um die Situation in Deutschland zu ermitteln, wurden systematisch alle Einschulungskinder der Stadt Braunschweig über einen Zeitraum von fünf Jahren untersucht. Es zeigte sich, dass die tatsächliche Zahl der Neuerkrankungen, die Inzidenz, bei 598 pro 10 000 Kinder pro Jahr liegt [6]. Als diagnostische Methode wurde die visuelle Inspektion eingesetzt, eine Methode mit einer relativ geringen Empfindlichkeit. Dementsprechend schätzen die Autoren die tatsächliche Häufigkeit der Pediculosis capitis bei Kindern im Alter von sechs bis zwölf Jahren für Jungen auf 800 für Mädchen auf etwa 2400 pro 10 000 Kinder pro Jahr. Es ist davon auszugehen, dass die Zahlen aus Braunschweig für die gesamte Bundesrepublik gelten.

 

Jahreszeitliche Schwankungen

 

Eine weitere Erkenntnis der Studie in Braunschweig ist, dass die Häufigkeit der Pediculosis capitis erheblich über das Jahr schwankt. Während die Neuerkrankungen von Januar bis Juli in konstanter Häufigkeit auftreten, nimmt die Zahl der Fälle mit dem Ende der Sommerferien um den Faktor 2,5 zu und erreicht um die 37. Kalenderwoche ein Maximum [7]. Die Autoren erklären die drastische Häufigkeitszunahme mit vermehrten Kopf-zu-Kopf-Kontakten zwischen Kindern in der Sommerzeit, insbesondere während der Ferien. Reisen erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Kontakts mit anderen Kindern aus anderen Gegenden, von denen das eine oder andere eine unbehandelte Pediculosis capitis hat. Dass beim Spielen Kopfläuse übertragen wurden, bemerken die Eltern erst nach der Rückkehr aus dem Urlaub. Zurück in der Heimat werden die neu erworbenen Kopfläuse auf Spiel- und Schulkameraden übertragen. Dementsprechend werden in den nächsten Wochen vermehrt Neuerkrankungen diagnostiziert, was die Zunahme der Häufigkeit bis zur 37. Kalenderwoche erklärt.

 

Durch eine höhere Sensibilisierung der Eltern und durch konsequente Behandlungsmaßnahmen geht die Zahl der Neuerkrankungen im Laufe des Herbstes wieder zurück. Für das Apothekenteam bedeutet dies, dass mit dem Ende der Urlaubszeit bis in den Herbst hinein ein hoher Beratungsbedarf zu erwarten ist. /

 

Literatur:

  1. Reed, D.L., et al., Pair of lice lost or parasites regained: the evolutionary history anthropoid primate lice, BMC Biology, 5 (2007), doi: 10.1186/1741-7007-5-7.
  2. Feldmeier, H., Lice as vectors of pathogenic microorganisms. In: Heukelbach, J. (Ed.), Management and Control of Head Lice Infestation, UNIMED-Verlag, Bremen (2010): 132-135.
  3. Feldmeier, H., Pediculosis capitis: New insights into epidemiology, diagnosis and treatment, European Journal of Clinical Microbiology and Infectious Diseases, 31 (2012): 2105-2110.
  4. Piarroux, R., et al., Plague epidemics and lice, Democratic Republic of Congo, Emerging Infectious Diseases, 19 (2013): 505-506.
  5. Falagas, M. E., et al., Worldwide prevalence of head lice, Emerging Infectious Diseases, 14 (2008): 1493-1494.
  6. Jahnke, C., Bauer, E., Feldmeier, H., Pediculosis capitis im Kindesalter: epidemiologische und sozialmedizinische Erkenntnisse einer Reihenuntersuchung von Schulanfängern, Gesundheitswesen, 70 (2008): 667-673 .
  7. Bauer, E., Jahnke, C., and Feldmeier, H., Seasonal fluctuations of head lice infestation in Germany, Parasitol. Res., 104 (2009): 677-681.

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