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Pflanzenforschung

Der Natur auf der Spur

07.09.2007  11:35 Uhr

Pflanzenforschung

Der Natur auf der Spur

Von Daniela Biermann, Graz

 

Überliefertes Wissen nutzen, neue Arzneistoffe finden: Auf dem Kongress der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung zeigten Wissenschaftler aus 75 Nationen, dass sich viel bewegt in der Pharmazeutischen Biologie.

 

»Angesichts neu auftretender Krankheiten und zunehmender Resistenzraten ist es dringend notwendig, neue Arzneistoffe mit weniger Nebenwirkungen zu finden und weiterzuentwickeln«, mit diesem Aufruf eröffnete Professor Dr. Chulabhorn Mahidol, Prinzessin von Thailand und Präsidentin des Chulabhorn Research Institute, den 55. Kongress der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung in Graz. »Die Naturstoffforschung ist essenziell für die Entdeckung neuer Leitstrukturen aufgrund der unglaublichen Vielfalt und Komplexität der chemischen Strukturen, die lebende Organismen hervorbringen.« Im Kampf gegen Krebs, Viren und andere Bedrohungen bietet die Natur ein großes, unerforschtes Arsenal an Wirkstoffen. Vor allem Pflanzen sind eine einzigartige und erneuerbare Quelle für die Entdeckung potenzieller neuer Arzneistoffe. So leiten sich insgesamt mehr als 50 Prozent der westlichen Arzneimittel von Derivaten pflanzlichen Ursprungs ab. Bei den Mitteln gegen Krebs sind es 60 Prozent und sogar 75 Prozent bei den antimikrobiellen Medikamente. Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung sind abhängig von Pflanzen als Arzneitherapie. Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen, vor allem gegen Krebs, untersuchen Chulabhorn und die Wissenschaftler am Chulabhorn Research Institute tropische Pflanzen aus ganz Thailand.

 

Vielversprechende Kandidaten sind die Canthine und Ailantinole G und A aus Eurycoma harmandiana, eine Pflanze, die wie Quassia zu den Bittereschengewächsen (Simaroubaceae) gehört. Aus der Palmenart Calamus acanthophyllus (Arecaceae) isolierten die Forscher Acanthophylloside. Diese Saponine erwiesen sich als hochwirksam in verschiedenen Krebszelllinien. In Bauhinia purpurea (Fabaceae) fanden sie neue Komponenten mit zytotoxischen Eigenschaften. Croton oblongifolius (Euphorbiaceae) enthält Diterpenoide, die die Wirksamkeit im volksmedizinischen Gebrauch gegen Magengeschwüre und -krebs erklären könnten.

 

Das traditionelle Wissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, dürfe nicht verloren gehen, schloss die königliche Hoheit ihren Vortrag. Sie rief dazu auf, nicht nur von der Natur zu profitieren, sondern auch Verantwortung zu übernehmen und den Regenwald mit seiner Artenvielfalt zu schützen.

 

Auch Dr. Paul Alan Cox vom Institut für Ethnomedizin in Wyoming, USA, setzt auf neue Arzneistoffe aus der Natur. Interessante Moleküle stammen meist von Organismen, die ihren Standort nicht wechseln können, sogenannte sessile Organismen. Da sie vor Feinden nicht fliehen können, entwickeln sie chemische Abwehrstrategien. Als Beispiel nannte er Palytoxin, ein Peptid aus der Weichkoralle Palythoa toxica, das nach Botulinumtoxin das zweitstärkste Gift auf der Welt sei.

 

Cox erklärte, mit welchen Ansätzen nach neuen Substanzen in der Natur gesucht werden kann. So entdeckte das National Cancer Institute der USA durch wahlloses Screening den Mitosehemmer Paclitaxel. Beim genetischen Screening wie der »Global Ocean Sampling Expedition« nehmen Forscher Meerwasserproben und sequenzieren die Genome der enthaltenden Mikroorganismen. Gezielter ist die Strategie des phylogenetischen Screenings: Hier untersuchen Forscher Pflanzenfamilien, bei denen in einer Art bereits eine wirksame Komponente gefunden wurde. Zum Beispiel besitzen Cyclotide (ringförmige Proteine) aus Violaceaen und Rubiaceaen viel versprechende Eigenschaften wie antibakterielle, antivirale und zytotoxische Wirkungen. Andere Forscher entdeckten bei ökologischen Beobachtungen molluskizide Substanzen, die manchen Pflanzen zur Fraßabwehr von Schnecken dienen.

 

Von Naturvölkern lernen

 

Ethnobotaniker machen sich auf der Suche nach neuen Arzneistoffen überliefertes Wissen von Naturvölkern zunutze. Sie reden mit den einheimischen Heilern und bereiten die Pflanzen auf dieselbe Art zu. Anschließend fraktionieren sie die Proben, untersuchen sie mittels Bioassays und versuchen anschließend, die Struktur des Moleküls zu identifizieren. Als Beispiel für eine so entdeckte Substanz nannte Cox Prostratin, ein Phorbolester isoliert aus samoanischen Bäumen. Die Einwohner von Samoa setzen es gegen virale Hepatitis ein. In In-vitro-Tests zeigte es sich wirksam gegen HI-Viren Typ 1 und befindet sich nun in den USA in klinischen Studien. Cox mahnte jedoch, sich das geistige Eigentum der Naturvölker nicht einfach anzueignen, sondern mit ihnen zusammenzuarbeiten und sie am Erfolg zu beteiligen. So traf die AIDS Research Alliance für Prostratin eine Vereinbarung mit der Regierung von Samoa, nach der 20 Prozent des Profits der Vermarktung von Prostratin zurückfließen soll an den Inselstaat im Pazifik. Zudem dürfe auch das gewonnene Wissen den Ursprungsländern nicht vorenthalten werden. Ferner sei es sinnvoll, den armen Staaten Saatgut zur Verfügung zu stellen, um ihre Abhängigkeit zu reduzieren. Moderne Medikamente werden für Entwicklungsländer zu teuer bleiben. Daher bietet die traditionelle Medizin ihnen eine lebenswichtige, preiswerte Alternative. Sie müsse in die moderne Medizin integriert werden, wie es in China erfolgreich gelungen sei.

 

Chips und Qi

 

»Die Phytotherapie in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) ist weltweit die am häufigsten praktizierte Form der Pflanzenheilkunde«, stellte Professor Dr. Nikolaus Sucher von der University of Western Sydney, Australien, fest. Sie gehört zur primären Gesundheitsversorgung und bildet seit mehr als 5000 Jahren die dritte Säule der TCM neben Akupunktur und Moxatherapie . Bei letztgenannter soll durch gezielte Wärmeeinwirkung mithilfe von abgebrannten Kräutern das Qi, die Lebensenergie, wieder zum Fließen gebracht werden.

 

Ein Problem der Phytotherapie in der TCM stellen allerdings die Variationen im Gehalt der pharmakologisch aktiven Inhaltsstoffe und Verunreinigungen mit ähnlichen, aber giftigen Pflanzen dar. Als Beispiel nannte er die verbreitete Mischung »Tianma Gouteng Yin«, die elf Komponenten enthält. Die verwendeten Arten sind nicht immer genau charakterisiert. Sie lassen sich jedoch durch ihre DNA authentifizieren. Zu diesem Zweck entwickelten Sucher und sein Team DNA Microarrays. Sucher beschrieb sie als »Labor auf einem Chip«: Auf einem Silikonchip werden Teile der DNA einer Pflanze, deren Artzugehörigkeit bestätigt ist, gebunden. Zu den präparierten Chips wird die aufbereitete DNA der zu untersuchenden Pflanze gegeben. Diese lagert sich nun an die DNA auf dem Chip an und wird mittels Polymerasekettenreaktion vervielfältigt. Anhand des charakteristischen Bandenmusters kann die Artzugehörigkeit bestätigt oder ausgeschlossen werden. Diese DNA-basierte Authentifizierung könne die morphologischen und chemischen Methoden ergänzen.

 

Für die Qualitätskontrolle machte sich auch Professor Dr. Kelvin Chan, University of Wolverhampton, Großbritannien, stark. Das chinesische Arzneibuch enthält in seinem zweiten Band 535 Drogen, davon 460 Pflanzen. Er forderte, die Monografien für TCM-Drogen weltweit zu harmonisieren. Um die Identität und Qualität des Pflanzenmaterials zu gewähren, soll in China seit 2002 nach der Good Agricultural Practise angebaut werden. In der Wirkstoffforschung sollten nicht nur isolierte Komponenten untersucht werden, da viele Pflanzen in der TCM als Mischung eingesetzt werden. Er forderte die Wissenschaftler auf: »Seien Sie offen für die Prinzipien der TCM und suchen Sie nach wissenschaftlichen Beweisen!«

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