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Marketing und Gesundheit

Dufte Geschäfte

04.09.2017  15:47 Uhr

Von Jennifer Evans / Vor genau 70 Jahren kam das berühmte Damenparfum »Miss Dior« auf den Markt. Seitdem hat sich in der Duftindustrie viel getan. Heute lassen sich sogar viele Firmen ihr persönliches Odeur kreieren. Duftmarketing heißt die Geheim­waffe, die das Geschäft ankurbeln soll. Weniger begeistert als die Unternehmer sind die Allergiker über den Trend. Die Wissenschaft plädiert für den Mittelweg.

Ein wenig Bergamotte und Rosa Pfeffer, dazu ein Hauch von Guajakholz und Cashmeran, abgerundet mit einem Touch Sandel- und Zedernholz – so riecht seit Neuestem ein großes deutsches Telekommunikationsunternehmen. Designt hat das Riecherlebnis die Firma Scentcommunication aus Köln. Längst geht die Herstellung von Duftstoffen weit über die Parfümbranche hinaus (laut Statista 2017 weltweites Marktvolumen: 35 Milliarden Euro).

 

Eine Zedernholznote etwa erzeugt ein Gefühl von Behaglichkeit, Pfeffer wirkt aktivierend und steigert die Aufmerksamkeit, so der Geschäftsführer von Scentcommunication, Robert Müller-Grünow, im Gespräch mit der PZ. Er mache mithilfe von Duftstoffen die Werte einer Marke über die Nase erlebbar, in diesem Fall sei es das Gefühl von Nähe und Aktivität durch das Verbinden von Menschen.

 

Vom Onlinehandel abheben

 

Seit gut 20 Jahren ist Müller-Grünow im Duftgeschäft. »Doch erst in den vergangenen acht bis neun Jahren ist Duftmarketing auch in Deutschland ein Thema.« In den USA, Asien und anderen europäischen Ländern wie Großbritannien und Spanien sei das Bewusstsein für das etwas andere Kommunikationsinstrument schon lange etabliert, 90 Prozent seiner Kunden kamen bis vor wenigen Jahren aus dem Ausland. »Heute sind 60 Prozent aus Deutschland«, betont Müller-Grünow. Dass die persönliche Geruchsmarke für Firmen auch hierzulande immer bedeutender wird, führt er darauf zurück, dass viele Unternehmer auf der Suche nach neuen Gestaltungsmitteln für ihre Ware sind – beispielsweise, um sich vom Onlinehandel abzuheben. Auch Offizinen folgen zunehmend ihrer Nase, wenn es ums Geschäft geht. Nach Angaben von Duftvermarktern wie der hessischen Firma Lasard oder dem baden-württembergischen Onlinehandel Stubenbord geben Apotheken als Grund für den Einsatz von Raumduft oft an, dass der verschärfte Wettbewerb es unternehmerisch notwendig macht, sich von der Konkurrenz abzuheben.

 

Müller-Grünow nutzt für seine Duftmischungen natürliche und künstliche Stoffe gleichermaßen. Eine individuelle Kreation gibt es ab 8000 Euro und sie benötigt etwa drei bis neun Monate Entwicklungszeit. »Wichtig bei unseren Produkten ist, dass keine Mikrotropfen des Dufts mehr in der Luft messbar sind, die auf die Haut oder in die Atemwege gelangen können.« Somit seien seine Riechstoffe »sehr subtil und schonend und nicht stärker als die anderer Textilprodukte in einem Raum.«

 

Wohlfühlen mit Vanille

 

Etwa eine Billion Düfte könne der menschliche Geruchssinn nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen voneinander unterscheiden, schätzt Professor Dr. Dr. Dr. Hanns Hatt, Zellphysiologe von der Ruhr-Universität Bochum. Werden die Gerüche im Gehirn erkannt, können sie positive und negative Stimmungen oder Erinnerungen hervorrufen. In Kombination mit einem Duft bleibe ein Bild rund zehnmal länger im Gedächtnis gespeichert, so Hatt im Interview mit der PZ. »Je stärker außerdem bei einem Duft-Erlebnis die begleitende Emotion ist, umso besser funktioniert es.«

 

Diesen Gefühlsverstärker machen sich viele Unternehmen zunutze: Bäckereien locken mit Vanille-Duft, einer Küchenausstellung wird mit Dill-Öl Authentizität eingehaucht, Reisebüros ködern mit Sonnenmilch-Aroma, in Buchläden hängt eine Dunstglocke von Sandelholz und Tankstellen verführen mit Cappuccino-Wolken. Auch Flughäfen versprühen Wohlfühl-Atmosphäre mit Pfefferminz und Rosmarin, Tiefgaragen und Zahnärzte verlieren ihren Schrecken mit Rosen- oder Orangen-Öl und Kinos passen den Luftschleier sogar dem Werbe-Spot an.

 

Allergikern macht diese Entwicklung zu schaffen. Für sie sind viele Gerüche einfach zum Verduften. Denn sie reagieren mit Kopfschmerz, Beklemmungsgefühlen, Hustenreiz, Kreislaufproblemen oder gar mit lebensbedrohlichen Asthmaanfällen auf die Duftwolken. Insgesamt 3000 Einzelduftstoffe (meist synthetischen Ursprungs) sind derzeit im Einsatz. Tun können sensible Menschen aber nicht viel, um den leichtflüchtigen Substanzen im Alltag zu entkommen, manche Kompositionen wirken sogar noch Tage lang nach. Als Moleküle docken die Substanzen beim Einatmen im Nasen-Rachen-Bereich an die Riechrezeptoren an. Dort lösen sie Nervenimpulse aus, die als Informationen an das limbische System im Gehirn weitergeleitet werden.

 

Frische Luft statt Duft

 

Während es bei Kosmetika und Waschmitteln laut Kosmetikverordnung oder Detergenzienverordnung eine Deklarationspflicht der Inhaltsstoffe gibt, sind bei anderen Produkten, die beispielsweise zur Raumbeduftung dienen, oder auch bei Raumsprays, Textilien, Spielzeugen, Kerzen oder Farben keine speziellen Vorgaben vorgesehen, sagt Dr. Silvia Pleschka, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB), im Gespräch mit der PZ. Nach Schätzungen des Informationsverbunds der Dermatologischen Kliniken sind etwa drei Prozent der europäischen Bevölkerung von Kontaktallergien auf Duftstoffe betroffen. Wie viele Personen allerdings auf lufttragende Stoffe reagieren, ist Pleschka zufolge nicht systematisch erfasst. Fest stehe aber, dass 26 Duftstoffe existierten, die als Allergieauslöser bekannt sind, darunter etwa Eichenmoos, Zimtaldehyd und Narzissenextrakt. Ausschließen möchte die Chemikerin auch nicht, dass gesunde Menschen aufgrund duftbelasteter Raumluft eine Allergie entwickeln, weil die Reizung der Atemwege gesundheitsschädigende Effekte begünstigen kann.

 

Der DAAB beobachtet die zunehmende Geruchsbelastung hierzulande mit großer Sorge. Hinzu kommt, dass »vielfach Duftstoffe auch zur Überdeckung unangenehmer Gerüche zum Beispiel in Verkehrsmitteln, Pflegeheimen oder Krankenhäusern eingesetzt werden«, so Pleschka. Ebenso kritisch bewertet der DAAB Werbeversprechen gewisser Duftstoffe, die konzentrationsfördernd auf Schüler, Studenten oder Büroangestellte wirken sollen. Statistisch gesehen gebe es nämlich in jeder Klasse durchschnittlich zwei an Asthma erkrankte Kinder. Pleschka: »Besonders Orangen- und Zitrusdüften werden anregende und konzentrationsfördernde Effekte zugeschrieben.« Lavendelnoten sowie Bananen- oder Aprikosenaromen sollen nach DAAB-Angaben hingegen entspannend wirken. Über die Langzeiteffekte beim Einsatz in Schulen sei nichts bekannt. Pleschka rät daher zum Lüften statt zum Beduften.

 

Beim Umsatz die Nase vorn

Doch wie groß ist nun die Macht der Düfte? Bereits vor einigen Jahren gab es Untersuchungen, dass Kunden in angenehm riechenden Verkaufsräumen deutlich länger verweilen. Das erhöhe die Kaufbereitschaft, davon ist auch Hatt überzeugt. Die Umsätze sind laut dieser Analysen um bis zu sechs Prozent gestiegen. Einen weltweiten Kauf- oder Gute-Laune-Duft gibt es Hatt zufolge allerdings nicht. Assoziationen mit Wohlgerüchen seien kulturell geprägt. In Deutschland würden vor allem blumige oder auch fruchtige Noten als positiv empfunden.

 

Kritikern, die hinter Duft-Marketing eine gezielte Manipulation vermuten, begegnet der Wissenschaftler gelassen. Schließlich würden wir uns fast alle täglich beduften, damit die Mitmenschen uns »gut riechen« könnten. Außerdem gebe es keinen duftfreien Raum in unserer Welt. »Jeder kann die Gerüche wahrnehmen, seine Aufmerksamkeit darauf richten und beobachten, welche Emotion diese auslösen. Wir sollten nur mit offener Nase und nicht nur offenen Augen durch die Welt gehen. Ob man dann diesen Gefühlen nachgeht, bleibt einem noch immer selbst überlassen«, so Hatt.

 

Zu viel kann schaden

 

Der Forscher betont auch, dass ihm »kein wissenschaftlicher Beleg dafür bekannt ist, dass eine Allergie allein durch das Einatmen von Duftstoffen in niederen Konzentrationen entsteht.« Da die Nase zu den empfindlichsten Sinnesorganen gehört, solle man Düfte aber nie zu intensiv verwenden. Das reduziere selbst bei Allergikern die Wahrscheinlichkeit, darauf zu reagieren. Hatt sieht daher keinen Grund dafür, dass die Beduftung öffentlicher Gebäude grundsätzlich verboten werden sollte, wie es der DAAB unter anderem für Kliniken, Kindergärten, Schulen, Behörden und öffentliche Verkehrsmittel fordert. Dennoch sollten Allergiker nach Hatts Ansicht zumindest informiert werden, um die Möglichkeit zu haben, diese »Duft-Paradiese« zu meiden. /

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