Staublungen beim Pyramidenbau |
03.09.2007 15:09 Uhr |
Staublungen beim Pyramidenbau
Von Ulrike Abel-Wanek
Die Arbeitsmedizin hat eine lange Tradition. Schon altägyptische Wandmalereien und Hieroglyphen zeugen vom gefährlichen Alltag auf den Riesenbaustellen der Pyramiden und Paläste. Mumienfunde lassen Rückschlüsse auf Lungenerkrankungen durch das Einatmen verpesteter Luft zu.
Die großen Monumente und Meisterwerke, die heute den Ruf der ägyptischen Hochkultur ausmachen, wurden Handwerkern und Künstlern bereits vor über 4000 Jahren zum Verhängnis. Starben sie nicht unter sengender Sonne an Entkräftung im Steinbruch, schädigte nicht selten die enorme Staubentwicklung bei der Bearbeitung der Steine ihre Lungen irreversibel. Aus dieser frühen Zeit stammen auch die ersten genauen Beschreibungen der sogenannten »Bleikoliken«, heftige Leibschmerzen und Krämpfe, die bei Arbeiten in der Metallgewinnung auftraten.
Dass sich Arbeit auf Gesundheit, Befinden und Leistungsfähigkeit des Menschen auswirkt, belegen Publikationen frühester Kulturepochen. Im altägyptischen »Papyrus Ebers« (1500 v. Chr.) findet nicht nur die Steinhauerlunge Erwähnung, auch die »Unruhe« beziehungsweise der »Stress« gelten als Mitverursacher für Krankheiten. Die nach ihrem Erstbesitzer Georg Ebers benannte Papyrusrolle von heute knapp 19 Meter Länge mit circa 880 Einzeldiagnosen und -rezepten zählt zu den größten Handschriften aus dem pharaonischen Ägypten und zu den bedeutsamsten medizinischen Dokumenten weltweit.
Hippokrates (460 bis 377 v. Chr.) beschreibt berufsbezogene Krankheiten von Bergarbeitern, aber auch von Gärtnern und Lastenträgern und fordert sinngemäß eine Berufsanamnese bei der Untersuchung von Kranken. Der römische Schriftsteller Plinius empfiehlt, spezielle Gesichtsmasken beispielsweise beim Schleifen und Polieren von Metallen zu tragen, um Lungenkrankheiten zu verhindern. Zu dieser Zeit waren neben der Bleivergiftung vor allem die Gefahren des Quecksilbers schon bekannt. Die Herstellung von Schwefelhölzern stand bereits in Zusammenhang mit dem Auftreten schmerzhafter Augenentzündungen, der Schwefelkonjunktivitis.
Während des Mittelalters schienen fast alle bis dahin bekannten arbeitsmedizinischen Kenntnisse aus der Antike verloren. Erst im Europa des 15. und 16. Jahrhundert befassten sich Theophrast Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus (1494 bis 1541), und Georg Bauer, besser bekannt als Agricola (1494 bis 1555), erneut mit dem Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit. Beide untersuchten Bergleute auf ihre Schwermetallvergiftungen hin. Auch bei Arbeitern in der Metall-, Glas- und Spiegelverarbeitung, die mit Quecksilber und Blei in Berührung kamen, zeigten sich schwere toxische Erscheinungen.
In dieser Epoche wächst das Bewusstsein für berufsbedingte Gefahren und Erkrankungen des Menschen. Sogar die Seeleute geraten ins Visier. Auf großen englischen Schiffen wird die Anwesenheit von Ärzten erstmals Pflicht, und ein chirurgisches Lehrbuch beschäftigt sich nur mit der Berufsgruppe der Schiffsbesatzung.
Als eigentlicher Begründer der Arbeitsmedizin gilt der italienische Arzt Bernardino Ramazzini. Er war der Erste, der in genau dokumentierten Studien feststellte, dass sich Krankheiten häufig bestimmten Berufsgruppen zuordnen ließen. 1700 erschien seine systematische Abhandlung »De morbis artificum diatriba« (Abhandlung von den Krankheiten der Künstler und Handwerker). Hier beschreibt er die Krankheiten der »schmutzigen Handwerker«, unter anderen Rotgerber, Käsemacher, Seifensieder, Totengräber, Hebammen, der »staubigen Handwerker« wie Bäcker, Müller, Tabakbereiter, der »stehenden, sitzenden und herumgehenden Künstler und Handwerke« und der »Wasserarbeiter«, zum Beispiel Baader, Fischer, Schiffer. Neu ist die Untersuchung konkreter Arbeitsbedingungen in Betrieben. Ramazzini stellt als typische Beschwerden der »stehenden Berufe« wie Zimmerleute und Maurer Krampfadern, schwache Mägen, Müdigkeit und Mattheit fest.
Zur Prophylaxe beziehungsweise Heilung empfiehlt er Sitzpausen, Bäder und Umschläge. Wie seine antiken Vorgänger erkennt er die fatalen Folgen von Quecksilber und Blei. Viele Maler litten an Schwermetallvergiftungen. Schuld waren die stark kontaminierten Farben, beispielsweise Blei im Weiß oder Kupfer im Grün. Aus Unwissenheit leckten manche Maler sogar ihre Pinsel ab, was ihren baldigen Tod bedeutete. Der Italiener erkannte die Bedeutung von Lichteinwirkungen für Sehschäden, den inhalationsbedingten Alkoholismus der Schnapsbrenner, zahlreiche Asthmaformen bei den »staubigen Berufen«, aber auch ganz »moderne« Schäden durch verspannte Haltung und einseitige Belastung. Sepsis und Geschlechtskrankheiten gefährdeten Hebammen und Totengräber. Zu den venezianischen Kupferschmieden, die den ganzen Tag hämmerten, schreibt er: »Durch diesen dauernden Lärm werden natürlich vor allem die Ohren und der ganze Kopf geschädigt, sodass die Handwerker bei einer solchen Beschäftigung schwerhörig und im Alter völlig taub werden.« Er empfiehlt das Zustopfen der Ohren. Ramazzini gilt als Wegbereiter der Gewerbehygiene und der Präventions- und Sozialmedizin.
Ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Arbeitsmedizin war die Entdeckung von Sir Percival Pott. 1775 beobachtete der Londoner Chirurg (1713 bis 1788) bei Schornsteinfegern auffallend häufig entzündete kleine Stellen am Hodensack. Obwohl es nahegelegen hätte, an eine Geschlechtskrankheit zu denken, damals weit verbreitet in der britischen Hauptstadt, deutete er die Symptome richtig als eine Form von Hautkrebs, die durch den langjährigen Kontakt mit Ruß und Teer verursacht worden war. Zum ersten Mal hatte jemand aufgezeigt, dass Krebs durch äußere Einwirkung bedingt sein kann. Der sogenannte Kaminfegerkrebs gilt als entschädigungspflichtige Berufskrankheit.
In Deutschland brachte die voranschreitende Industrialisierung im 19. Jahrhundert viele berufsbedingte Krankheiten mit sich. Die technischen Entwicklungen vereinfachten viele Arbeiten, die Menschen befanden sich jedoch in einer bedrückenden sozialen Lage. Es war die Zeit der Arbeiterbewegung, die sich in den 1860er-Jahren in Gewerkschaften und Parteien zu organisieren begann. Kinderarbeit, deren Abschaffung schon Ramazzini forderte, war weiterhin europaweit verbreitet. 1839 wurde in Preußen das erste »Arbeitsschutzgesetzgesetz« erlassen, das auch die Kinderarbeit regelte. Alarm geschlagen hatten zuvor Musterungsärzte, die den desolaten gesundheitlichen Zustand von Rekruten beklagten, der eindeutig auf Schädigungen infolge von Kinderarbeit unter Tage und in den Fabriken zurückzuführen war. Unter 9-Jährige durften nun nicht mehr arbeiten, bis zum 15. Lebensjahr waren maximal 10 Stunden täglich erlaubt, Nachtarbeit wurde komplett verboten.
Weitere Gesetze folgten. Bismarck führte 1883 die Krankenversicherung ein und setzte 1884 das erste »Unfallversicherungsgesetz« in Kraft, aus dem sich später die Berufsgenossenschaften bildeten. 1889 folgte die Invaliden- und Altersversicherung. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Arbeitsphysiologie wird 1914 in Berlin gegründet, 1924 folgt die Errichtung der ersten arbeitsmedizinischen Klinik. 1929 wurde auf einer internationalen Konferenz in Lyon beschlossen, die Arbeitsmedizin als eigenständiges medizinisches Gebiet zu etablieren.
Seit Beginn der industriellen Revolution befassten sich immer mehr Ärzte mit der Erforschung zunächst der berufsbedingten Krankheiten und zunehmend auch der Wirkung von Arbeit auf den Menschen überhaupt. Dabei erfährt diese medizinische Disziplin bis heute einen ständigen Wandel. Körperliche Belastungen am Arbeitsplatz treten zurück, psychomentale wie beispielsweise »Mobbing«, »Stress« oder »Burnout« nehmen ebenso wie umweltmedizinische Fragestellungen zu und stellen die Arbeitsmedizin vor neue Herausforderungen.