Therapieziel ist die Quaddelfreiheit |
07.08.2018 13:10 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler, München / Eine chronische Urtikaria kann die Patienten erheblich belasten und gefährden. Jedoch wird sie oft gar nicht erkannt und nicht ausreichend behandelt. Mittel der Wahl sind H1-Antihistaminika, bei unzureichendem Ansprechen in Kombination mit Omalizumab.
Rote, geschwollene, juckende und teilweise schmerzhafte Quaddeln der Haut: Das sind typische Anzeichen der Nesselsucht (Urtikaria). Sie allein sind quälend für die Patienten und schränken sie in Schule, Beruf und Freizeit ein.
Quaddeln wie nach Brennnesselkontakt sind typisch für Urtikaria.
Foto: Fotolia/Jürgen Fälchle
Doch viele Urtikaria-Patienten leiden zusätzlich an Angioödemen, also tiefen Schwellungen der Haut, die auch Gesicht, Hals und Schleimhäute betreffen und lebensbedrohlich sein können. »Viele Patienten haben große Angst davor, an einem Angioödem zu ersticken«, berichtete Professor Dr. Uwe Schwichtenberg, Bremen, bei einem von Novartis unterstützten Symposium bei der Fortbildungswoche für Praktische Dermatologie Ende Juli in München. Der Arzt stellte Details der neuen Leitlinie vor (DOI: 10.1111/all.13397; DOI.org/10.1111/ddg.13531_g).
Spontan oder induzierbar
Definiert ist die chronische Urtikaria als das Auftreten von juckenden Quaddeln, Angioödemen oder beidem für länger als sechs Wochen. Man unterscheidet zwischen der chronischen spontanen (CSU) und der chronischen induzierbaren Urtikaria (CIndU). Bei der erstgenannten Form treten die Beschwerden spontan ohne spezifischen Auslöser auf. Kennt der Patient solche Auslöser, zum Beispiel Licht, Druck, Reiben der Haut, Kälte oder Wärme, handelt es sich um eine induzierbare Form.
»Drei Viertel der Patienten haben neben der chronisch induzierten auch eine spontane Urtikaria«, berichtete der Dermatologe. Nach seiner Erfahrung werden 70 bis 80 Prozent der Patienten nicht ausreichend behandelt. »Das Ziel ist nicht die Linderung der Nesselsucht, sondern die Quaddelfreiheit.«
Die Meidung von Auslösern führt laut Leitlinie nur selten zur Beschwerdefreiheit, sodass fast alle Patienten eine symptomatische Therapie benötigen. Dafür gibt es nun ein neues Stufenschema.
Therapie der ersten Wahl sind nach wie vor H1-Antihistaminika der zweiten Generation wie Cetirizin oder Loratadin in zugelassener Dosierung. Antihistaminika der ersten Generation sollten aufgrund sedierender Nebeneffekte nicht mehr eingesetzt werden. Wichtig: Der Patient muss die Antihistaminika dauerhaft, das heißt täglich und nicht erst beim Auftreten von Symptomen einnehmen.
Kann die kontinuierliche Einnahme über zwei bis vier Wochen die Beschwerden nicht ausreichend kontrollieren, empfiehlt die Leitlinie eine Dosiserhöhung bis auf das Vierfache, da dies bei ähnlichem Nebenwirkungsprofil deutlich wirksamer sei. »Dies ist jedoch ein Off-label-Einsatz«, gab Schwichtenberg zu bedenken.
Bessern sich die Beschwerden innerhalb von zwei bis vier Wochen nicht ausreichend, sollte zusätzlich Omalizumab gegeben werden. Der rekombinante humanisierte Anti-IgE-Antikörper wird in der Dosis von 300 mg alle vier Wochen subkutan injiziert. Die Zulassung umfasst allerdings nur Patienten mit CSU ab zwölf Jahren. »Außerdem ist Omalizumab nur als Zusatztherapie zugelassen«, betonte der Arzt. Man müsse dem Patienten erklären, dass er die oralen Antihistaminika nicht absetzen darf. Bislang seien bei Patienten mit CSU keine anaphylaktischen Reaktionen beschrieben worden.
Kurzfristig Corticoide
Wenn nach einer sechsmonatigen Omalizumab-Therapie kein Erfolg eintritt, wird off label Ciclosporin empfohlen. Bei Exazerbationen können kurzfristig Glucocorticoide eingesetzt werden.
Die meisten Patienten sprechen jedoch bereits vor der zweiten Omalizumab-Gabe und meist vollständig an, heißt es in der Leitlinie. Omalizumab sei auch bei CIndU-Patienten wirksam und sicher, allerdings nicht zugelassen, zumindest nicht für Patienten, die ausschließlich an einer induzierbaren Form und nicht auch an einer spontanen Urtikaria erkrankt sind.
Ist der Patient über sechs Monate beschwerdefrei, sei eine Therapiepause möglich, berichtete Schwichtenberg. Allerdings erleide etwa die Hälfte der Patienten einen Rückfall. »Dann ist eine Wiederaufnahme der Therapie ohne Wirkverlust möglich.« /