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Riechstörungen

Wenn die Nase irrt

28.07.2008  13:50 Uhr

Riechstörungen

Wenn die Nase irrt

Von Franziska Krone und Thomas Hummel

 

Zwar bringen Riechstörungen eine weitaus geringere Behinderung mit sich als Erblindungen oder Gehörlosigkeit. Doch beeinträchtigen sie die Lebensqualität in hohem Maße.

 

Nicht nur das: Patienten mit Riechstörungen oder gar dem völligen Verlust des Riechvermögens können zum Beispiel durch verdorbene Speisen oder ausströmendes Gas in Gefahr kommen.

 

Viel häufiger als angenommen sind gerade ältere Leute von Riechstörungen betroffen, wobei eine große Zahl der An- und Hyposmiker entweder ihre Riechstörung gar nicht realisiert oder sich offensichtlich zu wenig beeinträchtigt fühlt, um einen Arzt zu konsultieren.

 

Vermutet wird, dass circa fünf Prozent der Bevölkerung an einer Anosmie leiden, der keine chronisch nasale Erkrankung zugrunde liegt. Bereits bei den 45- bis 65-Jährigen ist die Anosmie erstaunlich weit verbreitet. Doch sind die Über-65-Jährigen am häufigsten betroffen. In der Gruppe der Über-80-Jährigen ist eine mehr als 50-prozentige Inzidenz gegeben. Circa 20 Prozent der Bevölkerung weisen leicht- oder mittelgradige Riechdefizite auf, leiden also an einer Hyposmie.

 

Riechen ist Geschmackssache

 

Neben der visuellen, auditiven und haptischen Wahrnehmung, also der Wahrnehmung durch Sehen, Hören und Tasten, werden im allgemeinen Sprachgebrauch die gustatorische und die olfaktorische Wahrnehmung, also Wahrnehmung durch Schmecken und Riechen unterschieden. Bekannt ist, dass Geruch und Geschmack interagieren und sich gegenseitig beeinflussen. Bekannt ist zudem, dass zur olfaktorischen Wahrnehmung auch das nasal-trigeminale Sensor-System beiträgt.

 

Das trigeminale, also über den Trigeminus-Nerven vermittelte System der Sinnesreiz-Wahrnehmung scheint nicht nur der Wahrnehmung von Schmerz, Temperatur und Berührung, sondern auch der Empfindung generell irrititaiver Eigenschaften wie brennend, scharf, prickelnd, beißend, brenzlig, stechend und kühlend zu dienen. Es ist wesentlich zudem an der Wahrnehmung von Gerüchen beteiligt, da fast alle bekannten Duftstoffe, zumindest in höheren Konzentrationen, neben der olfaktorischen Aktivierung auch eine trigeminal vermittelte Empfindung verursachen. So riecht zum Beispiel Pfefferminze nicht nur fruchtig, sondern führt auch zu einem charakteristischen Trigeminus-bedingten Kühlungseffekt in der Nase (1).

 

Das trigeminale System ist im Gegensatz zum olfaktorischen System zudem in der Lage, Reize zu lokalisieren (1). So kann es zum Beispiel unterscheiden, ob und wenn ja welche Nasenseite bei Stimulation reine Luft und welche einen Duftstoff riecht. Olfaktorische Reize werden meist bei geringerer Konzentration als trigeminale Reize wahrgenommen. Zwischen dem trigeminalen und dem olfaktorischen System besteht sowohl anatomisch als auch physiologisch eine enge Verbindung. Bei riechgestörten Patienten konnte auch eine Verschlechterung der trigeminalen Funktionen festgestellt werden (1).

 

Das olfaktorische System

 

Duftende Gegenstände geben ständig flüchtige Moleküle in die Luft ab, wobei fast alle natürlichen Gerüche komplizierte Mischungen aus Hunderten von Molekülen sind. Orthonasal, also mit der eingeatmeten Luft durch die Nasenhöhle, und retronasal, also beim Essen und Trinken über die Mundhöhle und den Rachen, gelangen sie bis hin zum sogenannten Riechepithel im obersten Teil des Nasenraumes, das aus circa 30 Millionen Riechzellen besteht.

 

Bereits beim Föten besteht das olfaktorische Sinnesepithel aus einer kontinuierlichen Schicht von Sinnesepithelzellen. Beim Erwachsenen wird es mit zunehmendem Alter von nicht-olfaktorischen respiratorischen Epithelzellen durchsetzt (2). Dies könnte eine Ursache für die fast regelhaft beobachtete Abnahme des Riechvermögens im Alter sein.

 

Im olfaktorischen Epithel finden sich zehn bis dreißig Millionen Rezeptorneuronen sowie deren Stütz- und Basalzellen. Es handelt sich bei den olfaktorischen Rezeptorneuronen um bipolare Nervenzellen, deren Axone in den Bulbus olfactorius als Riechkolben an der vorderen Basis des Gehirns projizieren (2). Die einzelnen Riechzellen, die über das ganze Leben hinweg regelmäßig innerhalb von wenigen Monaten erneuert werden, tragen an ihrem Ende jeweils circa 20 feine, in den Nasenschleim ragende Sinneshärchen, die Zilien. Die Oberfläche des olfaktorischen Epithels wird somit um etwa das Zwanzigfache vergrößert (2).

 

Die Zilien sind von einer stark proteinhaltigen Schleimschicht umgeben (3). Die eingeatmeten Duftstoffe müssen diese durchdringen. Der Schleim wird von Bowman-Drüsen produziert (2). Die Ausführungsgänge der Bowman-Drüsen umgeben die olfaktorischen Epithelzellen. Der Ionengehalt des Schleims scheint eine wichtige Rolle für die Signaltransduktion der olfaktorischen Reize zu spielen (2).

 

Auf der Zellmembran der Zilien befinden sich die eigentlichen olfaktorischen Rezeptoren (3), an welche die Duftstoffe binden. Im menschlichen Genom wurden etwa 400 funktionell bedeutsame Gensequenzen für verschiedene olfaktorische Rezeptoren identifiziert. Jedes olfaktorische Rezeptorneuron exprimiert nur einen bestimmten Rezeptortyp.

 

Die olfaktorischen Rezeptoren gehören zur Klasse der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (2). Sie bestehen aus sieben Transmembrandomänen mit einer Bindungsstelle für Duftstoffe. Diese Bindungsstelle ist nicht selektiv für einen bestimmten Duftstoff. Es bestehen unterschiedliche Affinitäten zu den einzelnen Duftstoffen (3). Ein Duftstoff bindet wahrscheinlich regelhaft an mehrere verschiedene Rezeptoren (2).

 

Von der Nase ins Gehirn

 

Bindet ein Duftstoff an einen olfaktorischen Rezeptor, löst das gekoppelte G-Protein eine Second-Messenger-Kaskade aus, die mit der Aktivierung von Adenylatcyclase und dem Anstieg von zyklischem AMP (cAMP) einhergeht. Dies führt zur Öffnung cAMP-abhängiger Kationenkanäle und damit zum Na+- und Ca2+-Einstrom sowie zum K+-Ausstrom aus dem Rezeptorneuron (2). Dieses depolarisiert; es werden Aktionspotenziale gebildet, die durch Axone der olfaktorischen Rezeptorneuronen weitergeleitet werden.

 

Die Axone treten gebündelt als Fila olfactoria durch die Löcher der Lamina cribrosa, also der Siebplatte, und gelangen so zum Bulbus olfactorius in der vorderen Schädelgrube (2). Dort findet in den Glomeruli die synaptische Umschaltung auf die Dendriten der Mitral- und Büschelzellen statt.

 

Der Mensch kann mehr als zehntausend verschiedene Düfte wahrnehmen und unterscheiden. Riecht er einen einzigen Duft, so wird nur ein einziger Glomerulus aktiviert. Riecht er eine Mischung aus mehreren chemischen Komponenten, so werden dementsprechend mehrere Riechsinneszelltypen und damit auch die entsprechenden dazu gehörigen Glomeruli erregt.

 

Es entstehen reproduzierbare, komplexe Aktivierungsmuster, die typisch für spezifische Duftmischungen sind und entsprechend abgespeichert werden. Hat der Mensch auf diese Weise einmal individuelle Duftmuster »erlernt«, so kann er sie an der Kombination der aktivierten Glomeruli wiedererkennen, auch wenn ein Teil der Information fehlt. Mit anderen Worten: Olfaktorische Rezeptorneurone scheinen in der Regel nur auf ein beziehungsweise wenige und dabei immer auf den- beziehungsweise dieselben Glomeruli zu projizieren (1, 2).

 

Zum weiteren Verständnis der im Folgenden beschriebenen möglichen Ursachen von Riechstörungen ist es wichtig zu wissen, dass die Axone der Mitral- und Büschelzellen den Tractus olfactorius als weiteren Abschnitt der Riechbahn bilden. Dieser projiziert hauptsächlich in die Amygdala als Teil des limbischen Systems, das unter anderem der Verarbeitung von Emotionen und Gedächtnisinhalten dient. Nur ein kleiner Teil der Information aus dem Tractus olfactorius wird im Thalamus umgeschaltet (1). Im orbitofrontalen und insulären Cortex entsteht letztlich die Geruchswahrnehmung. Die größtenteils direkte Umschaltung auf den Cortex unter Umgehung des Thalamus stellt eine Besonderheit des olfaktorischen Systems dar. Informationen anderer Sinnessysteme gelangen nicht direkt, sondern erst nach Verschaltung im Thalamus zur Großhirnrinde.

 

Subjektive und objektive Tests

 

Die Untersuchung des gestörten Riechvermögens ist notwendig, um das mögliche Ausmaß eines Riechverlustes einschätzen und Änderungen im Riechvermögen verfolgen zu können. Die Beurteilung kann mithilfe subjektiver und objektiver Verfahren durchgeführt werden.

 

Zu den subjektiven Untersuchungen gehören im klinischen Alltag eingesetzte psychophysische Tests. Sie ermöglichen eine schnelle Einschätzung des Riechvermögens, sind aber von der Mitarbeit des Patienten abhängig. Objektivierende Verfahren sind elektrophysiologische Tests. Dazu zählen die Ableitung olfaktorisch evozierter Potenziale und Elektro-Olfaktogramme. Die psychophysische Riechtestung basiert darauf, Reaktionen auf einen olfaktorischen Reiz zu interpretieren. Der im Vergleich zu »objektiven« Testverfahren wohl wertvollste Vorteil in der täglichen Klinikroutine ist die schnelle Durchführbarkeit, die psychophysische Tests als Screeningmethoden für olfaktorische Störungen auszeichnet.

 

Zu den am besten validierten Tests zählen der UPSIT (»University of Pennsylvania Smell Identification Test«) und der CCCRC-Test (Test des »Connecticut Chemosensory Clinical Research Centers«) sowie die »Sniffin' Sticks«. Mithilfe dieser Riechstifte können die Wahrnehmungsschwelle sowie die Fähigkeit zur Erkennung und Unterscheidung von Düften untersucht werden.

 

14 cm lange, mit 4 ml eines spezifischen Duftstoffs gefüllte Filzstifte (4) werden etwa drei Sekunden unter beiden Nasenlöchern des Patienten positioniert. Der Schwellen-Test mithilfe der Sniffin' Sticks wird mit dem nach Rosen duftenden Phenylethylalkohol oder dem Käse-ähnlichen n-Butanol in 16 Verdünnungsstufen durchgeführt. Beide Duftstoffe lösen neben olfaktorischen Reizen nur marginale trigeminale Reize aus (4). Zur Schwellenbestimmung werden dem Patienten wiederholt auf- und absteigende Konzentrationen desselben Duftstoffes dargeboten. Die zuletzt als richtig erkannte Konzentration wird als Wahrnehmungsschwelle festgelegt. Die Sniffin' Sticks erlauben auch die Durchführung von Diskriminationstests, bei denen der Patient mehr oder weniger identische Gerüche unterscheiden muss. Beim Identifikationstest muss er bestimmte Gerüche mithilfe einer Auswahlkarte namentlich bestimmen.

 

Neben den Sniffin' Sticks bietet der »University of Pennsylvania Smell Identification Test« eine weitere Möglichkeit, die Erkennung von Düften zu untersuchen. Bei diesem Test werden die Duftstoffe mikroverkapselt auf Papier aufgebracht. Durch Kratzen wird der jeweilige Duft freigesetzt und muss anhand von vier Geruchsbezeichnungen identifiziert werden (4). Identifikationstests sind von den verbalen Fähigkeiten des Patienten und den kulturellen Unterschieden im Bekanntheitsgrad der Düfte abhängig. So beinhalten die in Nordamerika verwendeten Tests Duftstoffe, die den meisten Europäern nicht geläufig sind. Für ein realistisches Testergebnis ist es erforderlich, die zu testenden Gerüche der kulturellen Herkunft des Patienten anzupassen.

 

Ob Identifikations-, Diskriminations- oder Schwellentest: Ermöglichen psychophysische Untersuchungen eine Unterscheidung in Norm-, Hyp- und Anosmie, so setzen sie die Mitarbeit des Patienten voraus. Ohne diese ist die Auswertung der Tests kaum möglich. Bei Kindern oder dementen Patienten sind die Messungen deshalb unter Umständen nur schwer durchführbar. In diesem Fall ist es sinnvoller, objektive Messmethoden zu verwenden, die nicht auf die Hilfe des Patienten angewiesen sind.

 

Messung elektrischer Potenziale

 

Zur objektiven Untersuchung von Riechstörungen kommen chemosensorisch evozierte Potenziale (CSEP) und Elektro-Olfaktogramme (EOG) zum Einsatz. Während mithilfe der CSEP polyphasische Signale nach olfaktorischer Aktivierung kortikaler Neurone aus dem EEG abgeleitet werden, werden im Rahmen des EOGs elektrische Potenziale des olfaktorischen Epithels infolge einer olfaktorischen Reizung durch endoskopisch kontrollierte, auf dem Riechepithel platzierte Elektroden gemessen. Die Durchführung beider Methoden ist relativ aufwendig und wird daher nur in spezialisierten Zentren angewendet.

 

Die Duftstoffe werden dem Patienten mithilfe eines sogenannten Olfaktometers angeboten. Das Olfaktometer ist eine Apparatur, welche Geruchsstoffproben wie zum Beispiel Rohgas definiert, mit Neutralluft verdünnt und einem Probandenkollektiv, also Testriechern über Riechrohre und Nasenmasken zuführt. Es ermöglicht eine Reizung mit definierter Reizdauer und Duftstoffkonzentration. Flussgeschwindigkeit, Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit werden konstant gehalten (4).

 

Neben CSEP und EOG ermöglichen die jüngsten Fortschritte auf dem Gebiet der Bildgebung detaillierte Untersuchungen der funktionellen Topografie des olfaktorischen Systems des Menschen mit der Positronenemissionstomografie (PET), der funktionellen Magnetresonanztomografie (FMRT) und dem auf der Magnetenzephalografie basierenden »magnetic source imaging« (MSI).

 

Während bioelektrische Felder eine direkte Reflexion der elektrophysiologischen Abläufe darstellen, spiegeln PET und FMRT entweder Veränderungen des Blutflusses oder des Metabolismus wieder, welche als Epiphänomene neuronaler Aktivität zu betrachten sind. Alle Verfahren werden in der Erforschung grundlegender Abläufe, zum Beispiel olfaktorisch induzierter Emotionen, dem Geruchsgedächtnis, der Mechanismen beim Schnüffeln oder alters- und geschlechtsbezogener Differenzen der Riechfunktion eingesetzt. Diese faszinierenden Techniken benötigen jedoch noch weitere Standardisierungen, um eine ausreichende Relevanz für routinemäßige Untersuchungen im klinischen Alltag zu erlangen.

 

Ursachen von Riechstörungen

 

Die häufigsten Ursachen von Riechstörungen sind Schädel-Hirn-Traumata, virale Infekte der oberen Atemwege sowie chronische Erkrankungen der Nase und der Nasennebenhöhlen. Durch Schädel-Hirn-Traumata können die Axone olfaktorischer Rezeptorneuronen, die normalerweise als Fila olfactoria durch die Lamina cribrosa zum Bulbus gelangen, abreißen. Es können Quetschungen und Blutungen im orbitofrontalen Cortex und in anderen für das Riechen wichtigen Hirnbereichen auftreten (1). Dies führt meist plötzlich zur Verschlechterung beziehungsweise zum Verlust des Riechvermögens.

 

Veränderungen der Riechfähigkeit werden manchmal auch erst nach mehreren Wochen bemerkt, wenn sich die restlichen Symptome der Grunderkrankung wieder zurückgebildet haben. Parosmie und Phantosmie können zusätzlich zur Riechverschlechterung nach einigen Wochen auftreten (1). Nur in wenigen Fällen bilden sich Riechstörungen, die nach Schädel-Hirn-Traumen auftreten, komplett zurück. Mögliche Ursachen für bleibende Störungen könnten darin bestehen, dass nachwachsende Axone der olfaktorischen Rezeptorneuronen aufgrund Narbenbildung keinen Anschluss zum Bulbus erhalten (5).

 

Virale Infekte der oberen Atemwege können zu Riechstörungen führen. Sie treten häufiger bei Frauen und Personen jenseits des 50. Lebensjahres auf. Der Geruchssinn verschlechtert sich meist während einer Erkältung und bessert sich nach Abklingen der Erkältungssymptome kaum. Eine Schädigung der olfaktorischen Rezeptorneurone durch virale Toxine beziehungsweise durch eine Immunreaktion wird als Ursache angenommen (1). Die Störungen werden meist von verzögert beginnenden Parosmien begleitet. Bei etwa einem Drittel der Patienten bessert sich das Riechvermögen jedoch bereits nach circa sechs Monaten (5).

 

Erkrankungen der Nase und Nasennebenhöhlen wie Polyposis nasi, chronische Rhinosinusitis und intranasale Tumoren können den Luftweg zum olfaktorischen Sinnesepithel im Nasendach mechanisch blockieren (5). Dringen Duftmoleküle nicht zum Sinnesepithel, so können keine Gerüche wahrgenommen werden. Die chronische Rhinosinusitis kann weiterhin zu einer Entzündung im olfaktorischen Sinnesepithel führen und das Riechvermögen funktionell einschränken (5). Die Riechstörung setzt langsam ein und klingt nach Besserung der Grunderkrankung zum Beispiel durch eine Kortisontherapie oder Operation häufig wieder ab.

 

Neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson gehen mit einer Verschlechterung der Riechfunktion einher. Beide Erkrankungen führen zu zentralen Nervenzelluntergängen. Dadurch können für das Riechen wichtige zentrale Strukturen wie der Bulbus olfactorius oder der zentrale olfaktorische Cortex funktionell geschädigt werden (5). Patienten mit Morbus Parkinson entwickeln etwa vier bis sechs Jahre vor den ersten motorischen Symptomen eine Riechverschlechterung (1).

 

Zahlreiche Intoxikationen zum Beispiel durch Formaldehyd, Herbizide, Pestizide oder Zigarettenrauch konnten mit Riechstörungen in Zusammenhang gebracht werden (5). Das Ausmaß der Riechstörung ist von der Expositionsdauer und von der Giftstoffkonzentration abhängig (5). Verschiedene endokrine Erkrankungen wie Hypothyroidismus, Diabetes mellitus Typ 2, Morbus Addison, Morbus Cushing, aber auch Epilepsie können mit Riechstörungen assoziiert sein (1). Veränderungen der Riechwahrnehmung werden auch bei Patienten mit Schizophrenie oder Depressionen beobachtet (5).

 

Leber- und Nierenerkrankungen können ebenfalls das Riechvermögen beeinflussen (1). Zu iatrogenen Ursachen von Riechstörungen gehören neurochirurgische Operationen, Strahlentherapie sowie die Einnahme bestimmter Medikamente. Als Medikamentengruppen, nach deren Einnahme Riechstörungen beobachtet wurden, sind Antibiotika wie zum Beispiel Amikacin, Antihypertonika wie Nifedipin, Chemotherapeutika wie zum Beispiel Methotrexat oder Schmerzmittel wie zum Beispiel Remifentanil oder Morphin bekannt. Gewöhnlich sistieren mit dem Absetzen der jeweiligen Medikation auch die chemosensorischen Nebenwirkungen.

 

Angeborene Anosmien können separat oder als Teil eines Syndroms auftreten. Die Anosmie wird erstaunlicherweise meist erst im Alter von circa zehn Jahren bemerkt (5). Mögliche Ursache für eine angeborene Anosmie kann das Fehlen oder die Unterentwicklung des Bulbus olfactorius sein, wie es zum Beispiel beim »Kallmann-Syndrom« in Verbindung mit einem hypogonadotropen Hypogonadismus zu beobachten ist.

 

Therapie und Prognose

 

Die Therapie einer Riechstörung ist immer von der Ursache der Störung abhängig. Für angeborene und altersbedingte Riechstörungen gibt es derzeit keine etablierten Therapiemöglichkeiten (6). Riechstörungen, die im Zusammenhang mit sinunasalen Erkrankungen wie zum Beispiel der allergischen oder chronischen Rhinitis auftreten, können sowohl operativ als auch konservativ behandelt werden.

 

Die häufigsten operativen Maßnahmen sind Nasennebenhöhlenoperationen, Nasenscheidewandplastiken und Nasenmuschelverkleinerungen (7). Ziel der Operationen ist es, die Nasenatmung zu verbessern und damit den Luftstrom zum olfaktorischen Sinnesepithel zu erhöhen. Das Riechvermögen kann durch eine Operation jedoch nicht immer komplett wiederhergestellt werden. Quantitative Untersuchungen der Riechfunktion zeigten eine Besserung bei fünfundzwanzig Prozent der Patienten mit präoperativer Hyposmie und bei fünf Prozent der Patienten mit präoperativer Anosmie (7).

 

Die konservative Behandlung von sinunasal bedingten Riechstörungen erfolgt mit Kortikosteroiden. Diese können lokal oder systemisch verabreicht werden. Kortikosteroide führen zur Verminderung der Entzündungsreaktion im Nasen- und Nasennebenhöhlenbereich, insbesondere zur Rückbildung von Nasenpolypen bei chronischer Sinusitis (7). Dadurch wird in der Regel auch die Belüftung des olfaktorischen Sinnesepithels verbessert.

 

Zusätzlich zur anti-entzündlichen Wirkung wird angenommen, dass Corticoide einen direkten Einfluss auf die olfaktorische Funktion ausüben. Die klinische Praxis zeigt, dass systemische Steroide auch bei Patienten ohne nasale Obstruktion oder offensichtlich entzündliche Veränderungen von Nutzen sind. Tritt nach systemischer Gabe eine Besserung der Riechstörung auf, wird die Behandlung im Allgemeinen lokal weitergeführt.

 

Obwohl die systemische Verabreichung von Steroiden effektiver als die lokale Behandlung ist, wird die systemische Gabe über einen längeren Zeitraum mit Blick auf die Nebenwirkungen nur selten als gerechtfertigt angesehen. Es ist jedoch möglich, wiederholt kurzzeitig systemische Steroide mit einer zwischenzeitlichen Therapiepause von sechs bis zwölf Monaten zu verabreichen.

 

Ein Grund für den deutlich besseren therapeutischen Effekt der systemischen Steroide im Vergleich zur lokalen Anwendung ist, dass lediglich eine geringe Menge des nasal applizierten Corticoid-Sprays das olfaktorische Epithel erreicht, das sich in einem umfassend geschützten Bereich der Nasenhöhle befindet. Durch Verabreichung des Sprays in der »head-down-forward«, also »Über-Kopf«-Position lässt sich die Effektivität der Behandlung mit Nasensprays zumindest geringfügig verbessern.

 

Neben Steroiden kommen andere therapeutische Optionen wie die Gabe von Anti-Leukotrienen und die Anwendung von Kochsalzspülungen zum Einsatz. Als potenzielle Therapeutika bei postviralen Riechstörungen werden Caroverin oder Vitamine (A, B, C) diskutiert (8). Vermutet werden unter anderem eine Beschleunigung der Nervenleitgeschwindigkeit und der Mikrozirkulation sowie die Fähigkeit zur Neuroprotektion durch anti-oxidative Effekte.

 

Zink scheint bei postviralen Riechstörungen nicht wirksam zu sein - jedenfalls zeigt das eine Reihe doppelt-blind durchgeführter Studien. Bei Patienten mit schwerem Zinkmangel zum Beispiel nach Hämodialyse kann die Substitution von Zink jedoch durchaus therapeutischen Wert besitzen. Generell sind zunächst die Grunderkrankungen zu therapieren. 

 

Während altersbezogene und kongenitale Anosmien gewöhnlich keine Besserung zeigen, gelten sinunasale Riechstörungen als behandelbar. Toxische und medikamentös induzierte Störungen können sich nach Vermeidung oder Absetzen der jeweiligen Substanz rückbilden. Posttraumatische Riechstörungen bessern sich nur bei einem geringen Prozentsatz der Patienten, wohingegen bei postviralen Riechstörungen sehr häufig Besserungen gesehen werden. Gegenwärtig ist es nicht möglich, bei olfaktorischen Störungen eine exakte Prognose zu erstellen. Klinische Erfahrungen zeigen, dass jüngere Patienten bessere Heilungsraten verzeichnen.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die beste Herangehensweise bei Riechstörungen nach Trauma und Infektion darin besteht, dem Patienten korrekte und vor allem realistische Informationen zu geben, ohne ihm die Hoffnung auf Besserung zu nehmen oder aber ihm schnelle und komplette Heilung zu versprechen. Der Patient sollte regelmäßig zur Nachuntersuchung gehen, damit auch subjektiv oft kaum wahrnehmbare Besserungen dokumentiert werden können.

Glossar

Normosmie: Normales Riechvermögen

Hyposmie: Herabgesetztes Riechvermögen

Anosmie: Völlige Aufhebung des Riechvermögens mit der Unfähigkeit, einen Duftstoff wahrzunehmen

Dysosmie: Gestörtes Riechvermögen in Form von Parosmie oder Phantosmie

Parosmie: Patienten nehmen einen anderen Geruch wahr als vorhanden. Dieser wird von mehr als 90 Prozent der Patienten als unangenehm eingeschätzt. Parosmie tritt in der Regel in Verbindung mit Hyposmie auf

Phantosmie: Patienten riechen etwas, obwohl keine Duftstoffquelle vorhanden ist

 

Literatur

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Landis, B. N., Hummel, T., Lacroix, J.-S., Basic and clinical aspects of olfaction. Adv. Tech. Stand. Neurosurg. 30 (2005) 69-105.

Hadley, K., Orlandi, R. R., Fong, K. J., Basic anatomy and physiology of olfaction and taste. Otolaryngol. Clin. N. Am. 37 (2004) 1115-1126.

Knecht, M., Hüttenbrink, K.-B., Hummel, T., Störungen des Riechens und Schmeckens. Schweiz. Med. Wochenschr. 129 (1999) 1039-1046.

Hummel, T., et al., Die Untersuchung des Riechvermögens. HNO 55 (2007) 827-838.

Wrobel, B. B., Leopold, D. A., Clinical assessment of patients with smell and taste disorders. Otolaryngol. Clin. N. Am. 37 (2004) 1127-1142.

Hummel, T., Therapie von Riechstörungen. Laryngo-Rhino-Otol. 82 (2003) 552-554.

Hummel, T., Hüttenbrink, K.-B., Sinunasal bedingte Riechstörungen. HNO 53 (2005)  S26-S32.

Förster, G., et al., Riechstörungen: Epidemiologie, pathophysiologische Klassifikation, Diagnose und Therapie. HNO 52 (2004), Nr. 8 679-684.

 

Die Autoren

Thomas Hummel studierte von 1980 bis 1986 Humanmedizin an der Universität Erlangen-Nürnberg. Nach seiner Approbation als Arzt (1986), Dissertation (1987) und Habilitation (1996) im Fach Pharmakologie und Toxikologie erhielt er 2003 eine außerplanmäßige Professur an der medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden. Seine wissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte sind der Untersuchung der Physiologie und Pharmakologie der chemischen Sinne (Geruch, Geschmack, Irritation) mithilfe immunhistochemischer, psychophysischer, elektrophysiologischer und bildgebender Verfahren sowie den Studien der Mechanismen von Schmerzentstehung und -verarbeitung gewidmet. Der Leiter des Interdisziplinären Zentrums Riechen und Schmecken der HNO-Uniklinik-Dresden erhielt 1996 den Preis der „European Chemoreception Organisation” für herausragende Leistungen in der Geruchsforschung.

 

Franziska Krone studiert im sechsten Semester Humanmedizin in Dresden. Seit 2006 beschäftigt sie sich im Interdisziplinären Zentrum Riechen und Schmecken der HNO-Uniklinik Dresden unter Anleitung von Hummel unter anderem mit dem Duftstoff Androstadienon als Pheromon, also Botenstoff, der der biochemischen Kommunikation zwischen Lebewesen einer Spezies dient.

 

 

Professor Dr. Thomas Hummel

Interdisziplinäres Zentrum Riechen und Schmecken

Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde der Universität

Fetscherstraße 74

01307 Dresden

thummel(at)mail.zih.tu-dresden.de

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