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Morbus Alzheimer

Durchbruch möglich

22.07.2015  09:55 Uhr

Von Theo Dingermann und Ilse Zündorf / Die bislang verfügbaren Medikamente gegen die Alzheimer-Erkrankung können das Fortschreiten bestenfalls für eine kurze Zeit verlangsamen, es aber nicht stoppen. Mit den Antikörpern Solanezumab und Aducanumab könnte nun erstmalig ein Durchbruch im Kampf gegen den geistigen Verfall gelingen. Nicht zuletzt, weil zeitgleich ein Biomarker zur Früherkennung entdeckt wurde.

Eigentlich ist es keine Überraschung, dass die Alzheimer-Krankheit sich Jahrzehnte vor ihrer klinischen Manifesta­tion ankündigt. Die Frage war bislang nur, wie sie sich ankündigt. Wonach muss man Ausschau halten? Was sind relevante Biomarker? Hier herrscht seit Kurzem deutlich mehr Klarheit, nachdem niederländische Neurologen um Willemijn J. Jansen von der Universität Maastricht die Ergebnisse einer Metaanalyse im Fachmagazin »JAMA« publizierten (DOI: 10.1001/jama.2015.4668).

 

Dazu werteten die Wissenschaftler Daten von insgesamt 55 Studien mit mehr als 7000 Patienten aus. 2914 Studienteilnehmer zeigten eine normale Kognition. 697 Patienten berichteten aus der Selbstwahrnehmung eine leichte kognitive Beeinträchtigung (Subjective Cognitive Impairment, SCI) und bei 3972 Patienten wurde eine leichte kognitive Beeinträchtigung (Mild Cognitive Impairment, MCI) diagnostiziert.

 

In allen Studien war die Prävalenz von Amyloid-β1-42-Ablagerungen durch Posi­tronen-Emissionstomografie im Gehirn oder in der Cerebro­spinalflüssigkeit bestimmt worden. Diese wurde mit dem Alter, Geschlecht und Bildungsstand der Patienten sowie deren Apolipoprotein-E (APOE)-Genotyp, einem genetischen Risikofaktor für Alzheimer, korreliert. Es zeigte sich, dass bei Teilnehmern mit normaler Kognition im Alter zwischen 50 und 90 Jahren die Prävalenz von Amyloid-β1-42-Ablagerungen von 10 auf 44 Prozent zunahm. Bei SCI-Teilnehmern stieg sie von 12 auf 43 Prozent und bei Patienten mit MCI von 27 auf 71 Prozent. Wenig überraschend war zudem der Befund, dass bei Teilnehmern, die die Risiko-Variante APOE-e4 des APOE-Gens trugen, die Prävalenz im Vergleich zu Teilnehmern ohne dieses genetische Risiko um das Zwei- bis Dreifache erhöht war. Einen Unterschied zwischen Männern und Frauen gab es nicht.

 

Von 90-Jährigen ohne APOE-Risikogen, denen normale Kognitionsfähigkeiten bescheinigt wurden, waren etwa 40 Prozent Amyloid-positiv. Träger des Risikogens in dieser Altersgruppe waren dagegen zu mehr als 80 Prozent Amyloid-positiv. Schließlich lag bei MCI-Patienten die Prävalenz für einen Amyloid-Nachweis 20 bis 30 Prozent höher als bei Studienteilnehmern mit normaler Kognition oder SCI.

 

Biomarker zur Früherkennung

 

All das sind wichtige Resultate einer richtungsweisenden Metaanalyse. Das wichtigste Ergebnis dieser Studie ist jedoch der förmliche Nachweis, dass Amyloid-β1-42-Ablagerungen bereits 20 bis 30 Jahre vor dem klinischen Ausbruch der Alzheimerkrankheit nachweisbar sind und dass sich über die Quantifizierung dieser Ablagerungen der Zeitpunkt einer klinischen Manifestation grob kalkulieren lässt.

 

Das ist einerseits ein erfreuliches Resultat, denn die Früherkennung einer Alzheimer-Erkrankung galt als ein »missing link«, nicht zuletzt auch bei der Suche nach neuen Interventions­optionen zur Behandlung der Erkrankung. Andererseits ist das Ergebnis auch durchaus kritisch zu interpretieren. Gilt doch ein diagnostisches Verfahren dann als ethisch problematisch, wenn keine realistische Therapie­option zur Verfügung steht. Dies gilt zweifelsohne derzeit für die Alzheimer-Erkrankung, bei der die wenigen zur Verfügung stehenden Medikamente bestenfalls das Fortschreiten der Krankheit für eine kurze Zeit verlangsamen, den Krankheitsfortgang aber nicht stoppen. Allerdings könnten nun diese Medikamente – je nach Diagnose – deutlich früher angewendet werden.

 

Es fügt sich gut, dass sich aktuell gleich zwei neue Wirkstoffe bereits in Phase III der klinischen Prüfung befinden, die in einem sehr frühen Stadium die Entwicklung zu einer klinisch manifesten Alzheimer-Erkrankung aufhalten könnten. Bei beiden Wirkstoffen handelt es sich um rekombinante Antikörper: Solanezumab, ein humanisierter monoklonaler Antikörper der Firma Lilly, und Aducanumab, ein humaner Antikörper der Firma Biogen. Beide Antikörper erkennen Epitope auf dem Amyloid-β-Protein.

 

Antikörper reduzieren Amyloid-Plaques

 

Aducanumab erkennt und bindet mit hoher Affinität zum einen die N-terminalen Aminosäuren 3 bis 6. Zum anderen erkennt die Bindungs­tasche zusätzlich ein Struktur-Epitop, das sich auf aggregiertem Aβ, nicht jedoch auf Aβ-Monomeren ausbildet. Bemerkenswert ist, dass dieser Antikörper natürlicherweise bei vielen sogenannten Superagers vorkommt. Darunter versteht man Menschen, die trotz eines hohen Alters geistig fit bleiben.

Vorläufige Daten einer Phase-III-Studie, in der zunächst 166 Patienten behandelt wurden, zeigen erstaunliche Resultate. In den Verumgruppen, in denen Patienten alle vier Wochen 3, 6 und 10 mg Aducanumab pro kg Körper­gewicht infundiert wurden, nahmen die Aβ-Konzentrationen in allen analysierten kortikalen Regionen deutlich ab. Bei den Patienten, die mit 10 mg Antikörper pro kg Körpergewicht behandelt wurden, ließ sich nach einem Jahr Therapiedauer nahezu kein Aβ mehr nachweisen.

 

Hinsichtlich der Wirksamkeitseinschätzung des Antikörpers Solanezumab wartet die Fachwelt gespannt auf Daten, die in diesen Tagen auf der internationalen Jahreskonferenz der Alzheimer’s Association (AAIC) in Washington präsentiert werden. Auch hier könnte eine Sensation verkündet werden. Dabei war dieser Antikörper, ebenso wie der verwandte Antikörper Bapineuzumab, bereits mit dem Stempel »Flop« versehen worden. Im Fachmagazin »New England Journal of Medicine« war erst im letzten Jahr festgestellt worden, dass die Zielwerte für Solanezumab und Bapineuzumab nicht erreicht wurden (DOI: 10.1056/NEJMoa 1312889; DOI: 10.1056/NEJMoa1304839). Eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten der getesteten Patientengruppe mit leichten bis mittelschweren Alzheimer-Symptomen konnte nicht belegt werden. Anders jedoch bei Probanden mit der mildesten Ausprägung der Alzheimer-Krankheit. Bei dieser Gruppe ergab die differenzierte Analyse der gesammelten Daten, dass das Fortschreiten der Krankheit im Frühstadium durch beide Antikörper verlangsamt wurde.

 

Während die Unternehmen Pfizer und Johnson & Johnson alle weiteren Studien mit intravenös appliziertem Bapineuzumab ad acta legten, konzen­trierte sich Lilly seit Sommer 2013 im Rahmen der Phase-III-Studie Expedi­tion 3 weiter auf der Erforschung von Solanezumab bei Alzheimer-Patienten im Frühstadium. Mit Erfolg – zumindest lassen das die für die AAIC-Konferenz angekündigten Ergebnisse erwarten.

Umdenken bei der Diagnostik

 

Vor diesem Hintergrund gewinnt die zitierte Metaanalyse aus den Niederlanden deutlich an Gewicht. Es könnte sich als überaus wichtig herausstellen, nicht den Krankheitsstatus der Patienten als Ein- beziehungsweise Ausschlusskriterium heranzuziehen. Dieser wird im Fall der Alzheimer-Krankheit durch verschiedene standardisierte Tests wie den Mini-Mental-Status-Test definiert, die Auskunft über die intellektuellen Leistungen und Fähigkeiten geben. Relevanter könnte die Quantifizierung der Amyloid-β1-42-Ablagerungen sein, die letzlich ja auch die Zielstrukturen darstellen, die die Antikörper zu eliminieren suchen.

 

Sollte sich bestätigen, was sich bei vorsichtiger Betrachtung aus den klinischen Studien mit den beiden Antikörpern Solanezumab und Aducanumab anzudeuten scheint, käme das einer Sensation gleich. Eventuell ließen sich diese Erfolge gar mit denen vergleichen, die erst jüngst bei der Behandlung der Hepatitis-C (HCV)-Infektion erzielt wurden. Zwar wird eine Antikörper-Therapie bei Alzheimer-Patienten in frühen Stadien die Krankheit nicht zu heilen vermögen, wie das bei den aktuellen HCV-Therapien gelingt. Dennoch wären die Erfolge sehr wohl miteinander vergleichbar, da durch Alzheimer viel mehr Menschen bedroht sind als durch eine HCV-Infektion. /

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