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Wirtschaftsrechtsgespräch

Warten auf die nächste Reform

13.07.2010  14:30 Uhr

Von Nils Franke, Berlin / Braucht das Gesundheitswesen mehr Wettbewerb oder mehr Regulierung durch den Staat? Diese Frage beantworten die Akteure unterschiedlich. Einig sind sie sich derzeit aber darin, dass die Regierung eine Antwort geben muss. Sonst drohe Chaos.

Das Gesundheitswesen scheint auf halbem Reformweg stecken geblieben. Viele Akteuren wissen nicht, ob sie sich wie Marktteilnehmer verhalten sollen oder wie halbstaatliche Einrichtungen. So verschieden ihre Perspektiven auch sind, die Podiumsteilnehmer eines Berliner Wirtschaftsrechtsgesprächs forderten Klarheit. Eingeladen hatten die international tätige Rechtsanwaltssozietät WilmerHale und die Humboldt-Universität.

Die Pharmaindustrie wünscht sich mehr Wettbe­werb. Die Aussichten seien jedoch schlecht, sagte Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA). »Mein Eindruck ist, dass die Regulierungsschraube weiter angezogen werden soll.« Der Arzneimittelsektor sei unmittelbar betroffen: Der geplante Zwangsrabatt belaste ein überschaubares Marktsegment von 9,8 Milliarden Euro mit 1,2 Milliarden Euro jährlich bis 2013. »Allein dieser Zeitraum lässt vermuten, dass der Gesetzgeber seinen strukturellen Maßnahmen, die im nächsten Jahr in Kraft treten sollen, nicht vertraut«, sagte Yzer mit Blick auf die geplante Kosten-Nutzen-Bewertung und Preisverhandlungen mit den Kassen.

 

Mehr individuelle Verantwortung

 

Aus Sicht der Hausärzte müsse der Einzelne mehr Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen, forderte Professor Dr. Klaus-Dieter Kossow, Ehrenvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands. »Derzeit belasten das Gesundheitswesen hauptsächlich verhaltensabhängige Folgekrankheiten: Hypertonie, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Übergewicht, Gelenkverbrauch. All das sind Risikofaktoren, die in der Behandlung besser beim Einzelnen aufgehoben sind als kollektiv.«

 

Er forderte ein Umdenken hin zu einem Management der Gesundheit, das »systematisch den individuellen Gesundheitsverbrauch und die individuelle Krankheitsproduktion unterbindet«.

 

Wolfgang Pföhler als Vizepräsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft und Vorsitzender der Rhön-Kliniken forderte die Politik auf, die Stellung der Kliniken auf dem Markt zu klären. »Wir bekommen immer mehr Schwierigkeiten bei der Übernahme und Zusammenführung von Krankenhäusern, wo wir versuchen, den Vorgaben des Sozialgesetzbuches V Rechnung zu tragen«, monierte er. Das Bundeskartellamt lege immer öfter sein Veto ein, um stattdessen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Anwendung zu bringen. »Ich bin der Auffassung, dass die Anwendung des Kartellrechts nicht statthaft ist«, sagte Pföhler. Die Kliniken bräuchten mehr Spielräume in der nahenden »größten Bewährungsprobe für das deutsche Gesundheitssystem«, die demografischer Wandel und medizinischer Fortschritt stellten.

 

Klare Regeln für den Wettbewerb

 

Wettbewerb erzeuge immer Gewinner und Verlierer, warnte Dr. Carl-Heinz Müller, Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Deshalb sei es unumgänglich, dass die Politik den Wettbewerb im Gesundheitswesen klarer regle. »Wettbewerb ja, aber in einer Wettbewerbsordnung«, sagte Müller und forderte eine Klarstellung, wie Wettbewerb mit einer solidarisch finanzierten Krankenversorgung zu vereinbaren sei, in der Gesunde für Kranke einzahlten und Reiche für Arme.

Der bisherige Wettbewerb nütze allenfalls den Ärzten und den Privaten Krankenversicherern, schimpfte Dr. Christopher Hermann vom Vorstand der AOK Baden-Württemberg. »Von einem FDP-Minister hätte ich mir anderes erhofft als die strikte Fortsetzung der Zentralismusschiene, der Schiene des Einheitsbreis.« Die Versorgung müsse über die Hausärzte gesteuert werden. »Das werden wir nicht mit Zentralismus schaffen – aber auch nicht damit, dass man die selektivvertraglichen Aktivitäten der Kassen auch noch unter Kartellrecht stellt.« Dies richte ein »völliges Tohuwabohu an«. Während die Politik die kollektivvertraglichen Strukturen unter eine Käseglocke stelle, fahre sie den Wettbewerb ins Chaos.

 

Die Reformen der »gefühlten hundert Jahre Ulla Schmidt« hätten sowohl mehr Wettbewerb als auch Regulierung gebracht, sagte Dr. Volker Leienbach, Verbandsdirektor des Verbands der privaten Krankenversicherung (PKV).

 

»Das Spielzeug der Instrumente ist mehr, aber das Spielzimmer ist kleiner geworden.« Jeder Tag Nicht-Handeln bedeute, die Politik von Ulla Schmidt fortzuführen. »Auch Rösler scheint der große Wurf für mehr Markt nicht zu gelingen«, zeigte er sich enttäuscht. /

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