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Fingerspitzengefühl

01.07.2015  09:47 Uhr

Es war der Apple-Genius Steve Jobs, der sich nach seiner Krebsdiagnose von den besten Spezialisten der Welt beraten ließ, um sich dann gegen deren Rat und gegen den Rat seiner engsten Freunde und Vertrauten für eine Therapie seiner schweren Krankheit aus dem Fundus der alternativen Medizin zu entscheiden. Jedoch ebenso extrem wie diese Entscheidung eines Menschen, der seine Genialität äußerst erfolgreich in Extremen auslebte, war dann allerdings auch sein spätes aber explizites Eingeständnis, mit dieser Entscheidung einen seiner größten Lebensfehler begangen zu haben.

 

Die Diagnose Krebs ist eine der einschneidensten Erfahrungen, die viele im Laufe ihres Lebens ertragen müssen. Dass eine solche Erfahrung selbst bei äußerst rational agierenden Menschen teils befremdliche Entscheidungen induziert, ist belegt und auch nicht verwunderlich.

 

Alternative Methoden der Krebstherapie stehen hoch im Kurs. Längst haben es die meisten Therapeuten aufgegeben, ihren lange kompromisslos geführten Feldzug gegen diese Methoden fortzusetzen. Jedenfalls dann, wenn sie komplementär zur schulmedizinischen Krebstherapie und eben nicht alternativ eingesetzt werden. Viele verzweifelte Krebspatienten folgen diesem Kompromissangebot, das sich durchaus positiv auswirken kann.

 

Auch wenn sich der Nutzen zusätzlicher Maßnahmen aus der Komplementärmedizin kaum belegen lässt, erweisen sich viele dieser Verfahren doch wenigstens nicht als schädlich (siehe Seite 26). Im Gegenteil: Da diese Maßnahmen von den Patienten oft eigeninitiativ vorgeschlagen werden, lindern sie nicht selten die körperlichen und emotionalen Strapazen der Tumortherapie, indem sie das Gefühl vermitteln, selbst aktiv etwas für den Therapieerfolg beizutragen.

 

Allerdings ist die Bandbreite an Angeboten an möglichen Maßnahmen riesig und schwer zu durchschauen. Das Tolerieren komplementärer Verfahren sollte dann ein Ende haben, wenn erkennbar wird, dass mit der Maßnahme die gefühlte Hilflosigkeit und Verzweiflung der Patienten ausgenutzt wird. Einem Krebspatienten allerdings sein aus Sicht des Gesunden unberechtigtes Misstrauen gegenüber der Schulmedizin auszureden, erweist sich meistens als falsche Strategie, um befremdliche Entscheidungen zu korrigieren.

 

So ist es zu begrüßen, dass heute viele Tumorzentren auch Abteilungen unterhalten, die die Patienten auf diesem schwer durchschaubaren Gebiet der Komplementärmedizin beraten und sie ihnen als seriös bewertete Maßnahme anbieten können.

 

Professor Dr. Theo Dingermann 

Mitglied der Chefredaktion

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