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Zivilrecht

Haftung des Apothekers

24.06.2014  10:26 Uhr

Von André Byrla* / Während in der Apothekerschaft noch eine Diskussion über das Leitbild des Apothekers geführt wird, sieht die Rechtsprechung den Apotheker auf Augenhöhe mit dem Arzt – nicht zu Unrecht. Jedoch darf von den Gerichten die Realität des Apothekenbetriebs nicht unberücksichtigt gelassen werden. Der Apotheker ist nicht der »Obergutachter« des Arztes.

Mit Urteil vom 7. August 2013 hatte das Oberlandesgericht Köln (Aktenzeichen: 5 U 92/12) entschieden, dass der Grundsatz der Beweislastumkehr1 beim groben Behandlungsfehler von Ärzten auch auf Apotheker übertragen werden kann. Nach diesem Urteil, mit welchem sich in der ausdrücklich zugelassenen Revision auch noch der Bundesgerichtshof (BGH) zu beschäftigen haben wird, haftet ein Apotheker unter Anwendung dieser Beweislastregelung neben dem Arzt wegen der grob fehlerhaften Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels für die Schäden eines Säuglings auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.

 

Zur Erinnerung: Der Mitarbeiter des beklagten Apothekers hatte Lanitop® (Metildigoxin) – auf Grundlage einer fehlerhaften Verschreibung des ebenfalls beklagten Kinderarztes – in einer für Kinder mehr als 8-fach überhöhten Dosis, in einer irregulären Darreichungsform als Tabletten, an die Mutter des Säuglings, unter dem Hinweis diese aufzulösen und dem Kind einzuflößen, abgegeben. Es erfolgte weder eine Kontrolle durch den Apotheker noch eine Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt. Das Kind erlitt in der Folge unter anderem einen hypoxischen Hirnschaden.

 

Allerdings setzt sich das Oberlandesgericht Köln (OLG Köln) in seinem Urteil nur unzureichend mit den generellen Anforderungen an den Apotheker bei der Abgabe von Arzneimitteln auseinander und legt damit dem Urteil einen konturenlosen Pflichtenmaßstab zugrunde, aus dem sich mit Blick auf die zivilrechtliche Haftung kaum allgemeinverbindliche Aussagen für den Arbeitsalltag in den Apotheken treffen lassen.

 

Ohne Zweifel haben Apotheker aufgrund ihrer umfangreichen pharmazeutischen Ausbildung die notwendige fachliche Kompetenz erworben, um Ärzten, die in der Regel während ihrer Ausbildung lediglich ein bis zwei Semester Pharmakologie absolviert haben, bei der Arzneimitteltherapie beratend zur Seite stehen oder deren Arzneimittelverschreibungen kontrollieren zu können. Dies setzt auch das OLG Köln voraus, wenn es meint: »Ein blindes Vertrauen auf die Verordnung des Arztes darf es nicht geben. Der Apotheker muss sich vielmehr ei­gene Gedanken über die Richtigkeit und Sinnhaftigkeit der Verordnung machen.«

 

Entgegen der Ansicht des OLG Köln kann es sich aber, neben der in § 20 ApBetrO (Apothekenbetriebsordnung) berufsrechtlich ausdrücklich normierten Informations- und Beratungspflicht des Apothekers, allenfalls um die Verpflichtung zu einer Art »Plausibilitätskontrolle« der ärztlichen Verschreibung handeln. Gemeint ist damit eine eingeschränkte Über­prüfung der Verschreibung auf offensichtliche und schwerere Fehler oder Unklarheiten.

 

Eine solche Überprüfung der Verschreibung impliziert bereits § 17 Abs. 5 Satz 2 ApBetrO. Nach dieser Norm ist der Apotheker aufgefordert, die Ab­gabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu verweigern, soweit die Verschreibung einen erkennbaren Irrtum enthält, nicht lesbar ist oder sich sonstige Bedenken ergeben.

 

Eine umfassende Überprüfung der ärztlichen Verordnung wird aber auch nach der Rechtsprechung der Bundesgerichte nicht verlangt. Dem Apo­theker obliege nach dem BGH bei Vorlage einer Arzneimittelverschreibung »eine eigenständige, aber begrenzte Prüfungspflicht, deren Modalitäten in § 17 ApBetrO und – soweit es sich um spezielle Pflichten bei der Arzneimittelabgabe an (gesetzlich) Versicherte handelt – in § 129 SGB V und in den das Nähere bestimmenden Rahmenver­trägen über die Arzneimittelversorgung auf Bundesebene (§ 129 Abs. 2 – 4 SGB V) beziehungsweise ergänzenden Arzneilieferungsverträgen auf Landesebene (§ 129 Abs. 5) festgelegt sind»2. Nach Standpunkt des Bundessozialgerichts (BSG), den sich der BGH in seinem Urteil zu Eigen gemacht hat, ist der Apotheker »weder ein medizinischer Obergutachter noch eine medizinische Aufsichtsbehörde des Arztes«. Es handelte sich um »eine zeitlich-fachliche Überforderung des Apothekers […], wenn er jedes ihm vorgelegte Rezept auf dessen medizinische Richtigkeit überprüfen sollte»3.

 

Unabhängig dieser höchstrichter­lichen Entscheidungen spricht für einen nur eingeschränkten Überprüfungsumfang der Verschreibung durch den Apotheker unterdessen eine Vielzahl von rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen: Zunächst ist zu bedenken, dass die Realität in der öffent­lichen Apotheke oftmals von einer »Akkordversorgung« der Patienten geprägt ist. So kommen in Deutschland auf eine Offizin täglich im Schnitt etwa 180 Kunden. Im Vergleich dazu hat beispielsweise ein niedergelassener Hausarzt rund 50 Patienten pro Tag. Schon diese 8 min, die danach dem Arzt im Durchschnitt für die Patientenbetreuung verbleiben, sind bedenklich. Allein dadurch wird allerdings deutlich, dass der einzelne Apotheker bei der Beratung und Information unter enormem Zeitdruck steht.

 

Darüber hinaus besteht nach derzeitiger Gesetzeslage im Hinblick auf Diagnose sowie Art und Weise der Patientenbehandlung eine Informations­asymmetrie zwischen behandelndem Arzt und Apotheker. Weder Arzt noch Patient sind verpflichtet, dem Apotheker die Diagnose mitzuteilen, auf deren Grundlage eine Arzneimitteltherapieentscheidung vom Arzt getroffen wurde und in deren Folge der Apotheker zu einer entsprechenden Arzneimittel­abgabe veranlasst werden soll. Apotheker müssen daher bei der Beratung und Information des Patienten größtenteils »ins Blaue« hinein vorgehen und sind dabei erheblich auf die freiwillige Mitwirkung des Patienten und im Zweifel auf die Kommunikationsbereitschaft des Arztes angewiesen.

 

Im Hinblick auf die Diagnose – sofern diese dem Apotheker überhaupt offengelegt wird – muss und darf sich der Apotheker jedoch auf den behandelnden Arzt verlassen können. Denn die Diagnose gehört zum ureigenen Pflichtenkreis des Arztes und ist dem Apotheker gesetzlich verschlossen. Er darf daher darauf vertrauen, dass der Arzt in diesem Pflichtenkreis die erforderliche Sorgfalt einhält. Ärztliche Fehler auf dieser Ebene, die zu einer fehlerhaften Arzneimittelabgabe des Apothekers führen, können damit dem Apotheker unter keinen Umständen angelastet werden.

 

Im Rahmen der Arzneimitteltherapie selbst, die dem Apotheker regelmäßig in Gestalt der jeweiligen ärztlichen Verschreibung gegenübertritt, beschränkt die Therapiefreiheit des Arztes den Maßstab einer umfassenden Kontrolle, die – wegen des Zusammenspiels von Diagnose und Therapie – ohnehin nur dort möglich wäre, wo der Apotheker umfassend hierüber informiert und zeitlich zu einer Überprüfung in der Lage wäre. Denn die Therapiefreiheit erlaubt dem behandelnden Arzt grundsätzlich nicht nur die Wahl aus einem Pool mehrerer Standardmethoden, sondern auch die Abkehr von gefestigten Standards hin zu sog. Außenseiter- oder Neulandmethoden. Dem Arzt steht damit ein erheblicher Ermessensspielraum bei der Therapieentscheidung zu, weswegen dem Apotheker, selbst bei optimalem Erkenntnisstand – wenn ihm also Diagnose und so weiter bekannt wäre – nur die Prüfung einer medizinischen Vertret­barkeit der jeweiligen Verschreibung offenstünde.

 

In der Apothekenpraxis wird oftmals nur eine Kontrolle der Darreichungsform und Dosierung möglich sein. Allerdings gilt bei der Abgabe von risikoreichen Arzneimitteln wegen deren Gefährlichkeit für Leib oder Leben der Patienten selbstverständlich ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab, wie dies auch das OLG Köln zur Abgabe von Metildigoxin an Kinder zu Recht ausführt.

 

Jedenfalls dieser Sorgfaltsmaßstab wird zumindest immer eine Nachfrage beim behandelnden Arzt erforderlich machen, sofern seitens des Apothekers Zweifel an der Verschreibung be­stehen oder sich solche aufdrängen müssen.

 

Dem Apotheker, der seinen Sorgfaltspflichten nachkommen will und muss, kann daher – nicht allein um Haftungsfragen aus dem Weg zu gehen – sondern vor allem, um den Regeln und dem Ansehen seines Berufsstandes zu entsprechen und nicht zuletzt dem gesundheitlichen Wohl seiner Patienten zu dienen, bei Zweifeln über die ärztliche Verschreibung nur dringend empfohlen werden, Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt zu halten und die Abgabe dort zu verweigern, wo sich Ärzte einer Kooperation auf Augenhöhe verwehren und so Zweifel letztlich nicht ausgeräumt werden können. /

 

  1. Die Beweislastumkehr bewirkt, dass die Beweislast (das heißt die Verpflichtung zur Beweisführung) für die Frage des Ursachenzusammenhangs zwischen dem behaup­teten Fehler und dem behaupteten Schaden des Patienten auf den Behandelnden übergeht, der damit das Prozessrisiko der Un­beweisbarkeit trägt. Dieser durch richter­liche Rechtsfortbildung geschaffene Grundsatz ist nunmehr auch durch Pa­tientenrechtegesetz vom 20. Februar 2013 in § 630 h Abs. 5 BGB festgeschrieben worden.
  2. BGH Beschluss vom 25. November 2003 – 4 StR 239/03.
  3. BSG Urteil vom 17. Januar 1996 – 3 RK 26/94; BGH Beschluss vom 25. November 2003 – 4 StR 239/03.
     

*) Rechtsanwalt in Berlin und Promotions­student an der Universität Potsdam

 

Kontakt

Rechtsanwalt André Byrla, E-Mail: andre.byrla(at)rechtsanwalt-byrla.de

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