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Ethikkomitees

Über Leben und Tod entscheiden

20.06.2006  11:30 Uhr

Ethikkomitees

Über Leben und Tod entscheiden

von Conny Becker, Berlin

 

Soll die Beatmungsmaschine abgeschaltet werden? Ist es sinnvoll, einem Über-90-Jährigen eine PEG-Sonde zu legen? Therapiebegrenzung und Sterbebegleitung bringen Behandelnde in Konflikte. Bei deren Lösung können Ethikkomitees helfen.

 

Ein 55-jähriger Mann, der an einer amyotrophen Lateralsklerose leidet, muss seit mehreren Jahren maschinell beatmet werden. Mittlerweile sind dies 20 Stunden täglich, dabei ist er bei klarem Verstand. Nun bittet er seinen Arzt, die Beatmungsmaschine abzustellen. Fragen, von denen Leben oder Tod des Patienten abhängen, stellen Mediziner und Pflegende ebenso wie Angehörige und den Patienten selbst vor ethische Probleme. Hier setzen so genannte Ethikkomitees an, die helfen sollen, eine Entscheidung zu treffen. »Nicht zu verwechseln sind Ethikkomitees mit Ethikkommissionen«, sagte Professor Dr. Urban Wiesing auf einer Pressekonferenz der Bundesärztekammer (BÄK) in Berlin. So sind Ethikkommissionen bereits seit langem etabliert, sie geben Stellungnahmen zu medizinischen Forschungsvorhaben ab, erklärte der Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission (ZEKO) bei der BÄK.

 

Ethikkomitees hingegen versuchen, bei alltäglichen Problemen in der Behandlung und Pflege von Patienten zu helfen, und sind hier zu Lande noch eine relativ neue Erscheinung. Ursprünglich kommen sie aus den USA, wo sie in den 1970er-Jahren entstanden und mittlerweile sogar bei Krankenhausneugründungen verpflichtend sind. »In den 90er-Jahren gab es erste Gründungen in Deutschland«, sagte Wiesing. Einer bundesweiten Befragung der rund 2200 deutschen Krankenhäuser zufolge haben bis 2005 mindestens 150 von ihnen Komitees eingerichtet oder geplant, in insgesamt 200 besteht irgendeine Form der Ethikberatung. Da hier bislang noch Standards fehlen und zudem viele Vorurteile vorhanden sind, hat die ZEKO vergangenen Freitag eine Stellungnahme im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht (Ausgabe 24, Seiten 1703 bis 1707).

 

»Die Ethikberatung ist keine neue Hierarchieebene«, stellte der Mediziner klar. Vielmehr sei sie ein freiwilliges Beratungsangebot, das bei ethisch schwierigen Entscheidungen helfen soll. Sie findet stets nur auf Anfrage statt, die in der Mehrzahl von den Behandelnden, seltener von den Patienten kommt. Im 1000-Betten-Klinikum der Universität Tübingen, in dem Wiesing als Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte tätig ist, führt sein Team rund 30 Konsultationen pro Jahr durch. »10 bis 20 Prozent der Anfragen kommen auch von niedergelassenen Hausärzten«, sagte der Ethiker. Auch diese werden dann vom Ethikkomitee oder einer Untergruppe beraten. Häufigstes Problem stellen Therapiebegrenzungen dar, wenn etwa Krebspatienten ihre Therapie beenden wollen. Aber auch bei Spätabtreibungen, die noch im letzten Schwangerschaftsdrittel unter bestimmten Bedingungen möglich sind, würden häufig Ethikkomitees hinzugezogen.

 

Wichtig bei einer Einzellfallberatung ist nicht, dass das Komitee ein Votum formuliert. Dies ist nämlich nicht bindend, sondern dient nur als Orientierungshilfe. Vielmehr soll es moderieren und alle Beteiligten an einen Tisch bringen. So können auch Patienten erfahren, wie verschiedene Fachärzte ihre Ansichten erklären. Ist der Patient nicht entscheidungsfähig und liegt keine Patientenverfügung vor, gilt es, mit Hilfe eines Angehörigen den mutmaßlichen Patientenwillen zu eruieren. Sind auch rechtliche Fragen zu klären, können an einem solchen Treffen auch Juristen teilnehmen. Die Verantwortung wird allerdings keinem abgenommen, die therapeutische Entscheidungsfreiheit bleibt beim Arzt, sie wird aber transparenter.

 

Die Mehrzahl der Ethikkomitees ist in Krankenhäusern entstanden, sie sind aber auch in Pflege- oder Behinderteneinrichtungen oder selten im ambulanten Bereich zu finden. Problematisch ist, dass die Einrichtung eines solchen Komitees nicht verpflichtend ist und seien will, da das Konzept auf Freiwilligkeit basiert. Doch diese Freiwilligkeit erschwert es, Institutionen für ethische Fragen zu sensibilisieren, die sich bislang kaum damit befasst haben. Aber auch in Kliniken mit Ethikkomitee ist nicht allen Mitarbeitern der Umgang mit ethischen Problemen vertraut. Daher zählen neben der fallbezogenen ethischen Beratung und dem Erstellen von Leitlinien für wiederholt auftretende Probleme auch die Fort- und Weiterbildung für alle Berufsgruppen im Krankenhaus zu den Aufgaben des Komitees. Vorteilhaft ist, wenn in einem solchen Komitee möglichst viele Berufgruppen und Hierarchieebenen vorhanden sind, da auf diese Weise viele Perspektiven in die Entscheidungsfindung einfließen und zudem die größtmögliche Akzeptanz der Kollegen zu erwarten ist.

 

Während Fallberatungen durch das gesamte meist 7- bis 20-köpfige Komitee sehr zeitaufwendig sind und ein einzelner professioneller Ethikberater als »Einzelkämpfer« weniger Einfluss hat, haben sich laut Wiesing dezentrale Modelle bewährt. Hierbei beraten Untergruppen des Komitees, die praxisnah in den Abteilungen des Krankenhauses arbeiten. Dies senke die Schwelle für eine Ethikberatung und ebne den Weg für eine bessere Kommunikation zwischen allen Beteiligten.

Finanzen als Problem?

»Bisher spielen ökonomische Faktoren keine große Rolle bei der Arbeit von Ethikkomitees«, sagte Professor Dr. Jochen Vollmann von der Ruhr-Universität Bochum. Die Therapiekosten beeinflussten eine Entscheidung lediglich am Rande. In den USA allerdings bereiten die Kosten einer Behandlung häufig Probleme, da viele Amerikaner nicht krankenversichert sind. Und auch hier zu Lande steigt die Zahl der Nichtversicherten leicht an, so Vollmann. Auf dem diesjährigen Hauptstadtkongress soll sogar von 188.000 Deutschen ohne Versicherungsschutz die Rede gewesen sein.

 

»Das kann auch bei uns zu einem Problem werden«, sagte der Mediziner aus eigener Erfahrung. So sei in Bochum bereits der Fall eingetreten, dass ein Nichtversicherter zahlungsunfähig war. Er wurde dennoch behandelt, und die Kosten trug das Krankenhaus, denn Einzelfälle könnten kompensiert werden. Vollmann hofft, dass ein solcher Fall selten eintritt, denn: »Das ist die schwierigste Situation, die sie sich als Mediziner vorstellen können.«

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