Leben mit dem Pfeifen |
09.06.2015 14:47 Uhr |
Ohrgeräusche können die Lebensqualität von Betroffenen enorm beeinträchtigen. Durch eine gezielte Änderung der Wahrnehmung können sie aber lernen, damit umzugehen und den Tinnitus als weniger störend zu empfinden. Weitere evidenzbasierte Therapiemöglichkeiten gibt es beim chronischen Tinnitus dagegen kaum.
Ein chronischer Tinnitus entsteht meist durch eine irreparable Schädigung der Haarzellen im Innenohr. Die Ohrgeräusche gehen fast immer auch mit einer Hörminderung einher, doch erst die zentrale Verarbeitung im Kortex macht sie zu einer Belastung für den Patienten.
Eine Stummschalt-Taste wie auf der Fernbedienung des Fernsehers wünschen sich Patienten mit Tinnitus für ihre Ohrgeräusche. Leider gibt es so etwas nicht, und sie müssen lernen, mit dem Pfeifen im Ohr zu leben.
Foto: Imago/ Westend61
»Einen Tinnitus kann man maskieren, ihn aber nicht auslöschen«, sagte Professor Dr. Gerhard Hesse von der Tinnitus-Klinik am Krankenhaus Bad Arolsen. Erfolg versprächen daher in der Regel nur solche Behandlungsansätze, die die Wahrnehmung des Tinnitus verändern und dem Patienten helfen, bestimmte Geräusche herauszufiltern und ihnen weniger Beachtung zu schenken.
Für die Therapie unterscheidet man zwischen einem akuten Tinnitus, der zwischen sechs und zwölf Wochen besteht, und einem bereits länger dauernden, chronischen. Beim chronischen Tinnitus gibt es zahlreiche Therapieansätze, so Hesse. »Erfolg versprechen jedoch die wenigsten.« So zeigten Studien nur für die Verhaltenstherapie eine schwache Evidenz, wirksame Medikamente gebe es beim chronischen Tinnitus dagegen nicht.
Das Hören schulen
Ginkgo biloba wirkt laut einer Cochrane-Metaanalyse nicht besser als Placebo, und auch für den Einsatz von Betahistin gibt es in dieser Indikation keine Evidenz. Antidepressiva können bei der Behandlung von psychischen Begleiterscheinungen hilfreich sein, wirken jedoch nicht ursächlich gegen Ohrgeräusche. Auch Melatonin, das lange vor allem in den USA stark beworben wurde, wirkt im Wesentlichen über eine Verbesserung des Schlafs. Neben einer psychologischen Stabilisierung empfahl Hesse, den Hörverlust mit einem Hörgerät zu behandeln. Gleichzeitig könne den Patienten eine Hörtherapie helfen, die das bewusste Hören schult.
Besser sieht die Situation beim akuten Tinnitus aus: Er kann ebenso wie ein Hörsturz mit einer hochdosierten Steroidtherapie oral oder systemisch gut behandelt werden – wenngleich die Studienlage insgesamt noch unzureichend sei, bedauerte Hesse. Eine niedrigdosierte Cortisontherapie habe in klinischen Studien nicht überzeugt. »Wenn Cortison eingesetzt wird, muss es hoch dosiert werden«, sagte der Mediziner. Als Reservetherapie eignet sich die intratympanale Steroidtherapie, bei der das Glucocorticoid direkt ins Mittelohr injiziert wird.
Hörsturz verschwindet oft von allein
Der Hörsturz – besser bezeichnet als plötzliche sensorineurale Hörminderung – tritt meist einseitig auf, häufig mit den Begleitsymptomen Schwindel und Tinnitus. In der Regel ist keine klare Ursache erkennbar. »Ein Hörsturz ist ein Eilfall, aber kein Notfall«, sagte Hesse. Man könne zunächst eine Spontanheilung abwarten; in 70 bis 80 Prozent der Fälle verschwänden die Symptome nach ein bis zwei Tagen wieder. Bleibt die Hörminderung jedoch bestehen, beeinträchtigt sie die Lebensqualität enorm: Es entstehen oftmals Unsicherheit und Ängste bis hin zu depressiven Symptomen.
Therapiert wird der Hörsturz ebenso wie der akute Tinnitus. Früher habe man in diesen Fällen hauptsächlich durchblutungsfördernde Behandlungsmethoden angewandt. Klinische Studien zeigten aber kaum messbare Erfolge, so Hesse. Auch Hydroxyethylstärke (HAES)-Infusionen seien aus heutiger Sicht beim Hörsturz obsolet.