Fehleinsatz ist die Regel |
09.06.2015 15:08 Uhr |
Infektionen der oberen und unteren Atemwege werden in der Regel durch Viren, in seltenen Fällen durch Bakterien hervorgerufen. Doch in der Praxis ist eine Differenzierung zwischen viraler und bakterieller Genese meistens nicht möglich. Darin sieht Professor Dr. Gert Höffken vom Universitätsklinikum Dresden den Grund für den zu häufigen Einsatz von Antibiotika bei Atemwegserkrankungen.
»Dieser Fehleinsatz ist einer der Gründe für die zunehmende Resistenzentwicklung bei Atemwegserregern«, sagte der Arzt. Vor allem bei den Erkrankungen der oberen Atemwege bestehe keine generelle Indikation für Antibiotika.
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Klassisches Negativbeispiel sei die Mittelohrentzündung Otitis media, die sich durch eine hohe Selbstheilungsrate auszeichnet. Leitliniengerecht sollten hier abschwellende Nasentropfen und Antipyretika gegeben werden. Nur bei schwerem Verlauf sind Antibiotika wie Aminopenicilline, orale Cephalosporine oder Makrolide indiziert.
Gleiches gilt für die akute Rhinosinusitis, die überwiegend viral bedingt ist. Es handelt sich um eine selbstlimitierende Erkrankung und nur in schweren Fällen sollten Aminopenicilline mit oder ohne β-Lactamasehemmer sowie Cephalosporine gegeben werden. Auch die akute Tonsillopharyngitis, eine Entzündung der Rachenschleimhaut, wird vorwiegend durch Viren hervorgerufen.
Antibiotika nur in schweren Fällen
Bei schweren Verläufen kann es sich auch um eine Infektion mit β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A handeln, die früher mit einer akuten Entzündung der Nierenkörperchen, der Poststreptokokken-Glomerulonephritis, beziehungsweise mit rheumatischem Fieber in Verbindung gebracht wurde. »Beide Komplikationen stellen heutzutage keine generelle Indikation mehr für eine Antibiotika-Gabe dar«, betonte Höffken. Nur bei schwerem klinischem Verlauf werden gemäß eines Score-Systems Antibiotika wie Penicillin V, Makrolide oder Cephalosporine der Gruppe 1 gegeben.
Sehr wohl indiziert ist eine antibiotische Therapie dagegen beim Keuchhusten. Zwar haben Antibiotika keinen Einfluss auf den klinischen Verlauf, jedoch könne mit Makroliden und Cotrimoxazol die Infektionskette unterbrochen werden. »Pertussis ist eigentlich eine Kinderkrankheit, aber es erkranken zunehmend immer mehr Erwachsene«, sagte Höffken. Daher empfehle die Ständige Impfkommission (STIKO) ab dem 18. Lebensjahr eine Pertussis-Auffrischimpfung alle zehn Jahre.
Auch bei der ambulant erworbenen Pneumonie (CAP) ist zwingend eine Antibiotika-Gabe mit Amoxicillin oder Makroliden indiziert, da die Letalität je nach Schwere der Erkrankung zwischen 1 und 38 Prozent schwankt. »Das schlägt jeden akuten Herzinfarkt«, so Höffken. Als präventive Maßnahme empfahl der Referent die Impfung gegen Influenza und Pneumokokken. Höffken favorisierte hier den Konjugat-Impfstoff, da dieser geboostert werden könne und sich nach dessen Verabreichung anders als beim Polysaccharid-Impfstoff ein immunologisches Gedächtnis ausbilde. Zudem liege nur für den Konjugat-Impfstoff eine randomisierte placebokontrollierte Studie vor, die einen präventiven Effekt auf die Häufigkeit von Vakzine-Serotypen bedingten CAP bei Über-64-Jährigen zeigt.
Den Patienten mit einbinden
Höffken plädierte für einen rein indikationsbezogenen Einsatz von Antibiotika bei Atemwegserkrankungen. »Eine hervorragendes Mittel, Resistenzen vorzubeugen, ist zudem das sogenannte Delayed Prescribing«, sagte der Referent. Unter diesem vorbehaltlichen Verschreiben versteht man Folgendes: Der Arzt gibt dem Patient ein Rezept über ein Antibiotikum mit, verbindet dies jedoch mit dem Hinweis, er solle es erst einlösen, wenn zuvor genau besprochene Symptome eintreten.