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Alten- und Pflegeheimbewohner

Versorgung fernab von optimal

01.06.2016  09:45 Uhr

Patienten in Alten- und Pflegeheimen sind prädisponiert für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW). Zudem gehen Anspruch und Wirklichkeit bei der Versorgung dieser Menschen in Sachen Medikation weit auseinander. Apotheker können sich mit ihrer Kompetenz gut einbringen. Allerdings ist dies keine One-Man-Show. Alle Berufe im Gesundheitswesen müssen an einem Strang ziehen.

Im Jahr 2013 lebten in Deutschland circa 2,6 Millionen pflegebedürftige Menschen, ungefähr ein Drittel davon wurde vollstationär in Heimen versorgt. Darüber informierte Professor Dr. Ulrich Jaehde von der Universität Bonn. »Es werden in Deutschland hohe Ansprüche an die Versorgung der Betroffenen gestellt«, so der Apotheker. Die Wirklichkeit sehe allerdings anders aus. Jaehde berichtete von Heimen, die wegen schwerwiegender Pflegemängel geschlossen wurden. Der Pflegequalitätsbericht zeige beispielsweise, dass die medikamentöse Versorgung in 10 Prozent aller Fälle nicht den ärztlichen Anforderungen entspricht und dass der Umgang mit Arzneimitteln in 14 Prozent aller Fälle nicht sachgerecht ist.

Jaehde stellte die Ergebnisse eines Projekts vor, in dessen Rahmen UAW von 778 Bewohnern in elf Heimen dokumentiert wurden. Die Inzidenz betrug immerhin acht UAW pro 100 Heimbewohnermonate. Die Konsequenzen davon waren häufig Hausarzt- oder Facharztvisiten, Einsätze des Notdiensts oder Krankenhauseinweisungen. Jaehde: »Rund zwei Drittel der UAW wären vermeidbar gewesen.«

 

Nierenfunktion oft unberücksichtigt

 

Als wichtige Risikofaktoren für UAW nannte der Referent eine Hyperpolymedikation mit mindestens zehn Arzneimitteln und eine ungeeignete Dosierung aufgrund der Nierenfunktion des Patienten. Laut Jaehde lag bei nur 60 Prozent der Heimbewohner überhaupt ein aktueller Serum-Kreatinin-Wert vor, sodass die Dosierung an die Organfunktion hätte angepasst werden können. Aber selbst wenn dieser Wert bekannt war, wurde nur in der Hälfte aller Fälle die Dosierung angepasst. »Hier gibt es noch viel zu tun«, so Jaehde. Immerhin erhöhe eine ungeeignete Dosierung aufgrund der Nierenfunktion das Risiko für eine UAW um den Faktor 2,5.

 

Generell muss es Jaehde zufolge Anspruch sein, UAW zu vermeiden. Sorgfalt im Umgang mit Arzneimitteln, bei ihrer Auswahl und der Anpassung der Dosis sowie eine regelmäßige Überprüfung der Medikation seien hier entscheidend. Der Referent informierte, dass derzeit verschiedene Interventionen zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) in Heimen entwickelt werden. Eines davon ist das AMTS-Ampel-Projekt. Dabei wurden in Heimen AMTS-Teams aus Apothekern und Pflegekräften gebildet, deren Aufgabe es ist, UAW zu erkennen und den Ärzten Lösungsvorschläge anzubieten. Dabei bringen beide Berufsgruppen ihre Kompetenzen ein; die Pfleger dokumentieren neue klinische Symptome der Heimbewohner und die Apotheker führen Medikationsanalysen durch. Das Ergebnis ist eine deutliche und nachhaltige Reduktion der UAW von mehr als 50 Prozent.

 

Erfolge nur gemeinsam

 

Als zweites Modellprojekt stellte Jahede die geriatrische Medikationsanalyse im Rahmen einer Vereinbarung zwischen dem Apothekerverband Nordrhein und der AOK Rheinland/Hamburg vor. Im Mittelpunkt dieser apothekerlichen Dienstleistung steht die Überprüfung der Medikation auf potenziell inadäquate Medikamente gemäß Priscus-Liste, inadäquate Dosierung und Arzneimittelinteraktionen. Ergebnisse zeigen, dass Apotheker viel zur AMTS beitragen können, indem sie arzneimittelbezogene Probleme, darunter viele sicherheitsrelevante, detektieren. Bedauerlich sei, dass die Interventionsvorschläge der Apotheker von den Ärzten zu selten angenommen werden. So sei in der Pilotphase knapp die Hälfte der Vorschläge abgelehnt worden. »Es geht nur gemeinsam«, betonte der Referent die Bedeutung von berufsgruppenübergreifendem Denken und Handeln, um zukünftig den Ansprüchen an die Arzneimitteltherapie in Heimen zu werden.

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