Töne auf Rezept |
27.05.2014 09:27 Uhr |
Von Nicole Lücke / Musik gehört zu unserem Leben. Sie versetzt uns in gute Stimmung, kann trösten oder Erinnerungen wachrufen. Sie hat aber nicht nur Einfluss auf die Seele, sie trainiert auch das Gehirn und kann sogar den Herzschlag verändern. Wer selbst musiziert, steigert zudem seine motorischen Fähigkeiten und die soziale Kompetenz.
Der Einfluss von Musik auf unsere Stimmung ist unbestritten und sogar messbar. Bei aggressiven Beats schüttet der Körper verstärkt Adrenalin aus, während sanfte, ruhige Klänge zu einer geringeren Konzentration an Stresshormonen führen. Gleichzeitig kurbeln sie die Produktion von Betaendorphinen an, die als körpereigene Opiate das Schmerzempfinden herabsetzen. Auch das sogenannte Glückshormon Serotonin wird von Tönen beeinflusst. Der ganze Körper scheint mitzuschwingen, während er die Schallwellen verarbeitet. Die Gehirnzellen zeigen eine höhere Aktivität, Blutdruck, Puls, Atem- und Herzfrequenz verändern sich.
Dass Musik auf unbewusster Ebene funktioniert, hat Professor Harald Schachinger bereits vor mehr als zehn Jahren gezeigt. Der damalige Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin am Berliner Waldkrankenhaus spielte Cello in Gegenwart von Frühgeborenen. Später bekamen die Frühchen ausgewählte Stücke über Kopfhörer vorgespielt. Durch die harmonischen Klänge normalisierten sich nicht nur Atmung und Herzschlag, sogar die Sterberate der kleinen Patienten sank. Inzwischen haben einige Kliniken in Deutschland speziell geschulte Musiktherapeuten für Frühgeborene eingestellt. Während es bei Schachinger ums Zuhören ging, also um den rezeptiven Einsatz von Musik, beobachtete der Musik-Pädagoge Professor Dr. Hans Günther Bastian sechs Jahre lang die Entwicklung von Grundschülern, die selbst Instrumente spielten. Sein Ergebnis: Je mehr Musik, desto besser. »Im sozialen Bereich sind die Effekte teilweise sensationell hoch«, sagt er. Kinder, die gemeinsam musizierten, grenzten Klassenkameraden seltener aus, das Klima sei insgesamt freundlicher. Bastian hat dafür eine einfache Erklärung. Wer aufeinander hören und sich im wahrsten Sinne des Wortes abstimmen müsse, lerne automatisch Teamfähigkeit. Außerdem schnitten die eifrigen jungen Musiker auch in anderen Bereichen besser ab. Denn viele Vernetzungen, die das Gehirn fürs Musizieren und Verarbeiten der Klänge herstellt, kann es auch für andere Aufgaben nutzen, zum Beispiel für das Lernen von Sprachen.
Sprache ohne Worte
Sogar bei Erkrankungen des Gehirns wird Musiktherapie eingesetzt, auch wenn sie den geistigen Abbau vermutlich nicht aufhalten kann. »Zwar ist es bislang nicht gelungen, nachweislich die Leistung des Gedächtnisses durch Musiktherapie zu verbessern, aber trotzdem hilft sie den Betroffenen«, sagt Arthur Schall, Musikwissenschaftler und Psychologe im Arbeitsbereich Altersmedizin der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er untersucht die Auswirkung von Musik bei demenziellen Erkrankungen. Im Verlaufe der Demenz ließe bei den Patienten auch das Sprachvermögen nach, sagt der Psychologe. Das mache aggressiv, »weil die Menschen ein elementares Bedürfnis haben, sich mitzuteilen«. Schall regte die Erkrankten an, auf einfachen Instrumenten wie Trommeln oder einem Xylophon zu spielen – möglichst gemeinsam mit ihren Angehörigen. In der zweijährigen Pilotstudie konnte er zeigen, dass sich das Wohlbefinden der Teilnehmer deutlich verbesserte und sie nicht mehr so aggressiv reagierten. Auch in der Therapie von Autisten hat das Prinzip »Musik als Sprache ohne Worte« einen festen Platz.
Musikalischer Mandelkern
Musik hilft nicht nur dabei, Emotionen auszudrücken, sie kann sie auch auslösen, weiß Professor Dr. Stefan Koelsch von der Freien Universität Berlin. Der Musikpsychologe hat 21 neurowissenschaftliche Studien ausgewertet, die in bildgebenden Verfahren den Einfluss von Klängen aufs Gehirn zeigten. Musik spricht unter anderem den sogenannten Mandelkern (Amygdala) und den Hippocampus an. Beide gehören zum limbischen System, das für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist. Koelsch ist überzeugt, dass die Möglichkeiten der Musiktherapie noch lange nicht ausgeschöpft sind, »auch wenn wir noch ganz am Anfang stehen, was den Wirkungsnachweis dieser Methoden betrifft«. Potenzial beim Einsatz von Musiktherapie sieht er unter anderem bei Patienten mit Depressionen. Finnische Forscher haben beispielsweise beobachtet, dass Betroffene durch regelmäßiges Musizieren Anspannungen abbauen konnten und Erfolgserlebnisse hatten. Die Konzentration auf den Rhythmus erhöhte außerdem grundsätzlich die Aufmerksamkeit und führte so zu mehr Aktivität. Die Wissenschaftler sehen Musiktherapie daher als gute Ergänzung zu den Standard-Behandlungen an.
Ein wichtiges Element beim Einsatz von Musiktherapie ist die Lernfähigkeit des Gehirns. Das Deutsche Zentrum für Musiktherapieforschung in Heidelberg wendet sie zum Beispiel bei der Tinnitus-Behandlung an. Die chronischen Ohrgeräusche entstehen im Gehirn durch eine gestörte Signalverarbeitung. Die Forscher versuchen nun, das Hirn umzupolen. Dafür erstellen sie zunächst individuell für jeden Betroffenen einen Klang, der dem Tinnitus ähnelt. Diesen Ton müssen die Patienten sowohl regelmäßig hören als auch selbst erzeugen. Normalerweise ist der Tinnitus dominant. Auf seiner Frequenz hören die Patienten Geräusche von außen also sehr schlecht. Durch die wiederkehrenden Übungen lernen sie, Musik in der Tonlage des Tinnitus wieder besser zu hören – und den Tinnitus aus dem Bewusstsein zu verdrängen.
Zusätzlich spielen die Ärzte spezielle Klänge ab, um die Bereiche des Gehirns zu aktivieren, wo die Geräusche verarbeitet werden. Den Tinnitus können sie so bei den meisten Patienten zumindest verbessern, weil er sich verändert und bis zu zwei Oktaven tiefer klingt. Das Geräusch wird also angenehmer und damit besser erträglich. Ein vollständiges Abklingen der störenden Töne erreichten die Wissenschaftler jedoch nur vorübergehend und das auch nur bei 15 Prozent der Studienteilnehmer. Ein Allheilmittel ist die Musiktherapie also nicht, dennoch sollte man ihre zunehmende Rolle für einige Bereiche in der Medizin nicht unterschätzen. Frei von negativen Nebenwirkungen ist sie auf jeden Fall. /
Absetzen überwachen
Daher ist beim Absetzen von Medikamenten immer die gleiche Aufmerksamkeit geboten wie bei Beginn einer Pharmakotherapie. Der Patient sollte während des Absetzens und danach langfristig überwacht werden, um mögliche Nebenwirkungen oder wiederauftretende Symptome schnell erfassen zu können.
Für diese Kontrollen sollte der Arzt Zeitabstände und Zeiträume festlegen. Je nach Medikament kann das von einigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten reichen. Der Patient muss auch wissen, welche Symptome durch das Absetzen entstehen können und wie er sich dann verhalten soll. Dazu können Selbsthilfemaßnahmen gehören, aber auch umgehende Arztbesuche.
Inzwischen gibt es einige Studien zu verschiedenen Arzneistoffen oder Arzneistoffgruppen, die das konkrete Vorgehen und die Konsequenzen beim Deprescribing erforscht haben. Dazu gehören etwa Statine, Benzodiazepine und Protonenpumpenhemmer (PPI).
Statine bis zum Lebensende?
Statine gehören zu den wichtigsten Arzneimitteln zur Prävention von kardiovaskulären Ereignissen und Todesfällen und werden entsprechend häufig verordnet. Während der Stellenwert in der Sekundärprävention nach Herzinfarkt und Schlaganfall relativ eindeutig ist, wird die Größenordnung des Nutzens in der Primärprävention – also ohne vorhergehendes kardiovaskuläres Ereignis – kontrovers diskutiert (6). Das gilt besonders bei älteren Patienten (7). Deshalb kann ein Verzicht auf Statine sinnvoll sein, wenn die verbleibende Lebenserwartung eher gering eingeschätzt wird.
Eine randomisierte kontrollierte Studie untersuchte das Absetzen von Statinen bei rund 380 Patienten mit einer begrenzten Lebenserwartung zwischen einem Monat und einem Jahr, die den Lipidsenker zuvor mindestens drei Monate lang zur primären oder sekundären Prävention eingenommen hatten (8). Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zugeteilt: Eine Gruppe setzte das Statin ohne Dosisreduktion ab, die andere nahm es wie bisher weiter. Nach einem Jahr verglichen die Forscher unter anderem die Auswirkungen auf Sterblichkeit, kardiovaskuläre Ereignisse und Lebensqualität. Dabei konnten sie keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Gruppen feststellen. Allerdings gab es relativ große Unterschiede in den Gruppen, sodass der Effekt nur unpräzise geschätzt werden konnte. Außerdem waren weder Patienten noch Ärzte verblindet. Eingeschlossen wurden nur Patienten, bei denen die Ärzte das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis in naher Zukunft für unwahrscheinlich hielten.
Diese Aspekte schränken die Aussagekraft und die Übertragbarkeit der Studie ein (9). Weitere Untersuchungen mit guter Methodik sind notwendig.
Säureblocker wieder loswerden
PPI gelten als Mittel der ersten Wahl bei der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) und bei peptischen Ulzera. Für diese Indikationen beträgt die initiale Behandlungsdauer in der Regel wenige Wochen bis Monate. Eine Dauermedikation ist meist nur bei Patienten mit hohem Risiko für gastrointestinale Blutungen, schwerer Ösophagitis oder speziellen Erkrankungen wie Barrett-Ösophagus oder Zollinger-Ellison-Syndrom vorgesehen. In der Praxis werden PPI jedoch häufig langfristig verordnet, ohne die weitere Notwendigkeit regelmäßig zu überprüfen (1, 10).
Obwohl Patienten eine kurzfristige PPI-Gabe meist gut vertragen, deuten Beobachtungsstudien bei Dauertherapie auf mögliche Probleme hin. So fanden Forscher in Studien statistische Zusammenhänge zwischen einer langfristigen Behandlung mit PPI und einem erhöhten Risiko für Frakturen, Infektionen mit Clostridium difficile oder Hypomagnesiämie (1). PPI gelten deshalb als mögliche Kandidaten, wenn die Medikamentenlast älterer Patienten reduziert werden soll. Allerdings fehlen qualitativ hochwertige Studien, die einen Effekt des Deprescribing auf patientenrelevante Endpunkte zeigen (10).
Vergleiche und Endpunkt | Ergebnis | Datenbasis | Qualität der Evidenz |
---|---|---|---|
On-demand-Therapie versus kontinuierliche Therapie, Endpunkt fehlende Symptomkontrolle | 15,7 versus 9,2 Prozent RR = 1,71 (95-%-KI: 1,31 bis 2,21) | 5 RCT mit insgesamt 1653 Teilnehmern | niedrig |
Abruptes Absetzen versus kontinuierliche Therapie, Endpunkt fehlende Symptomkontrolle | 67,8 versus 22,4 Prozent, RR = 3,02 (95-%-KI: 1,74 bis 5,24) | 1 RCT mit 105 Teilnehmern | sehr niedrig |
PPI-Erhaltungsdosis versus Standarddosis, Endpunkt wiederkehrende Symptome | 42,3 versus 42,6 Prozent, RR 1,16 (95-%-KI: 0,93 bis 1,44) | 5 RCT mit insgesamt 1912 Teilnehmern | niedrig |
PPI-Erhaltungsdosis versus Standarddosis, Endpunkt wiederkehrende Ösophagitis | 24,9 versus 15,6 Prozent, RR 1,54 (95-%-KI: 1,25 bis 1,89) | 6 RCT mit insgesamt 2107 Teilnehmern | moderat |
H2-Rezeptorantagonisten versus kontinuierliche Gabe von PPI, Endpunkt wiederkehrende Symptome | 39,2 versus 20,8 Prozent, RR 1,92 (95-%-KI: 1,44 bis 2,58) | 3 RCT mit insgesamt 468 Teilnehmern | moderat |
H2-Rezeptorantagonisten versus kontinuierliche Gabe von PPI, Endpunkt wiederkehrende Ösophagitis | 50 versus 14,9 Prozent, RR 3,52 (95-%-KI: 1,80 bis 6,87) | 3 RCT mit insgesamt 484 Teilnehmern | moderat |
Verschiedene Strategien zum Absetzen
Eine Sorge beim Beenden der PPI-Therapie besteht in einem möglichen Rebound. Gerade nach längerer Einnahme kann die Säureproduktion des Magens abrupt ansteigen, wenn PPI abgesetzt werden. Dadurch können sich die Reflux-Symptome des Patienten verschlechtern.
Welchen Einfluss verschiedene Deprescribing-Strategien darauf haben, wurde in einem aktuellen Cochrane-Review untersucht (11). Eingeschlossen wurden Studien mit Patienten, die mindestens vier Wochen lang einen PPI eingenommen hatten, und die eine Deprescribing-Strategie mit fortgesetzter Einnahme verglichen. Die Review-Autoren konnten allerdings nur Studien mit zwei verschiedenen Deprescribing-Strategien identifizieren. Eine Studie untersuchte die Konsequenzen des abrupten Absetzens. In fünf weiteren Studien wurde die Dauermedikation abgesetzt, allerdings konnten die Patienten bei erneuten Symptomen nach Bedarf kurzfristig einen PPI einnehmen (on-demand-Behandlung). Studien zur schrittweisen Dosisreduktion fanden die Autoren nicht.
Die Patienten in den Studien zum Vergleich mit einer Bedarfstherapie waren zwischen 48 und 57 Jahren alt und litten unter leichter GERD mit oder ohne leichte Ösophagitis. Zwar klagten in der Gruppe mit kontinuierlicher Einnahme weniger Patienten über eine unzureichende Symptomkontrolle, jedoch erreichten auch mit Bedarfstherapie mehr als 80 Prozent eine ausreichende Kontrolle der Symptome. Zudem konnten die Teilnehmer mit Bedarfstherapie ihre wöchentliche Medikamenteneinnahme um rund vier Tabletten reduzieren. Wegen diverser methodischer Mängel in den Studien, die die Symptomkontrolle untersuchten, bewerteten die Review-Autoren dieses Ergebnis als Evidenz von niedriger Qualität.
In der Studie mit abruptem Absetzen der PPI waren die Patienten mit durchschnittlich 73 Jahren deutlich älter und litten unter leichter bis mittlerer Ösophagitis. Unzureichende Symptomkontrolle beklagten 22 Prozent der Patienten mit fortgesetzter Einnahme und 68 Prozent der Patienten nach abruptem Absetzen. Allerdings heißt das auch: Rund ein Drittel der Patienten vertrug das abrupte Absetzen gut. Die Review-Autoren bewerteten diese Ergebnisse wegen methodischer Mängel und der relativ geringen Teilnehmerzahl als Evidenz von sehr niedriger Qualität. Eingeschränkt wird die Aussagekraft aller Studien durch die relativ kurze Nachbeobachtungszeit von drei bis sechs Monaten.
Empfehlungen für PPI
Auf der Basis dieses Reviews und weiterer Studiendaten zur Erhaltungstherapie bei Refluxösophagitis (Tabelle 2) wurde eine kanadische Leitlinie zum Deprescribing von PPI entwickelt. Wenn Erwachsene mit säurebedingten Oberbauchbeschwerden nach vierwöchiger Behandlung symptomfrei sind und keine Faktoren vorliegen, die eine fortgesetzte Behandlung notwendig machen, empfehlen die Leitlinien-Autoren bevorzugt eine Reduktion der täglichen Dosis oder Absetzen des PPI und kurzfristige Behandlung mit PPI im Bedarfsfall. Nachgeordnet kann auch die Gabe von H2-Rezeptorantagonisten als Alternative erwogen werden.
… zur Reduktion von Schlaflosigkeit beim Deprescribing von Benzodiazepinen, nach (14):
Zur Empfehlung gehört auch die Überwachung der Patienten über drei Monate. Treten in diesem Zeitraum wieder Beschwerden auf, können die Symptome mit OTC-Mitteln, zum Beispiel PPI, H2-Antagonisten oder Alginaten, behandelt werden. Auch nicht-medikamentöse Maßnahmen werden empfohlen, etwa das Höherstellen des Betts, zeitlicher Abstand von zwei bis drei Stunden zwischen Abendmahlzeit und Zubettgehen sowie bei Bedarf Senkung von Übergewicht und Vermeiden von bestimmten Lebensmitteln, die die Patienten als Auslöser von Beschwerden erkannt haben.
Falls die Beschwerden dennoch dauerhaft weiterbestehen, empfiehlt die Leitlinie eine weiterführende Diagnostik, etwa auf Helicobacter-pylori-Befall. Arzt und Patient sollten dann gemeinsam überlegen, die ursprüngliche Therapie wieder aufzunehmen (12).
Benzodiazepine absetzen
Benzodiazepine und Z-Substanzen werden hauptsächlich bei Schlafstörungen und Angsterkrankungen eingesetzt. Sie können jedoch besonders bei längerer Anwendung zu Toleranzentwicklung und/oder Abhängigkeit führen und gerade bei älteren Patienten das Risiko für Stürze und Knochenbrüche erhöhen. Beobachtungsstudien deuten auch auf einen möglichen statistischen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Benzodiazepinen und der Entwicklung einer Demenz hin. Allerdings ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob es sich dabei tatsächlich um einen kausalen Zusammenhang handelt oder die Sedativa nicht vielmehr für Schlafstörungen verordnet werden, die im Prodromalstadium einer bisher nicht diagnostizierten Demenz auftreten.
Eine systematische Übersichtsarbeit identifizierte fünf randomisierte kontrollierte Studien zum Deprescribing von Benzodiazepinen und Z-Substanzen, in denen verschiedene Strategien bei Patienten ab 65 Jahren nach mindestens vierwöchiger Therapie untersucht wurden. Zu den untersuchten Strategien gehörten Dosisreduktion, Ersatz der Benzodiazepine durch Melatonin, Medikationsanalyse und Patientenedukation, teilweise auch in Kombination. In vielen Studien gelang der Benzodiazepin-Entzug ohne schwerwiegende Nebenwirkungen. Allerdings ließ sich kein eindeutiger Effekt auf patientenrelevante Endpunkte zeigen, da entsprechende Zielgrößen nicht immer untersucht wurden und/oder die Teilnehmerzahlen in den meisten Studien für einen Nachweis zu gering waren. Auch lassen sich keine verlässlichen Aussagen ableiten, welche Strategie am erfolgversprechendsten erscheint. Hier besteht also weiterer Forschungsbedarf (13).
Iris Hinneburgstudierte Pharmazie an der Philipps-Universität in Marburg und wurde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg promoviert. Nach Tätigkeiten in Forschung und Lehre in Halle und Helsinki (Finnland) arbeitet sie heute freiberuflich als Medizinjournalistin. Ihr Schwerpunkt ist die pharmazeutische Fortbildung. Sie ist Fachbuchautorin und produziert einen Podcast mit Themen aus Medizin und Pharmazie für die Fortbildung in der Apotheke.
Dr. Iris Hinneburg
Wegscheiderstraße 12
06110 Halle (Saale)
www. medizinjournalistin.blogspot.com
Weg von Sedativa
Derzeit wird in Kanada eine Leitlinie zum Deprescribing von Sedativa wie Benzodiazepinen und Z-Substanzen entwickelt. Ein entsprechender Algorithmus ist bereits veröffentlicht. Danach wird eine Reduktion beziehungsweise Absetzen nur dann empfohlen, wenn die Sedativa zur Behandlung von Schlaflosigkeit verordnet wurden. Zur Behandlung von Angststörungen und anderen psychischen Erkrankungen wird in der Regel eine Weiterbehandlung nötig sein.
Der Arzt sollte bei Menschen mit Schlafproblemen immer dann über ein Deprescribing sprechen, wenn diese 65 Jahre oder älter sind oder wenn jüngere Patienten seit mehr als vier Wochen mit Benzodiazepinen behandelt werden. Konkret sieht die Leitlinie eine schrittweise Dosisreduktion vor. Möglich ist beispielsweise, die Dosis alle zwei Wochen um ein Viertel zu reduzieren. Gegen Ende dieses Prozesses können auch kleinere Schritte oder eine alternierende Einnahme mit Benzodiazepin-freien Tagen sinnvoll sein.
Während des Absetzens können Schlaflosigkeit, Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Schwitzen oder gastrointestinale Symptome auftreten. Deshalb wird eine ärztliche Überwachung im Abstand von etwa zwei Wochen empfohlen. Zusätzlich können Verhaltensmaßnahmen (Kasten) oder eine kognitive Verhaltenstherapie bei erneuten Schlafproblemen hilfreich sein. Wenn diese Strategien nicht ausreichen, empfiehlt die Leitlinie, zur kleinsten vorher wirksamen Benzodiazepin-Dosis zurückzukehren und das Ausschleichen nach einer bis zwei Wochen erneut, aber in noch kleineren Schritten zu probieren (14).
Was nützt das Deprescribing?
Es gibt Hinweise aus randomisierten kontrollierten Studien, dass Maßnahmen zum Deprescribing möglicherweise die Anzahl der verschriebenen Arzneimittel reduzieren und die Angemessenheit der Medikation verbessern (15–17). Allerdings ist die Datenlage sehr heterogen. Bisher ist nicht ausreichend belegt, dass Deprescribing sich positiv auf die Sterblichkeit oder die Lebensqualität auswirkt. Auch für andere patientenrelevante Endpunkte, etwa Stürze oder Krankenhauseinweisungen, ist die Studienlage nicht eindeutig (18, 19).
Festzuhalten ist: Auch wenn Deprescribing der Theorie nach sinnvoll bei älteren multimorbiden Patienten sein könnte, ist die Datenlage noch relativ dünn. Das gilt sowohl für die Auswirkungen auf patientenrelevante Endpunkte als auch für vergleichende Untersuchungen zu Deprescribing-Strategien für verschiedene Wirkstoffe. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Studienlage zukünftig deutlich verbessern wird. /
Literatur