Viel HDL ist nicht automatisch gut |
29.05.2012 17:08 Uhr |
Von Ulrike Viegener / Es ist nicht das erste Mal, dass ein medizinisches Dogma ins Wanken gerät. Die Rede ist vom »guten« HDL-Cholesterol, dessen gefäßschützende Potenz aktuell infrage steht.
Eigentlich passte alles richtig gut zusammen: Die physiologische Funktion des HDL (High Density Lipoprotein) legt nahe, dass eine hohe Konzentration dieser Lipoproteine für die Integrität der Blutgefäße günstig ist: HDL fungiert als Gegenspieler zum »bösen« LDL-Cholesterol. HDL-Partikel nehmen überschüssiges Cholesterol auf und transportieren es zur Leber, wo es verstoffwechselt wird. Es konnte auch gezeigt werden, dass HDL-Partikel unmittelbar am Ort des pathologischen Geschehens tätig werden und Cholesterol aus den Schaumzellen arteriosklerotischer Plaques eliminieren können.
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Zudem dokumentieren verschiedene epidemiologische Studien, dass hohe HDL-Werte mit einem vergleichsweise niedrigen kardiovaskulären Risiko einhergehen beziehungsweise niedrige HDL-Werte – unabhängig von der Höhe des LDL-Cholesterols – einen kardiovaskulären Risikofaktor darstellen, unter anderem die wichtige großangelegte Framingham-Studie. Als kritisch wird aufgrund der epidemiologischen Daten ein HDL unter 35 mg/dl eingestuft mit einem – gegenüber einem HDL von 65 mg/dl – achtfach erhöhten kardiovaskulären Risiko. Vor diesem Hintergrund wurde daher intensiv an der Entwicklung von Medikamenten geforscht, die einen HDL-Anstieg bewirken. Doch die Rechnung ging nicht auf. Nicht weniger, sondern mehr kardiovaskuläre Todesfälle wurden unter der HDL steigernden Therapie mit Torcetrapib verzeichnet, was vor einigen Jahren zum vorzeitigen Aus für diesen Wirkstoff führte. Die klinische Erprobung des ähnlich wirkenden Dalcetrapib wurde jüngst gestoppt, weil kein therapeutischer Nutzen nachzuweisen war.
Nun zeigen zudem neue Studien, dass Träger von Genvarianten, die mit einem relevanten HDL-Anstieg verbunden sind, nicht von einem niedrigen kardiovaskulären Risikos profitieren (Lancet 2012; doi: 10.1016/S0140-6736(12)60312-2). Untersucht wurde dies per Mendel-Randomisierung. Dabei handelt es sich um das epidemiologische Gegenstück zur randomisierten klinischen Studie. Forscher am Massachusetts General Hospital prüften hierbei das Herzinfarktrisiko von Patienten mit der Genvariante LIPG Asn3965er. Bei dieser Mutante liegt ein Funktionsverlust der endothelialen Lipase vor, was einen Anstieg des HDL-Cholesterols zur Folge hat – und zwar in einer Größenordnung, die nach dem bisherigen Wissen eine Senkung des Herzinfarktrisikos um 13 Prozent erwarten lässt. Diese Erwartung erfüllte sich jedoch nicht. Träger der Genvariante erleiden genauso häufig einen Herzinfarkt wie Vergleichspersonen ohne dieses Gen. Das ergab die Analyse von mehr als 100 000 Patientendaten. Und auch die Überprüfung von dreizehn weiteren Genvarianten, die mit hohen HDL-Werten verbunden sind, brachte keinerlei Hinweis auf ein geringeres kardiovaskuläres Risiko.
Zu kurz gedacht?
Die Bedeutung von HDL als Biomarker wird durch die neuen Daten nicht infrage gestellt, wohl aber der postulierte Kausalzusammenhang zwischen HDL und kardiovaskulärem Risiko. So bilden High-density-Lipoproteine keineswegs eine physiologisch gleichförmige Gruppe Es hat sich außerdem gezeigt, dass HDL-Lipoproteine nicht nur als Vehikel für überschüssiges Cholesterol fungieren, sondern auch andere – zum Beispiel gefäßaktive – Substanzen transportieren. Offenbar stehen die verschiedenen Lipidfraktionen – die bösen und die vermeintlich guten – in hochkomplexer Weise miteinander in Verbindung. Diese Wechselbeziehungen sind im Detail nicht verstanden. So entfaltet zum Beispiel das Cholesterolester-Transferprotein (CETP) im Körper sowohl pro-atherogene als auch anti-atherogene Effekte. Ein korrigierendes Eingreifen in dieses komplexe System sollte beim gegenwärtigen Forschungsstand nur mit großer Zurückhaltung erfolgen. /