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Adipositas

Eine Frage der Gene

23.05.2007  14:47 Uhr

Adipositas

Eine Frage der Gene

Von Claudia Borchard-Tuch

 

Wenn Übergewichtige ihr Gewicht mit ihrer Veranlagung begründen, werden sie meist belächelt. Sie haben anscheinend aber Recht. Gene spielen neuen Erkenntnissen zufolge für das Körpergewicht eine wichtige Rolle. Sie sind jedoch nicht allentscheidend.

 

Übergewicht zählt zu einem der wichtigsten Gesundheitsprobleme unserer Gesellschaft. Schätzungen gehen davon aus, dass starkes Übergewicht weltweit jährlich 2,6 Millionen Todesfälle und mindestens 2,3 Prozent der Gesundheitskosten verursacht. Denn Fettsucht hat fatale Folgen: Sie kann zu Bluthochdruck, Herz- und Kreislauferkrankungen, Schlaganfällen, Diabetes mellitus, Gicht und seelischem Leid führen.

 

Bereits seit längerer Zeit vermuten Wissenschaftler, dass neben den äußeren Lebensumständen auch die Gene beim Übergewicht eine Rolle spielen. Erste Hinweise darauf lieferte eine dänische Studie mit Adoptivkindern aus den 1980er-Jahren (1). Es stellte sich heraus, dass die Adoptierten im Erwachsenenalter gewichtsmäßig ihren leiblichen Eltern sehr viel ähnlicher waren als ihren Adoptiveltern. Die Gene waren für den BMI anscheinend wichtiger als die Erziehung. Eine zweite Studie kam zum gleichen Ergebnis (2). Daraufhin begannen Wissenschaftler, die genetischen Ursachen des Dickseins zu erforschen.

 

Rasch stellte sich heraus, dass es ein einziges Fettleibigkeits-Gen nicht gibt. Offenbar sind es viele verschiedene Erbfaktoren, die eine Adipositas fördern können. Eine ganze Reihe konnten Forscher bisher schon identifizieren.

 

Beim Menschen sind die Gene, die für das Übergewicht verantwortlich sind, nur schwer zu finden. Oft suchen Wissenschaftler daher zunächst nach Übergewichts-Genen bei der Maus. Hierbei gelangen ihnen bereits wichtige Entdeckungen. So konnte das Forscherteam um Annette Schürmann vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) in Zusammenarbeit mit einer Biotech-Firma nachweisen, dass das sogenannte ABCG1-Gen den Appetit beeinflusst - jedenfalls bei Mäusen (3).

 

»Unsere Daten zeigen, dass das Gen nicht nur beim Cholesteroltransport eine Rolle spielt, sondern auch an der Regulation des Appetits, des Energiehaushalts sowie der Fettspeicherung beteiligt ist. Daher könnte es als neuer Angriffspunkt für die Behandlung von Übergewicht und Typ-2-Diabetes infrage kommen«, erklärte Schürmann.

 

Die Forschungen wurden mit »New-Zealand Obese Mäusen« (NZO) durchgeführt, die sehr früh ein krankhaftes Übergewicht und einen Typ-2-Diabetes entwickeln. In dieser Maus ist das ABCG1-Gen verändert. Dies führt dazu, dass ein Cholesteroltransporter im Fettgewebe der NZO-Maus verstärkt synthetisiert wird.

 

Nachdem die Forscher das ABCG1-Gen in der Maus ausgeschaltet hatten, kam es zu aufschlussreichen Veränderungen: Die Mäuse fraßen weitaus weniger als früher, verbrauchten mehr Energie und nahmen unter einer fettreichen Diät nur halb so viel zu wie Tiere, bei denen das Gen intakt war. Außerdem zeigten die genetisch veränderten Mäuse eine größere Widerstandskraft gegenüber einer Fettdiät-induzierten Insulinresistenz.

 

Anderen Forscherteams gelang es auch, Dickmacher-Gene direkt beim Menschen nachzuweisen. Als Wissenschaftler der Universität Duisburg-Essen und des GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit nach Besonderheiten suchten, die bei Menschen mit Übergewicht verstärkt auftreten, bemerkten sie eine Erbgutveränderung in der Nähe eines Gens, das den Fettstoffwechsel reguliert: Menschen mit der Genvariante rs756605 waren zu 30 Prozent häufiger übergewichtig als Menschen, bei denen diese nicht zu finden ist. Die Forscher suchten rs756605 auch bei 368 stark übergewichtigen Kindern und fanden sie (4).

 

Ein sehr einflussreiches und weit verbreitetes Dickmacher-Gen entdeckten Andrew Hattersley und Timothy Frayling von der Peninsula Medical School in Plymouth. Sie untersuchten zusammen mit Wissenschaftlern von der Oxford University auf Chromosom 16 ein Gen, das bei Diabetikern häufig verändert ist. Dieses heißt »fused toes« (FTO), da eine Zerstörung der Genregion bei Mäusen des Öfteren zu Verwachsungen der Füße führt. Es stellte sich heraus, dass FTO keine Auswirkung auf die Insulinproduktion hatte. Es schien jedoch direkt den Körpermasseindex (BMI) zu beeinflussen. Als Nächstes analysierten 41 Wissenschaftler nahezu jede Forschungsarbeit, in der das FTO-Gen und der Körpermasseindex erfasst worden waren. Auf diese Weise konnten die Daten von fast 39.000 Menschen untersucht werden.

 

Das Ergebnis: Wer eine bestimmte Variante von FTO im Erbgut trägt, hat wahrscheinlich ein höheres Körpergewicht als jemand mit einer anderen Variante. Waren gleichzeitig zwei der veränderten FTOs im Genom zu finden, wogen die untersuchten Personen durchschnittlich drei Kilogramm mehr als Menschen ohne die Variante. Den Forschern zufolge haben Personen, die von den Eltern zwei Kopien der Genvariante geerbt haben, ein um 70 Prozent höheres Risiko, übergewichtig zu werden, als jemand, der eine andere Genausstattung mitbekommen hat (5).

 

Gene sind nicht alles

 

Unklar ist in den meisten Fällen, auf welche Weise die Gene den Stoffwechsel und das Gewicht beeinflussen. Doch wer Dickmacher-Gene besitzt, muss nicht zwangsläufig dick werden. So zeigten Studien des Schürmann-Teams, dass schadhafte Gene bei Mäusen nur dann zum Fettbauch führen, wenn die Ernährung entsprechend schlecht ist. »Für den Einzelnen ist Veranlagung immer nur eine Wahrscheinlichkeit«, erklärte Hans-Georg Joost, wissenschaftlicher Direktor des DIfE.

 

»Selbst in der Vererbung von einer Generation zur nächsten wird die Fettleibigkeit nur etwa zur Hälfte durch Gene bestimmt. Andere Effekte tragen zum Rest bei - und sind noch wenig erforscht«, sagte Joost. Nach seinen Schätzungen könnten zwischen 20 und 50 Genvarianten »das Gewicht eines Menschen in eine bestimmte Richtung drücken«. Ob sie es aber auch tun, hängt stark vom Verhalten des Einzelnen ab.

 

In dieser Hinsicht sei die Tatsache, dass in den letzten 20 bis 30 Jahren das Gewicht statistisch zugenommen hat, auch irgendwie tröstlich, erklärte Joost. »Denn Gene ändern sich ja nicht so schnell.« Wenig Bewegung und ballaststoffarme, hochkalorische Ernährung seien hingegen eindeutige negative Entwicklungen der letzten Zeit. »Diese beiden Komponenten sind das Allerwichtigste«, sagte er. Durch ausreichend Bewegung und eine anhaltende Ernährungsumstellung ist das Körpergewicht gut in den Griff zu bekommen. Wie der Einzelne mit seiner genetischen Ausstattung umgeht, bleibt ihm selbst überlassen.

 

 

Literatur

...bei der Verfasserin

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