Trotz Dauermedikation unters Messer |
18.05.2009 11:49 Uhr |
Ein von der American Society of Anesthesiologists (ASA) vorgeschlagene Schema unterscheidet die Patienten vor der Narkose anhand von systemischen Erkrankungen.
Klasse 1: gesunder Patient ohne medizinische Probleme
Klasse 2: leichte Systemerkrankung
Klasse 3: schwere Systemerkrankung
Klasse 4: schwere Systemerkrankung, die eine ständige Bedrohung des Lebens darstellt
Klasse 5: moribunder Patient, der voraussichtlich mit oder ohne Operation innerhalb der nächsten 24 Stunden sterben wird
Klasse 6: hirntoter Patient oder Organspender
Dem Referenten zufolge sollte bei insulinpflichtigen Diabetikern die abendliche Insulindosis (Prandial- und Verzögerungsinsulin) nach dem individuellen Schema wie gewohnt subkutan injiziert und die übliche Menge an Kohlenhydraten eingenommen werden. Lang wirksame Verzögerungsinsuline sollten abgesetzt werden. Zudem sollten alle oralen Antidiabetika präoperativ abgesetzt werden. Für α-Glucosidase-Hemmer, die eine Halbwertszeit von weniger als zwei Stunden haben, reiche es, die Medikation erst morgens vor der OP abzusetzen.
Der Fall Metformin
In zunehmendem Maße verordneten Ärzte in den vergangenen Jahren das Biguanid Metformin, welches eine potenziell lebensbedrohliche Laktazidose verursachen kann. Laut Fachinformation muss das Antidiabetikum deshalb 48 Stunden vor elektiven chirurgischen Eingriffen unter Vollnarkose abgesetzt werden. Die Fortsetzung der Therapie soll nicht früher als 48 Stunden nach dem Eingriff erfolgen. Diese Vorgehensweise wird jedoch immer wieder kontrovers diskutiert. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hält Zausig zufolge jedoch weiterhin an dieser Empfehlung fest.
Für Privatdozent Dr. Dirk Pappert vom Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam macht die präoperative Metforminkarenz von 48 Stunden dagegen keinen Sinn. Denn die Halbwertszeit von Metformin beträgt lediglich sechs Stunden. »In Anbetracht der Datenlage kann kein Gutachter auf der 48-Stunden-Karenz bestehen«, so der Mediziner. So kamen zum Beispiel Chan und Kollegen (»Diabetic Medicine«, 1999, Band 16, Seiten 273 bis 281) zu dem Ergebnis, dass die Inzidenz der Laktazidose unter Metformin 0 bis 0,084 Fälle pro 1000 Patientenjahre beträgt. In einer Cochrane-Analyse von mehr als 200 Studien mit 47.846 Metformin-Patientenjahren und 38.221 Nicht-Metformin-Patientenjahren fanden Salpeter und Kollegen im Jahr 2005 keinen Hinweis auf ein erhöhtes Laktazidose-Risiko unter Metformin. Die Inzidenz der Laktazidose betrug unter Metformin 6,3 Fälle pro 100.000 Patientenjahre, unter antidiabetischer Therapie ohne Metformin 7,8 Fälle pro 100.000 Patientenjahre. Vor allem der unkritische Einsatz beziehungsweise die Missachtung von Kontraindikationen wie Niereninsuffizienz sind Pappert zufolge für die beobachteten Fälle der Laktazidose verantwortlich.
Anders als die Biguanide Phenformin und Buformin, die sich hierzulande nicht mehr auf dem Markt befinden, binde das hydrophilere Metformin zudem nur in geringem Maße an die Mitochondrien-Membran. Die Blockierung der Atmungskette, die Förderung des anaeroben Abbaus und schlussendlich die Gefahr der Übersäuerung des Blutes seien damit deutlich schwächer ausgeprägt. Pappert informierte, dass sich selbst die sonst sehr strenge US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA für weichere Empfehlungen ausspricht als das BfArM. Demnach muss Metformin nur temporär abgesetzt werden. Für kleine Eingriffe, die nicht mit eingeschränkter Nahrungsaufnahme verbunden sind, kann Metformin sogar weitergegeben werden.
Psychopharmaka absetzen oder nicht?
Aufgrund der vorhandenen Daten muss laut Dr. Robin Joppich davon ausgegangen werden, dass Patienten, die Psychopharmaka einnehmen, ein erhöhtes perioperatives Risiko aufweisen. Als Beispiel nannte der Facharzt für Anästhesiologie am Klinikum Köln-Merheim die Wirkungsverstärkung von Anästhetika und Muskelrelaxanzien sowie Auswirkungen auf das kardiozirkulatorische System und zentrale Nervensystem. Trotzdem werde ein generelles Absetzen der Medikation nicht empfohlen. Die Bewertung des perioperativen Risikos orientiere sich im Wesentlichen an der psychiatrischen Grunderkrankung. Joppich machte deutlich, dass evidenzbasierte Leitlinien für die perioperative Behandlung von Patienten, die Psychopharmaka einnehmen, bislang fehlen.
In »Psychosomatics« (2006, Band 47, Seiten 8 bis 22) haben Huyse und Kollegen einen Vorschlag für Leitlinien zum Umgang mit Psychopharmaka in der perioperativen Phase bei elektiven Eingriffen entwickelt. Dieser stellt dem Referenten zufolge jedoch kein systematisches Review dar, sondern basiert auf der verfügbaren Literatur und Expertenmeinungen. Aus Sicht der Autoren besteht lediglich bei der Einnahme von selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) keine Notwendigkeit zur Unterbrechung der Medikation. Bei Patienten, die zum Beispiel Lithium oder MAO-Hemmer einnehmen, müssen Arzneimittelinteraktionen kalkuliert werden, die ein erhöhtes Risiko während der Operation bedingen. Daher sollte die erwähnte Medikation abgesetzt werden.
Auch Joppich empfahl, Lithium, wenn möglich, 72 Stunden vor der Operation abzusetzen. Da die Substanz renal eliminiert wird, gelte das vor allem bei Operationen in deren Verlauf eine Einschränkung der Nierenfunktion drohe. Zudem müsse bedacht werden, dass Lithium die Anschlagzeit und Wirkdauer von Anästhetika und Mukelrelaxanzien verlängert. Deren Dosis muss daher reduziert werden. Zudem sollte die Kombination mit nicht steroidalen Antirheumatika und Metronidazol ausbleiben, da diese die Elimination von Lithium mindern und das Risiko toxischer Reaktionen damit erhöhen. Ferner empfahl Joppich, irreversible Monoaminoxidase-Hemmer wie Tranylcypromin zwei Wochen vor der Operation auf reversible MAO-A-Inhibitoren wie Moclobemid umzustellen. Am Tag des Eingriffes sollten dann auch diese abgesetzt werden.
Blutungs- versus Thromboserisiko
Ob BMS oder DES (siehe dazu Kasten): Stentmaterialien aktivieren das Gerinnungssystem und die Blutplättchen, sodass bis zur Epithelialisierung der Koronar-Stents eine Plättchenaggregationshemmung (PAH) erforderlich ist. Nach einer Stent-Implantation müssen Patienten daher lebenslang ASS einnehmen sowie abhängig vom verwendeten Stent für vier Wochen (BMS) beziehungsweise zwölf Monate (DES) Clopidogrel. Eine Unterbrechung der dualen PAH ist laut Professor Dr. Benedikt Preckel von der Universität Amsterdam die Hauptursache thrombotischer Stent-Verschlüsse, welche mit einem erheblichen Mortalitätsrisiko einhergehen. »Informieren Sie die Patienten über die möglichen Konsequenzen eines frühzeitigen Therapieabbruchs«, riet Preckel. Vor allem die vorzeitige Unterbrechung der Clopidogrel-Einnahme erhöhe das Risiko einer Stent-Thrombose um das 30- bis 90-Fache. Aber auch die Unterbrechung der ASS-Einnahme kann schaden. Als Mechanismus werde ein Rebound-Phänomen der Thromboxan-A2-Synthese in Thrombozyten diskutiert.
Stents sind medizinische Implantate, die als Gefäßstütze zum Beispiel nach der Aufdehnung von verengten Herzkranzgefäßen eingesetzt werden. Sie sollen einen erneuten Verschluss nach der sogenannten Ballondilatation verhindern.
Bare Metal Stents (BMS) konnten die Restenose-Gefahr signifikant reduzieren. Allerdings kommt es bei etwa jedem vierten Patienten dennoch zu einem erneuten Verschluss. Um das zu verhindern, werden seit 1999 sogenannte Drug Eluting Stents (DES) verwendet. Diese hemmen die neointimale Hyperplasie, indem sie einen antiproliferativen Wirkstoff langsam aus der Beschichtung abgeben. Als Arzneistoffe spielen dabei das Immunsuppressivum Sirolimus (Cypher®) und das Krebstherapeutikum Paclitaxel (Taxus®) eine wichtige Rolle.
Vor einer Operation muss daher bei Stent-Patienten das kardiale Risiko durch Beenden der Antikoagulation gegen das Blutungsrisiko abgewogen werden. Dieses ist unter einer dualen PAH deutlich erhöht (30 bis 50 Prozent im Durchschnitt). Auch niedrig dosierte ASS alleine erhöhe die Inzidenz perioperativer Blutungen. Allerdings, so Preckel, gebe es keine Daten zu einer erhöhten Mortalität aufgrund von Blutungskomplikationen.
Die AHA/ACC-Leitlinien von 2007 empfehlen, elektive Eingriffe frühestens 14 Tage nach einer Ballondilatation, vier bis sechs Wochen nach BMS-Einlage beziehungsweise ein Jahr nach DES-Einlage durchzuführen. Kann eine Operation so lange nicht warten, dann sollte sie möglichst unter Beibehaltung der dualen PAH, zumindest aber unter kontinuierlicher ASS-Therapie erfolgen. Ist dies aus operativen Gründen nicht möglich, sollte die Behandlung so kurz wie möglich vor dem Eingriff abgesetzt werden und frühstmöglich wieder aufgenommen werden.
Laut Dr. Claus Steuernagel vom Elisabeth-Krankenhaus Essen sollten Clopidogrel-Patienten jedoch nicht ambulant, sondern stationär operiert werden. »Mutiger darf man bei Patienten unter Fortführung einer ASS-Therapie sein«, so der Mediziner. Bei diesen müsse man individuell entscheiden, ob sie für eine ambulante Operation infrage kommen oder nicht.